301 Seiten hat Ernst Geiger über die drei Morde in Favoriten geschrieben, die in den 1980er- und 90er-Jahren für Aufsehen in Wien gesorgt haben. Im Interview spricht er über sein Buch "Heimweg" (Edition a, 16 Euro), den perfekten Mord und warum es derzeit so wenige Tötungsdelikte gibt.
KURIER: Sie waren 12 Jahre lang Leiter der Mordkommission, nun sind Sie Buchautor. Warum haben Sie sich ausgerechnet die Favoritner Mädchenmorde für Ihren ersten Krimi ausgesucht?
Geiger: Naja, als Autor würde ich mich nicht bezeichnen. Über 40 Jahre habe ich versucht, Erlebtes aufzuarbeiten, und nun mache ich das in Romanform. Der Mordfall war auch mein erster großer Fall und der Fall, an dem ich fast gescheitert bin. Der Fall ist immer bei mir geblieben, ich konnte ihn nicht vergessen.
Wie sind Sie in die Ermittlungen eingestiegen?
Ich kann mich noch sehr genau erinnern, es war der Nationalfeiertag 1988. Ich war im Lainzer Tiergarten laufen, als der Pager anschlug, damals gab es noch keine Handys. Der Tatort war von Anfang an sehr bizarr: eine junge Frau, nackt, war an einen Baum gebunden und erdrosselt worden. Es fehlten Habseligkeiten wie die Handtasche oder ein Schuh. Wenn eine junge Frau ermordet wird, hat man von Anfang an einen gewaltigen Ermittlungsdruck.
Oft schlagen Serienmörder solange zu, bis sie eines Tages verhaftet werden. Warum war das hier anders?
Wir haben von Anfang an erwartet, dass bald der nächste Fall kommt. Noch eine Steigerung, noch bizarrer. Und als Opfer ein Kind, weil es sich weniger wehren konnte als etwa die Alexandra Schriefl. Wir haben nach den ersten Zweifeln gemeint, das ist der Beginn einer Serie und wird nicht so schnell abreißen. Aber das ist ausgeblieben.
Ein Kollege von Ihnen hat den Mörder in den beiden ersten Fällen stets im Verdacht gehabt. Doch er war gar nicht froh, als der Täter dann überführt gewesen ist. Wie haben Sie sich gefühlt?
Wir waren schon alle froh. Vielleicht war der Gedanke da, der zweite Mord hätte verhindert werden können. Und das Unbefriedigende war ja auch, dass die Täter kein Geständnis abgelegt haben. Das ist schon wesentlich. Als Ermittler will man natürlich wissen, wie ist das passiert und warum?
Sind die Trophäen der Mordopfer eigentlich jemals wieder aufgetaucht?
Im Fall Schriefl hat der Täter den Schuh zum Beispiel 42 Tage später in der Nähe des Tatortes abgelegt – ein Zeichen, um die Polizei und die Allgemeinheit zu provozieren. Die Tasche ist nicht mehr aufgetaucht.
Sie sind ja selbst Vater einer Tochter. Wir haben Mitte September bisher 21 Frauenmorde. Ist Österreich ein gefährliches Land für Frauen?
Nein, überhaupt nicht. Diese Zahlen werden immer sehr einseitig dargestellt. In meiner Zeit als Leiter der Mordkommission waren allein in Wien 40 bis 50 vollendete Tötungsdelikte, heute gibt es so viele in ganz Österreich. Es gab Sexualmorde, Raubmorde, viele Morde an älteren Personen oder Homosexuellen. Solche Mordfälle gibt es heute praktisch nicht mehr. Übrig geblieben sind die Beziehungsmorde, die von der Zahl her auch etwas weniger sind als früher. Bei den 21 Frauenmorden, sind auch sogenannte erweiterte Selbstmorde dabei, echte Frauenmorde waren es 17.
Sind Sie eigentlich ein Krimi-Fan? Schauen Sie am Sonntag den Tatort im Fernsehen?
Ich mag eigentlich gar keine Krimis. Ich habe eben in 40 Jahren in tiefere Abgründe geschaut als jeder Kriminalschriftsteller. Aber ich bewundere andere, die so eine Fantasie haben, spannende Geschichten zu schreiben.
Als langjähriger Mordermittler: glauben Sie, dass Sie den perfekten Mord begehen könnten?
Nein, das ist immer von Zufälligkeiten abhängig, die man nicht beeinflussen kann. Es kann ein sehr wenig geplanter Mord zum perfekten werden und ein hochorganisierter kann an einem Zufall scheitern.
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