"Diese jungen Männer sind in Österreich oft sozial abgehängt, kommen alle aus Ländern, in denen es verheerende Kriege gegeben hat. Sie bilden Sub-Milieus. Dann reicht es, wenn es eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Personen gibt. Anstatt sie untereinander auszutragen, werden Freunde gerufen", sagt Güngör.
Gewalt-Flashmob
Obwohl Medien immer wieder von Bandenkriminalität sprechen, sei das in Wien kein Problem. Vielmehr seien es lose Zusammenschlüsse von Bekannten oder Freunden, die zu Schlägereien dazu kommen und keine feste Verbindung mit festen Strukturen. "Man kann sich das vorstellen wie einen Flashmob. Eine Person hat ein Problem und ruft andere dazu. Es kann dann sein, dass drei oder 30 kommen. Das macht es für Sozialarbeiter aber umso schwieriger, alle Beteiligten zu erreichen", sagt der Experte.
Um "Hilfe" beziehungsweise Unterstützung bei den Auseinandersetzungen rufen die Beteiligten meist per Nachrichtendienst Telegram. Dort gibt es Gruppen mit teils Tausenden Teilnehmern, wo gegen andere Nationalitäten gehetzt und im Fall des Falls auf die Straße mobilisiert wird.
Unverhältnismäßige Gewaltentladung
Das Motiv, sich an den Auseinandersetzungen zu beteiligen, seien größtenteils Stolz und ein Bild von Männlichkeit, das in den Kulturen dieser jungen Männer eingefordert wird. "Man will Solidarität und Kameradschaft mit den Landsleuten zeigen", sagt Güngör.
Obwohl der eigentliche Grund für die Auseinandersetzung zwar oft banal sei, arten die Schlägereien dann in einer unverhältnismäßigen Gewaltentladung aus - und zwar mitten in der Stadt, für alle sichtbar. Güngör sieht auch hier falsch verstandene Männlichkeit als zentrales Motiv: "Männer suchen sich eine Arena, um Kämpfe auszutragen und zeigen damit, wie stark sie sind."
Am Tag nach dem blutigen Abend in Meidling ist vom Gewaltexzess beim Bahnhof nichts mehr zu sehen. Alles geht wie gewohnt seinen Lauf, nur mehrere Streifenwagen der Polizei fallen auf. Man hat die Präsenz erhöht und ist sowohl mit zivilen Kräften, der Spezialeinheit WEGA, als auch mit der Diensthundeeinheit und der Bereitschaftspolizei an den "Hotspots" in Wien unterwegs.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat unterdessen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beauftragt, Aberkennungsverfahren für Beteiligte mit Schutzstatus einzuleiten. Die Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit wies er an, vor allem in den Abendstunden die Polizeipräsenz „massiv“ zu erhöhen und da vor allem Bahnhöfe, U-Bahnstationen und Parks verstärkt zu überwachen.
Verstärkung aus den Bundesländern
„Die Generaldirektion wird dafür sorgen, dass auch Polizei aus anderen Bundesländern eingesetzt wird, um die Kräfte in Wien zu verstärken“, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme des Innenministeriums.
Bereits zuvor hatte die FPÖ heftige Kritik auf Landes- und Bundesebene geführt. Der nicht amtsführende FP-Stadtrat Dominik Nepp und Petra Steger, Bezirksparteiobfrau der FPÖ in Meidling, forderten eine Krisensitzung mit allen Rathausparteien und dem Innenminister. SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig und Karner warfen sie Untätigkeit vor. FP-Generalsekretär Michael Schnedlitz ortete ein Versagen der Bundesregierung.
Ausländer häufiger Opfer und Täter
Die aktuellen Vorfälle passen auch in eine Studie des österreichischen Integrationsfonds, die am Montag veröffentlicht wurde. Demnach sind von insgesamt 330.000 Tatverdächtigen im Vorjahr in Österreich 45,6 Prozent ausländische Staatsangehörige, 28,2 Prozent leben in Österreich. Im Vergleich zum Anteil der ausländischen Bevölkerung von 19,3 Prozent, war der Anteil der in Österreich lebenden ausländischen Tatverdächtigen somit deutlich höher. Der Anteil der Verurteilten lag bei Nicht-Österreicher an der strafmündigen Bevölkerung mit 0,8 Prozent höher als bei Österreichern mit 0,2 Prozent, wobei Afghanen, Syrer und Iraker mit 1,2 Prozent den höchsten Wert aufwiesen.