Sirtaki-Koalition will Gratis-Öffi-Ticket für alle Innsbrucker
Die vergangenen sechs Jahre war die Innsbrucker Stadtpolitik von Streitereien geprägt, auch weil eine 2018 gebildete Vierer-Koalition aus Grünen, ÖVP, Für Innsbruck (FI) und SPÖ im Laufe der Zeit zerbröselte. Der neue Bürgermeister Johannes Anzengruber (vormals ÖVP-Vize-Stadtchef, nun JA - Jetzt Innsbruck), sein Vorgänger Georg Willi (Grüne) und Stadträtin Elli Mayr (SPÖ) haben das hautnah miterlebt.
Die von ihnen geschmiedete "Sirtaki-Koalition" hat Montagmittag im Haus der Musik den gemeinsamen Koalitionspakt vorgestellt. Und in dem 96 Seiten umfassenden "Zukunftsvertrag Innsbruck 2024 bis 2030" sind am Ende des Papiers klare Regeln für die Zusammenarbeit aufgestellt.
Nicht gegenseitig abwählen
Sie spiegeln die negativen Erfahrungen der vergangenen sechs Jahre wider. So wird etwa vereinbart, dass sich die Koalitionspartner "bei sämtlichen Anträgen auf Ressortentzug, Abberufungen und allfälligen späteren Nachwahlen gegenseitig unterstützen."
Was wie eine Selbstversändlichkeit klingt, war in der vergangenen Regierungsperiode keine. Immerhin wurden zwei Vize-Bürgermeisterinnen, Christine Oppitz-Plörer (FI) und Uschi Schwarzl (Grüne), mit Stimmen aus der eigenen Koalition abgewählt. Den nunmehrigen Stadtchef Anzengruber erwischte es inmitten des freien Spiels der Kräfte auf Betreiben seiner nunmehrigen Ex-Partei ÖVP Ende des Vorjahres.
Es wird zudem festgehalten, dass künftig "nicht mit wechselnden Mehrheiten gearbeitet" wird und klargestellt: "Es gibt ausdrücklich keinen koalitionsfreien Raum."
Zeit gelassen
Das dürfte wohl mit der Grund dafür sein, dass der "Zukunftsvertrag" recht detailreich ausfällt und man sich mit diesem auch Zeit gelassen hat. Immerhin wurde der Gemeinderat bereits am 17. Mai konstituiert und es stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass Anzengruber mit Grünen und SPÖ koalieren wird.
Er zeigte sich bei der Präsentation des "Zukunftsvertrags" überzeugt: "Das wird sechs Jahre halten und länger." Er verspürte "ein Feuer", sein Team brenne für die kommenden Aufgaben. Was die Zusammenarbeit betrifft, verwies Mayr darauf, dass man sich auf ein "Einstimmigkeitsprinzip" geeinigt hat. Das gilt nicht nur für Beschlüsse der Stadtregierung, sondern auch für Gemeinderat und die dortigen Ausschüsse.
Die SPÖ-Vize-Bürgermeisterin verspürte "ab Tag eins eine ausgezeichnete, sachliche Stimmung". Willi lobte Anzengruber für Gespräche, die "kooperativ und auf Augenhöhe" gelaufen seien.
Alte Konfliktthemen
Bereits im ersten Kapitel des Koalitionspakts - Stadtentwicklung, Stadtplanung & Wohnen - wurden sämtliche Konfliktthemen angerissen, bei denen bisher im Gemeinderat regelmäßig die Fetzen flogen: Verkehr, das (un)leistbare Wohnen und die Gestaltung des öffentlichen Raums. Aber der Reihe nach.
Beim Wohnen sind für eine Koalition aus Bürgerlichen und Linken durchaus nicht selbstverständliche Vorhaben in dem Papier zu finden. Der Bürgermeister kündigte an, dass man "alle Instrumente der Tiroler Raumordnung nutzen" werde, um den Hebel derart umzulegen, "dass Wohnraum leistbar ist."
Anzengruber bekennt sich dazu, dass in Innsbruck Vorbehaltsflächen für den sozialen Wohnbau ausgewiesen und "heuer noch beschlossen" werden sollen. Hier hatten sich bürgerliche und rechte Fraktionen stest quergelegt und auch beim nunmehrigen Bürgermeister war das bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen. Nun sollen gewidmete Baugründe aber auch Freiland für sozialen Wohnbau reserviert werden.
