Vier Tote bei Absturz: Massive Vorwürfe gegen Flugpolizei
Achteinhalb Jahre. So lange dauerte es, bis heute der Untersuchungsbericht über den Absturz eines Polizei-Helikopters in den Tiroler Achensee (mit vier Toten) veröffentlicht wird. Der KURIER konnte das Dokument schon vorab sichten, und es wird für gehörige Wellen sorgen – denn es zeigt, dass der Pilot leichtsinnig gehandelt hat. Und dass dies auch durch Systemfehler der Flugpolizei ermöglicht wurde.
Der 2017 präsentierte Bericht des Innenministeriums steht seit Längerem im Zweifel: Laut diesem sollen die wilden, dreieinhalb Minuten dauernden Flugmanöver vor dem Unfall durch einen Blendeffekt oder einen Vogelschlag ausgelöst worden sein. Die anschließenden Manöver zeigt eine neue Animation des Verkehrsministeriums (siehe Bericht weiter unten). Der (dem KURIER bereits vorliegende) Endbericht des Verkehrsministeriums erzählt hingegen eine ganz andere Version und erhebt schwerste Vorwürfe gegen die Flugpolizei.
Die Ursache für den tödlichen Unfall in den Achensee ist - kurz zusammengefasst - Leichtsinn gewesen, der Pilot hätte nicht mit Höchstgeschwindigkeit so knapp über dem Wasser fliegen sollen. Doch auch das System ist mitschuld: Der Zustand der Innenministeriums-Flotte ist laut dem Dokument so, dass eine normale Sicherheitsuntersuchung der Untersuchungsstelle (SUB) nicht mehr ausreicht und ein „externes Auditverfahren“ angeraten wird. Normalerweise ist das eine Maßnahme für eher dubiose Billigfluglinien.
Sicherheit ist untergeordnet
Die Piloten dürfen in der Flotte des Innenministeriums de facto tun, was sie wollen. Die Sicherheit und der Passagierkomfort spielen nur "eine untergeordnete Rolle".
Im Klartext: Flüge zu Wirtshäusern oder um Kollegen nach Wanderungen in den Bergen abzuholen gelten als Einsatzflug (vergleichbar einer Blaulichtfahrt mit der Funkstreife). Damit gelten praktisch keine Regeln. Das könnte ein Mitgrund sein für die Häufung an schweren Unfällen bei der Flugpolizei (siehe Chronologie weiter unten) sein, meinen Experten. Das Verkehrsministerium erwartet sich nun "ein Bündel an Maßnahmen" von der Flugpolizei.
Der Pilot hatte vor dem Absturz im Jahr 2011 zunächst einen Polizisten nach einem Hüttenbesuch (im Zuge einer privaten Wanderung) nach Hause geflogen. Danach wurden bei dem Hubschrauber minutenlang ohne nachvollziehbaren Zweck wildeste Flugmanöver aufgezeichnet, der Helikopter flog kreuz und quer durch ein Tal. Das zeigt auch eine neue Animation, die das Verkehrsministerium zu dem Unfall erstellt hat.
Neun Mal änderte der 41-jährige Pilot massiv den Neigungswinkel der Kabine, fünf Mal die Sinkgeschwindigkeit, die zeitweise bei bis zu 22 Metern pro Sekunde lag. Ein Grund dafür war nicht erkennbar.
Am Ende war der Pilot in einem Sturzflug (mit einer Höchstgeschwindigkeit von 252 km/h) Richtung Achensee geflogen. Offenbar versuchte er über einer Baumgruppe nahe des Sees den Winkel abzuflachen. Er dürfte aber unterschätzt haben, dass das Wasser keine Wellen an diesem Tag hatte und bei (wegen absoluter Windstille) spiegelglatter Wasseroberfläche die Flughöhe nicht mit freiem Auge zu sehen war. Dies nennt man in der Fliegersprache den gefüchteten "Glassy-Water-Effekt".
