Wien: Wie gefährlich ist die Bundeshauptstadt wirklich?
Glaubt man manchen Politikern und Internet-Kommentatoren, dann ist Wien ein hochgefährlicher Ort – inklusive No-Go-Areas. Und man ist sich einig: Früher war das anders und die Sicherheit viel höher. Doch stimmt das tatsächlich? Der KURIER begibt sich mit zwei Wiener Kultkieberern auf Spurensuche:
„Bewertet man nur die Mordkriminalität und die Banküberfälle, dann ist Wien sicherer geworden. Betrachtet man aber die Gesamtkriminalität und vor allem die Körperverletzungen, Raubüberfälle und Sexualdelikte im öffentlichen Raum, so ist Wien unsicherer geworden“, meint Ernst Geiger, der 25 Jahre lang die Mordermittlungen in Wien geleitet hat.
„Die Felder der Kriminalität haben sich verändert. War früher Einbruch die hauptsächliche Belastung ist es heute die Internetkriminalität“, sagt Max Edelbacher, langjähriger Leiter des Sicherheitsbüros und später Kripochef in Favoriten. „Und es gibt keine Wiener Kriminellen mehr – bis 1970 hat man noch Kriminalität aus Österreich nach Deutschland, Niederlande und Belgien exportiert. Der Wiener Strizzi ist ausgestorben. Heute importiert man Kriminalität etwa vom Balkan, aus der Türkei, Afghanistan, Tschetschenien, Georgien.“
Fest steht, dass es keine Zeit ohne Terrorangst in Wien gab: In den 1970ern wurden der Anschlag die OPEC durchgeführt, im folgenden Jahrzehnt folgten die Ermordung von Stadtrat Heinz Nittel in Hietzing, der Angriff auf die Synagoge in der Wiener Innenstadt und der Terroranschlag auf den Flughafen Wien-Schwechat. Man fürchtete sich vor der RAF und in den 1990ern vor den Briefbomben der Bajuwarischen Befreiungsarmee, die nur aus Franz Fuchs bestand.
Weniger Mordfälle in Wien
Zurückgegangen sind die Tötungsdelikte. „Heute fallen jährlich an die 20 bis 24 Morde, meist Beziehungsdelikte an“, so Edelbacher, „zu meiner Zeit ab es noch Morde im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität. 1986 bis 2002 gab es etwa 40 bis 50 Morde pro Jahr in Wien. In Österreich war die Belastung etwa dreimal so hoch.“
Serienmörder, Schießereien und mehr Gewalt
Auch Serienmörder trieben ihr Unwesen: In den 80ern töteten die Lainzer Mordschwestern rund 50 Patienten. Elfriede Blauensteiner, wohnhaft am Margaretener Hundsturm, nahm reihenweise Pensionisten das Leben. In den 1990ern eskalierte ein Diebstahl in der Wollzeile bis hin zu einer Schießerei nahe des Matzleinsdorfer Platzes. Am Ende waren drei Menschen tot. Ebensoviele Opfer gab es bei Morden der Ostmafia in den 90ern in der Innenstadt, verübt mit Scorpion-MPs.
„Jede Zeit hat andere Formen der Kriminalität, dazu kommen noch Bevölkerungszahl und Demografie. Vor 40 Jahren hatte Wien knapp 1,6 Millionen Einwohner, für die Ausländerkriminalität waren hauptsächlich jugoslawische Tätergruppen verantwortlich“, sagt Geiger. „Die Mordkriminalität war mehr als doppelt so hoch wie heute, Bankraub mit ähnlichen Fallzahlen und verbunden mit Schießereien eine Herausforderung. Ab 1989 durch den Fall des Eisernen Vorhanges kam es zu Laden- und Autodiebstählen durch ungarische und polnische Täter.“
Forscht man nach Zahlen und Statistik, ergeben sich Überraschungen. So wurden in den 1970ern durchschnittlich 40.000 Österreicher wegen Gewaltdelikten verurteilt, heute sind es rund 7.000. Selbst langgediente Polizisten zeigen sich überrascht über die Frage, welche Landeshauptstadt in Österreich momentan die gefährlichste ist. Denn rechnet man die Deliktzahlen auf die Bevölkerung um, dann liegt Wien laut dem letzten Sicherheitsbericht nur auf dem dritten Platz – hinter Salzburg und Innsbruck.
Angstviertel und No-Go-Areas
Zonen, wie heute der Reumannplatz, wo manche Menschen Angst haben, gab es Wien immer. In den 1960ern oder 1970ern wäre kaum jemand nachts am Gürtel unterwegs gewesen. Der Praterstrich, das Stuwerviertel oder die Drogenszene am Karlsplatz beziehungsweise Kettenbrücken- und Pilgramgasse waren weitere Hotspots des vergangenen Jahrhunderts. Die Polizei patrouillierte teilweise mit Maschinenpistolen auf der Copa Cagrana. Auch Messerstiche rund um die Drogenszene in den 90ern beim Schwedenplatz standen an der Tagesordnung. Zu dieser Zeit war Wien kurz davor, Jugendbanden wie in den USA zu bilden.
Die Polizei ging hart dagegen vor, Gruppen von Skinheads bis Red Brothers wurden zerschlagen. Einige Protagonisten wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, wegen Drogenhandels im großen Stil oder sogar wegen Mordes. Die U1 war damals das, was später die U6 mit ihrer von Nigerianern kontrollierten Drogenszene werden sollte.
Geiger sieht dennoch Veränderungen: „Ich fahre öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch in den Abendstunden von der Innenstadt nach Hietzing. Beim Umsteigen von der U-Bahn in den 60er beim Westbahnhof fühle ich mich durch die vielen dort herumhängenden, teils pöbelnden Jugendlichen verschiedener Nationalitäten nicht gerade sicher. Das gab es früher im Wiener Straßenbild nicht.“
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