Ischgl-Bericht: "Panikreaktionen bei den Gästen"

Scharfe Kritik der Kommission an Corona-Krisenmanagement. Kanzler Kurz kommt wegen Quarantäne-Ankündigung nicht gut weg.

Ischgl-Kommission: Versagen vom Bürgermeister bis zum Kanzler

Der Bericht der unabhängigen Expertenkommission von Ex-OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer zum Tiroler Corona-Management wurde mit Spannung erwartet - und tatsächlich: Er blättert sämtliche Missstände im Corona-Krisenmangement  in Ischgl, in der Bezirkshauptmannschaft Landeck und dem Land Tirol minutiös auf.

Kein Druck

Allerdings rückt Rohrer einen immer wiederkehrenden Vorwurf zurecht: Es habe keinerlei Hinweise gegeben, dass die Tiroler Behörden von wirtschaftlicher oder politischer Seite unter Druck gewesen seien. Das zielt auf das Gerücht, Sperren seien verzögert worden, um die Skisaison nicht allzu früh beenden zu müssen. "Dafür hat es keine Anhaltspunkte gebene", hält Rohrer jedoch am Montag fest.

Dennoch, der  Grundtenor des 300 Seiten dicken Berichts ist deutlich: "Es kam im Bezirk zu folgenschweren Fehleinschätzungen", rügt die Kommission, auch wegen "des großen Zeitdrucks und des Arbeitspensums". Sie habe "verspätet gehandelt", macht Rohrer klar.

5. März 2020: Die Tiroler Behörden erfahren, dass 14 isländische Gäste in ihrer Heimat nach einem Ischgl-Aufenthalt positiv auf das Virus getestet worden sind. Das Land teilt mit, dass am 29. Februar auf dem Rückflug von München nach Reykjavik ein bereits erkrankter Fluggast nach einer Italienreise an Bord war. Die Behörden nehmen an, dass die Ansteckung im Flugzeug und nicht in Tirol passiert war.

7. März: Das Testergebnis eines Barkeepers ist positiv. Die Mitarbeiter des betroffenen „Kitzloch“ werden isoliert und das Lokal vorübergehend gesperrt. Die Behörde ruft Besucher der Bar auf, sich an die Gesundheitshotline 1450 zu wenden.

8. März: Es wird bekannt, dass die erkrankten Isländer im „Kitzloch“ waren. Ebenso, dass drei weitere in Tirol positiv getestete Personen sich in Ischgl aufgehalten hatten.

9. März: Das Lokal „Kitzloch“ wird behördlich gesperrt.

10. März: Alle Aprés-Ski-Lokale in Ischgl werden geschlossen.

11. März: Es wird verkündet, dass das Skigebiet Ischgl für zwei Wochen gesperrt wird.

12. März: Erst heißt es, dass Ischgl seinen Betrieb für die Saison komplett einstellt. Am Abend sagt Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), dass mit Ablauf 15. März die gesamte Skisaison in Tirol beendet wird. Alle Beherbergungsbetriebe sollen mit 16. März schließen. Dänemark rät von Reisen nach Tirol ab.

13. März: Die Orte im Paznauntal - Galtür, Ischgl, Kappl und See - sowie St. Anton am Arlberg werden um 14.00 Uhr nach einer Pressekonferenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unter Quarantäne gestellt. Das Paznauntal bleibt für sechs Wochen bis zum 23. April isoliert.

15. März: Alle Skigebiete in Tirol schließen.

16. März: Alle Beherbergungsbetriebe, bis auf einige Ausnahmen für medizinisches Personal sowie im Geschäfts- bzw. Wirtschaftsbereich, schließen.

2. April: Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) berichtet, dass die angebliche Patientin Null am 8. März positiv getestet wurde. Es wird angenommen, dass die Kellnerin aufgrund der Symptome bereits am 8. Februar das Virus in sich trug. Das Land Tirol bezweifelt diese Aussagen und meint, dies entspreche nicht „der faktischen Datenlage“.

13. Mai: Der Tiroler Landtag setzt nach einigem politischen Hickhack eine Expertenkommission zur Untersuchung des Krisenmanagements unter dem Vorsitz von Ex-OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer ein. In derselben Sitzung übersteht der viel kritisierte Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) ein Misstrauensvotum.

