Skeptische Pfleger: Ungeimpft am Krankenbett
Die Zurückhaltung des Pflegepersonals gegenüber der Corona-Impfung ist groß. Sie dürfte sogar so groß sein, dass am Donnerstagnachmittag Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) neuerlich ausrückte, um für die Impfung Stimmung zu machen. Diesmal im Agnesheim, einem Landespflegeheim im niederösterreichischen Klosterneuburg.
100 Bewohner leben in dem Heim. 47 Prozent von ihnen haben sich am Donnerstag impfen lassen, nach dem zweiten Impftag sollen es bis zu 60 Prozent sein. Das Pflegepersonal will bei der Impfquote mit den Bewohnern mithalten, heißt es.
Österreichweit liegt die Impfbereitschaft bei den Pflegern jedenfalls deutlich unter diesem Wert. Laut dem Verein Lebenswelt Heim, einem Dachverband von 650 Pflege- und Altersheimen in Österreich, wollen sich nur 35 bis 50 Prozent des Pflegepersonals gegen Corona impfen lassen. In den Wiener Pflegeheimen sind es etwa 50 Prozent. Ähnlich die Lage in den Spitälern.
Ärzte viel impfwilliger
Das ist äußerst wenig. Nicht nur im Vergleich mit der Impfbereitschaft der Ärzte – in den Wiener Gemeindespitälern liegt diese etwa derzeit bei 95 Prozent. Sondern auch, wenn man bedenkt, dass die Pflegebediensteten in Sachen Corona an vorderster Front kämpfen. Seit Monaten kümmern sich um jene, die besonders gefährdet sind. Und sind dabei selbst einem hohen Risiko ausgesetzt.
Warum also ist die Skepsis unter den Pflegebediensteten so hoch? Dafür gibt es viele Gründe. Manche sind eher profan, andere auch von der Politik verschuldet.
Uninformiert und unverwundbar
Beginnen wir bei den profaneren Gründen: Pflegepersonal ist meist jung – und fühlt sich daher oft nicht gefährdet. Der Vorteil einer Impfung liegt also für viele nicht gleich auf der Hand. Und wie in vielen anderen Bevölkerungsgruppen herrscht auch unter Pflegerinnen und Pflegern Skepsis gegenüber dem Impfstoff.
Jener, der aktuell in Österreich verimpft wird, ist ein sogenannter MRNA-Impfstoff. Diese Art des Impfstoffs ist (im Vergleich zu herkömmlichen Vektor-Impfstoffen) relativ neu und schafft deshalb vielerorts noch Verunsicherung. Obwohl auch dieser jahrelang erforscht und erprobt ist.
Andere Gründe sind eher emotionaler Natur. Laut Interessensvertreter Markus Mattersberger kommt bei Pflegerinnen und Pflegern, die in der ersten Runde geimpft werden, mitunter das Gefühl auf, als „Versuchskaninchen“ missbraucht zu werden.
Denn die Pfleger waren es, die sich zu Beginn der Krise teilweise ohne ausreichenden Schutz um die Bewohner kümmerten – und die jetzt auch noch die ersten sein sollen, die den neuartigen Impfstoff injiziert bekommen. Dass die Gefühlslage so verstimmt ist, hat laut Interessensvertreter Mattersberger auch mit der Kommunikation des Gesundheitsministeriums zu tun. Schon Mitte Dezember habe man gemeldet, dass die Impfbereitschaft äußerst gering sei – damals war sie laut Mattersberger gerade einmal zweistellig. Man habe um fundierte, umfassende und rechtzeitige Information für die Pflegebediensteten gebeten. „Aber es ist keine gekommen. Stattdessen hat man den Beginn der Impfung einen ,Pilotversuch’ genannt“, sagt Mattersberger. Nicht gerade vertrauenserweckend, den lang ersehnten Impfstart so zu kommunizieren.
Ein Faktum, das auch im Agnesheim in Klosterneuburg zutage tritt: Zur Impfung kam anfangs nicht einmal ein Beipackzettel, wird kritisiert.
Auch die Ausbildung spiele eine Rolle: „Pflegepersonal ist medizinisch gut ausgebildet. Die Leute wissen, wie ein anaphylaktischer Schock ausschaut (die schwerste Form eines allergischen Schocks, Anm.) Aber sie sind eben nicht so breit und gut ausgebildet wie Mediziner.“
Dazu kommt, dass derzeit noch offen sei, ob das Virus von Geimpften weitergegeben werden kann. „Ließe sich das eindeutig ausschließen, wäre die Impfbereitschaft sicher höher“, sagt Elisabeth Potzmann, Präsidentin des österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. Stattdessen müssten die Pflegekräfte davon ausgehen, dass sie trotz Impfung weiter mit FFP2-Maske und Schutzkleidung arbeiten müssen. Potzmann würde es daher begrüßen, dass für Geimpfte ähnliche Erleichterungen gelten wie für Mitarbeiter, die bereits eine Covid-Infektion durchgemacht haben: Weniger Tests und ein einfacher Mund-Nasen-Schutz anstelle der FFP2-Maske.
Laut Expertin ein weiterer Grund für die Skepsis: Zuletzt fühlte sich das Pflegepersonal nicht immer ausreichend wertgeschätzt: „Im Sommer etwa gab es auch mitunter mühsame Diskussionen um die Auszahlung von Corona-Boni“, sagt sie. „Weil man zwei Stunden zu kurz im Dienst war.“
Die Impfung, ein Geschenk
Für den auf öffentliche Gesundheit spezialisierten Soziologen Karl Krajic ist die Impfung allein ein Benefit. „Der persönliche Schutz ist ein Super-Privileg“, sagt er. Das sei auch etwas, das hätte besser kommuniziert werden müssen: die Impfung, ein Geschenk.
Pflegekräfte verpflichtend zu impfen, ist weder bei deren Vertretern erwünscht noch von der Politik angedacht. Sie für das bestehende Personal einzuführen, wäre rechtlich auch schwierig.
Denkbar wäre aber, dass – ähnlich wie bei anderen Impfungen – von neuen Mitarbeitern eine Covid-Impfung verlangt wird. Zahlenmäßig würde das aber kaum ins Gewicht fallen. Allerdings geht man davon aus, dass die Impfbereitschaft deutlich steigt, sobald mehr Menschen geimpft sind.
Bei der Impfaktion im Agnesheim blieben am Donnerstag übrigens vier Dosen übrig. Zunächst. Personal, das skeptisch war, ließ sich dann doch impfen.
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