Innenministerium veröffentlichte falschen Bericht
Der Ministeriumsbericht hält auch fest, dass die bisher vom Innenministerium und von Flugpolizei-Chef Werner Senn in einem Endbericht festgelegten Ursachen (Vogelschlag oder epileptischer Anfall durch "Flicker Vertigo", eine Art Lichtzerhacker-Blendung der Rotoren) "falsifiziert" wurden. Also schlichtweg "ein Unsinn" sind, wie es in der Untersuchungsstelle gegenüber dem KURIER heißt.
Wie der KURIER schon vor drei Jahren aufgedeckt hat, gibt es für beides keinerlei Hinweise, Zeugen und alle Fakten sprachen sogar stets dagegen. So wurden keine Federn gefunden, keine entsprechenden Verletzungen beim Piloten. Und der Blendeffekt ist bei diesem Modell technisch ebenso unmöglich wie ein Vogelschlag, der zu einem Absturz führt.
Beide angeblichen Ursachen wären weltweit das erste Mal bei dieser Eurocopter-Maschine (EC-135) aufgetreten. Auch der neue Bericht zeigt, dass diese beiden Ursachen alleine schon technisch de facto unmöglich sind.
Hohe Entschädigung ausbezahlt
653.000 Euro Steuergelder wurden jedenfalls als Entschädigung an die Familien der Opfer überwiesen. Bei einem Pilotenfehler wegen grober Fahrlässigkeit wäre das möglicherweise in dieser Höhe nicht gegangen.
Tatsächlich war es laut dem neuen Dokument eben der Pilot, der die „gesteuerte Kollision mit der Wasseroberfläche“ ausgelöst hat: „Fehleinschätzung der Flughöhe“, die „Unterschreitung der Mindestflughöhe mit hoher Fluggeschwindigkeit“ und „das Fehlen einschlägiger Verfahren für die Planung und Durchführung von Einsatzflügen“ seien die Ursachen des Absturzes mit vier Toten gewesen.
Das Fazit des Berichts: Das alles hätte vermieden werden können. Vom Piloten vor Ort. Und von der Flugpolizei, wenn Einsatzvorschriften formuliert gewesen wären.
2012 wurde Bericht verhindert
Die Erkenntnisse entsprechen in wesentlichen Punkten jenem Dokument des Verkehrsministeriums, dessen Veröffentlichung bereits 2012 verhindert worden war. Es wurde allerdings durch zahlreiche neue Untersuchungen angereichert, auch wurden laut KURIER-Informationen 91 vorangehende Flüge des Helikopters ausgewertet, was dem Bericht nun zusätzliches Gewicht verleiht. Außerdem sind weitere Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Bericht ist deshalb 133 Seiten stark geworden, mehr als doppelt so viele wie der ursprüngliche - aus dem auch Seiten entfernt wurden, wie der Rechnungshof klarstellte.
Neue Animationen zeigen auch, wie extrem die Fluglage des Hubschraubers war. Dabei hätte der Helikopter in dem Tal und in so einer niedrigen Flughöhe eigentlich nichts verloren gehabt. Er sollte eigentlich die mehr als zehn Kilometer entfernte Grenze überwachen. Doch der Hubschrauber soll immer wieder als "fliegendes Hütten-Taxi" eingesetzt worden sein, hieß es aus Polizeikreisen.
Luftfahrtgesetz wird ignoriert
Das Dokument spart auch nicht mit massiven Vorwürfen am System: So widersprechen die Vorgaben der Flugpolizei teilweise den Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes, heißt es etwa. In einigen Fällen – wie etwa der besonders sicherheitsrelevanten Mindestflughöhe – würden genaue Regeln hingen überhaupt fehlen. So wurde nicht einmal der Radarhöhenmesser bei dem Flug am Achensee genutzt, obwohl dies den Absturz wohl verhindert hätte. Der Pilot (und Stützpunkleiter) hatte nicht einmal eine Instrumentenflugberechtigung.
Das alles habe außerdem bereits Ende der 70er-Jahre zu einem fast identen tödlichen Absturz in den Traunsee (Oberösterreich) geführt. Doch die damals erlassenen Sicherheitsempfehlungen wurden bis heute nie umgesetzt. Laut den nach diesem Unfall empfohlenen Einsatzvorschriften hätte der Hubschrauber so knapp über dem Wasser nur in Ausnahmefällen und mit nur etwa einem Drittel der Geschwindigkeit (das sind 50 Knoten) fliegen dürfen.