25. Juni: Eine Studie der Medizinischen Universität Innsbruck ergibt, dass 42,2 Prozent der Ischgler Bevölkerung Antikörper in sich tragen.

23. September: Der Verbraucherschutzverein (VSV) bringt vier Amtshaftungsklagen gegen die Republik von Covid-19-Geschädigten beim Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen ein. Der VSV unterstellt den lokalen Behörden in Tirol und den verantwortlichen Politikern auf Bundesebene über Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bis hin zum Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schwere Fehler beim Pandemie-Management in den Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020.

30. September: Die Innsbrucker Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie nun offiziell gegen vier Personen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ermittelt. Darunter befinden sich der Ischgler Bürgermeister Werner Kurz sowie dem Vernehmen nach der Bezirkshauptmann von Landeck, Markus Maaß, sowie zwei weitere Mitarbeiter der Behörde.

Quarantäne "ohne Vorbereitung"

Heftig fällt die Kritik der Experten auch an den Bundesbehörden auf, speziell Kanzleramt und Gesundheitsministerium. So sei die Ankündigung der Verhängung der Quarantäne  über das Paznauntal sowie St. Anton "durch den österreichischen Bundeskanzler überraschend und ohne Bedachtnahme auf die notwendige substanzielle Vorbereitung" erfolgt, rüffelt die Kommission. Es habe an Kommunikation mit den zuständigen Behörden gefehlt - und überhaupt hätte Kanzler Sebastian Kurz die Quarantäne ohne "unmittelbare Zuständigkeit" angekündigt.

"Kontrolliertes Abreisemanagement" fehlte

Das hatte Folgen: "Es kam zu Panikreaktionen von Gästen und Mitarbeiter", beschreibt Vorsitzender Rohrer. "Die Gäste sind teilweise noch mit den Skischuhen zum Auto. Leihski wurden in die Eingänge von Geschäften geworfen."

Es  sei auch ein Fehler gewesen, vorzeitig die Errichtung von polizeilichen Checkpoints bekannt zu machen, kritisiert Rohrer. Ebenso nicht zu kommunizieren, dass ausländische Gäste gestaffelt die Region verlassen könnten. Dazu wäre ein "kontrolliertes Abreisemanagement" zu planen und umzusetzen gewesen: "Die missverständliche Ankündigung des Bundeskanzlers hätte für die Verantwortlichen der Bezirkshauptmanschaft Landeck Anlass sein müssen, sofort im Wege der Tourismusverbände dahingehend zu informieren, dass die Abreise der ausländischen Gäste nicht sofort, sondern gestaffelt und kontrolliert über das Wochenende erfolgen kann und muss."

Zu spät geschlossen

Dass der Skibetrieb erst für 12. März veranlasst wurde, sei aus "epidemiologischer Sicht falsch" gewesen: Bereits spätestens am 9. März sei dies zu verordnen gewesen - wäre der Infektionsverlauf "richtig eingeschätzt" worden, heißt es im Bericht.

Kurz zur Ischgl-Kritik „Die Entscheidungen waren stets abgestimmt"

"Schonungsloser Bericht"

Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) gestand nach der Kritik am Krisenmanagement durch die Kommission durchaus Fehler ein.  "Insbesondere am Beginn der Pandemie  wurden auch fachliche Fehleinschätzungen getroffen, die man heute anders treffen würde", kommentierte der Landeschef. "Ich habe immer gesagt, dass bei einer weltweiten Pandemie niemand von sich behaupten kann, alles richtig gemacht zu haben. Vor allem am Beginn der Virusausbreitung haben sich weltweit die epidemiologischen Einschätzungen ständig verändert. Heute wissen wir bereits viel mehr."

Ihm sei "weltweit kein Land bekannt, das jetzt schon einen schonungslosen Bericht über das Krisenmanagement vorliegen hat – und daraus nun für die weitere Bekämpfung der Pandemie lernen kann". Beim ersten schnellen Durchlesen zeige der Bericht, dass die Behörden bei einer noch nie dagewesenen Krisensituation ein enormes Arbeitspensum bewältigt hätten. "Der Bericht zeigt auch auf, dass viele Dinge gut gelaufen sind und mutige, richtige Entscheidungen wie etwa die Beendigung der Wintersaison getroffen wurden, womit ein Gästewechsel verhindert werden konnte."

Kommentare