75 Prozent für sozialen Wohnbau
Mayr streicht zudem heraus, dass die Koalition in ihrem Programm eine "Mehwertregel verankert" hat. Die sieht vor, dass bei Umwidmungen von Frei- auf Bauland 75 Prozent des Grunstücks der Stadt zu Wohnbauförderungskonditionen zum Kauf angeboten werden muss. Das gilt auch für Mehrdichten, die durch Änderungen von Bebauungsplänen ermöglicht werden.
Der ressortzuständige Willi kündigt zudem an, dass "bis zum Oktober-Gemeindrat eine neue Vergaberichtlinie" für städtische Wohnungen vorbereitet wird. An diesem Vorhaben hatte er sich als Bürgermeister an seinen politischen Gegnern die Zähne ausgebissen.
Nicht geregelt ist im Koalitionspakt die Zahl der neu zu errichtenden Wohnungen. Anzengruber will den Fokus darauf richten, "vor allem die leerstehenden Wohnungen an Mann und Frau zu bringen". In Innsbruck sind das laut Erhebungen der Stadt rund 7.000. Eine vom Land eingeführte Leerstandsabgabe zur Moblisierung hat sich vorerst als zahnlos erwiesen.
Tempo 30 bleibt heißes Eisen
Beim Verkehr standen in der Vergangenheit sehr oft Grüne und deren nunmehrigen Koalitionspartner Anzengruber und seine ebenfalls aus der ÖVP ausgeschiedene Mitstreiterin Mariella Lutz, die nun Wirtschaft verantwortet, auf unterschiedlichen Seiten.
Lutz, die auch für Tiebau und damit jedes größere Bauprojekt zuständig sein wird, und die grüne Verkehrsstadträtin Janine Bex werden künftig intensiv zusammenarbeiten müssen. Tempo 30 war ein Kampffeld der beiden. "Wir werden ganz viele 30er-Zonen umsetzen", so Anzengruber - "vor allem in den Wohngebieten". So stand es auch in seinem Wahlprogramm.
Im "Zukunftsvertag" ist aber zudem auch von einem Tempolimit "mit Ausnahme der Durchzugsstraßen" die Rede - also das Konzept der Grünen eines nahezu flächendeckenden 30ers. Dazu soll es einen Workshop geben. Man hat sich also ein wenig um das Thema herumgewurstelt.
Ziemlich ambitioniert - vor allem finanziell - erscheint das Ziel, dass es "bis Ende der Funktionsperiode ein kostenloses Öffi-Ticket für alle" geben soll, wie Anzengruber ankündigte. In einem ersten Schritt soll das zunächst für alle Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre eingeführt werden - in deren Fall sogar mit tirolweiter Gültigkeit.
Dafür will die Stadt die entsprechende Aufzahlung von Schüler- bzw. Lehrlingsticket übernehmen, für das jeweils ein Selbstbehalt von 19,60 Euro gilt, wie Bex erklärt. "Wir wollen die Mobilität aller Menschen vereinfachen", definiert sie das grundsätzliche Ziel.
Alte Baustellen und "Gstättn"
Als Symbole des politischen Stillstands der vergangenen Jahre gelten die in der Schublade verschwundenen Umgestaltungen von Bozner Platz und dem Vorplatz zwischen Haus der Musik - Schauplatz der Programmpräsentation - und der historischen Hofburg.
Für Lutz präsentieren sich beide prominenten Innenstadt-Areale derzeit als "Gstättn". "Wir haben beschlossen, sofort das Thema Bozner Platz anzugehen", kündigt die Stadträtin an. Und zwar auf Basis eines bereits ausgearbeiteten Projekts. Die Umsetzung soll direkt an derzeit noch stattfindende Leitungsarbeiten anknüpfen. Der Vorplatz Haus der Musik soll später folgen.
Dass die Sirtaki-Koalition ausgerechnet hier ihre Vorhaben präsentierte ist nicht nur deshalb kein Zufall. "Die vergangenen Jahre waren durchaus von Misstönen geprägt", nahm Anzengruber symbolisch Bezug auf den Kulturbau. "Diese Misstöne gehören der Vergangenheit an. Jetzt geht es um eine Symphonie."
Kommentare