Dies hätte die massive Fehleinschätzung des 41-jährigen Piloten wohl verhindert.
"Alles doppelt abgesichert"
Allfällige Zweifel an der nunmehr dokumentierten Unfallursache schließt Bettina Bogner, die Leiterin der Untersuchungsstelle im Verkehrsministerium (SUB), im KURIER-Gespräch aus: "Das wurde genauestens geprüft. Ich war selbst sehr lästig gegenüber meinem Mitarbeiter, damit alles doppelt abgesichert ist. So wie es nun im Bericht steht, ist es tatsächlich gewesen."
Im Verkehrsministerium wird nun allerdings befürchtet, dass der unabhängige Unfalluntersucher des eigenen Ressorts ins Visier genommen werden könnte. Über diesen wurden bereits im Vorfeld der Untersuchung immer wieder Gerüchte verbreitet, um seine Glaubwürdigkeit schon im Vorfeld zu untergraben.
Deswegen wurde sogar sicherheitshalber eine eigene Befangenheitsüberprüfung im Verkehrsministerium eingeleitet, die den Untersucher aber komplett entlastet hat. Bogner betont deshalb: "Ich stehe voll hinter diesem Bericht. Dieser Untersucher ist eine Legende bei uns."
Das Innenministerium beantwortete einen Fragenkatalog des KURIER zu dem Vorfall und dem neuen Bericht so: "Das BMI hat den Bericht erhalten und wird nach Durchsicht, sofern nötig, entsprechende Schlüsse ziehen. Ohne diese Schlüssen vorgreifen zu wolle, wurde aber schon jetzt von der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (BMVIT) festgestellt, dass es sich dabei um einen einzelnen tragischen Unfall handelt, die Tätigkeit der Flugpolizei des BMI insgesamt aber nicht betroffen ist."
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Die Chronologie des Skandals um die Flugpolizei:
2009 – Polizisten fliegen am 10. März ins Wirtshaus mit dem Hubschrauber. Nach einer „Dienstbesprechung“ werden sie zu einem Einsatz gerufen, kurz danach stürzt ihr Polizeihubschrauber mitten im steirischen Deutschlandsberg ab. Der Pilot stirbt später im Krankenhaus.
2011 – Um 10.07 Uhr stürzt am 30. März ein Polizeihubschrauber in den Achensee. Vier Menschen sterben – der Pilot, zwei weitere Polizisten und ein Schweizer Grenzschützer. Die Obduktion stellt fest, dass es kein medizinisches Problem gab, eine Bewusstseinsbeeinträchtigung ausgeschlossen ist und dass alle Steuerungen vom Piloten fest gehalten wurden. Hinweise auf einen Vogeschlag (entsprechende Verletzungen) werden nicht gefunden.
2012 – Die Flugpolizei soll auf die fünf Unfalluntersucher - zumindest laut Aussagen Betroffener - Druck ausgeübt haben, dass trotz der Obduktion ein epileptischer Anfall des Piloten oder Vogelschlag als Ursache der Untersuchung des Verkehrsministeriums herauskommt. Der Bericht, der am 30. März fertiggestellt wird, hält (deshalb?) ausdrücklich fest, dass beides auszuschließen ist. Die vermutliche Ursache: „Der Hubschrauber hat ohne erkennbaren Zweck die Mindestflughöhe unterschritten; das Heranführen des Hubschraubers an die unmittelbare Wasseroberfläche mit hoher Geschwindigkeit ist (...) nicht mehr zu rechtfertigen“.
In dem Dokument gab es mehr als ein Dutzend Sicherheitsempfehlungen an die Flugpolizei. Daraufhin verschwindet das Papier erst nach einer Drohung des Dienststellenleiters bei einer bis heute dubiosen Privatfirma (siehe Mail unten), die ein Parallelsystem zur offiziellen Aktführung aufgebaut hat und dann in einer Lade - der Bericht wird zu einem "technischen Gutachten" des Verkehrsministeriums degradiert. Anschließend werden sogar Seiten entfernt, die nie wieder aufgetaucht sind.
Danach wird der Flugpolizei die Untersuchung des eigenen Absturzes übertragen. Ein weltweit einzigartiges Vorgehen. Begründet wird dies mit einer Regel für Unfälle mit Militär-Luftfahrtzeugen, die für die Flugpolizei eigentlich nicht gelten, wie Neos-Abgeordneter Rainer Hable später aufdecken wird. Drei der fünf beteiligten Unfalluntersucher verlassen danach die Untersuchungsstelle.
2013 – Nun veröffentlicht der Leiter der Flugpolizei, Werner Senn, seinen „Zwischenbericht“. Absturzursache demnach: ein epileptischer Anfall oder ein Vogelschlag. Neue Belege für die Ursachen werden zu diesem Zeitpunkt nicht präsentiert. Die Hinterbliebenen erhalten in der Folge des Absturzes 653.000 Euro Entschädigung.
2016 – Der KURIER veröffentlicht im November den bislang geheim gehaltenen Bericht des Verkehrsministeriums (das "technische Gutachten"), wonach Leichtsinn des Piloten die Ursache sei. Auch gebe es Hinweise, dass der Helikopter als "Luft-Taxi" für Polizisten bei Wanderungen verwendet worden sei.
2017 – Das Innenministerium präsentiert den Endbericht der Flugpolizei, der nun hochoffiziell einen Vogelschlag oder einen epileptischen Anfall als Ursache zeigt. Wie man darauf kommt, wird darin nicht näher dargelegt. Der Bericht beschränkt sich auf eine zweiseitige Aussendung.
Neue Zeugen berichten von Sturzflug-Übungen vor dem Absturz und (gefährlich anmutenden) Tiefflügen der Polizei-Helikopters. Der KURIER präsentiert neue Dokumente (etwa das bis dahin öffentlich unbekannte Obduktionsergebnis), die erneut einen Vogelschlag und einen epileptischen Anfall ausschließen. Der Tiroler Experte und Gerichtssachverständiger Christian Ortner spricht von „flugdisziplinären Mängeln“ der Flugpolizei. Der Rechnungshof startet nach zahlreichen Medienberichten im Juni eine Prüfung der Untersuchungsstelle.
Ebenfalls im Juni stürzt ein Polizeihubschrauber am Eisenerzer Reichenstein bei einem eigentlich nicht notwendigen Einsatz bei windigen Verhältnissen nur deshalb nicht ab, weil das Bergeseil mit drei Personen reißt. Es gibt zwei Tote, ein Polizist und eine Bergsteigerin sterben. Ihr Ehemann überlebt mit schwersten Verletzungen. Es gibt dubiose Vorgänge rund um seine Einvernahme im Spital, die im Schockraum unter Medikamenteneinfluss stattfindet. Die Justiz stellt alle Verfahren zu dem Absturz später ein.
2018 – Der Leiter der Untersuchungsbehörde des Verkehrsministeriums, der früher an hochrangiger Stelle im Innenministerium tätig war, wird suspendiert. Der Rechnungshof fordert nun neue Berichte zu den Abstürzen in Deutschlandsberg und in den Achensee ein.
2019 - Die Korruptionsstaatsanwaltschaft stellt kurz vor dem Erscheinen des neuen Berichts über den Absturz in den Achensee erneut alle Ermittlungen gegen den Leiter der Untersuchungsbehörde ein, die Suspendierung des ehemaligen Dienststellenleiters wird daraufhin aufgehoben. Er darf nun wieder im Ministerium tätig sein.
Flugpolizeichef Werner Senn wurde vom KURIER in den vergangenen drei Jahren mehrfach um Stellungnahmen zu allen Vorgängen ersucht, ihm wurden mehrere Fragenkataloge zu den Vorkommnissen rund um den Absturz in den Achensee gemailt. Am Donnerstag wurde ihm noch einmal die Gelegenheit angeboten, persönlich seine Sicht zu dem nun erschienen Bericht darzulegen. Er hat bis heute gegenüber dem KURIER nichts zu den Vorgängen gesagt oder geschrieben.
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