Kitzloch-Chef: "Après-Ski ist sicher nicht tot"
Die Barhocker im „Kitzloch“ stehen auf dem Tresen. Dort liegen auch noch die T-Shirts der Belegschaft. Für sie endete die Wintersaison abrupt, nachdem einer ihrer Kollegen am 7. März positiv auf das Coronavirus getestet wurde.
Die Kellner, die sich in dem Après-Ski-Lokal mithilfe von Trillerpfeifen ihren Weg durch das Partyvolk bahnen müssen, kamen zunächst in Quarantäne. Zwei Tage später war klar: Alle Servicekräfte sind infiziert. Inklusive dem Chef.
Am Donnerstagvormittag sperrt Bernhard Zangerl für den KURIER am ersten Tag nach Ende einer fast sechs-wöchigen Quarantäne über Ischgl und das gesamte Paznauntal sein Lokal auf, das mittlerweile weltberühmt ist.
Die erste Saison
Auf die Schlagzeilen hätte der 25-Jährige verzichten können. „Das Medieninteresse ist verständlich“, sagt der Sohn einer Hoteliersfamilie, die auch ein Fünf-Sterne-Haus und mit dem „Kuhstall“ noch eine bekannte Après-Ski-Bar im Ort betreibt.
Das „Kitzloch“ haben die Zangerls erst im Herbst übernommen. „Dass ich das hier gleich mit so einer Verantwortung mache, ist doppelt schwer“, gesteht der Junior ein.
Dass er seine Bar, in der sich normaler Weise 200 bis 300 Gäste zum Feiern nach dem Skifahren drängen, nach dem ersten Corona-Fall – einem 36-jährigen Barkeeper – zunächst noch einmal aufgesperrt hat, ließ auch ihn vorübergehend ins Fadenkreuz der Kritik kommen.
„Wir haben alle Behördenauflagen erfüllt, die Mannschaft ausgetauscht und das Lokal desinfiziert“, erzählt Zangerl. Die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, habe er zunächst unterschätzt. „Die Sensibilität war damals noch nicht so fortgeschritten“, sagt Zangerl.
„Mein über 80-jähriger Opa hat hier noch am Abend bevor wir vom ersten Fall erfahren haben Gulaschsuppe gegessen“, erzählt der 25-Jährige.
Der junge Wirt stellt sich, anders als seine Kollegen im Ort, bewusst den Fragen der Medien. Die sind in Ischgl alles andere als gerne gesehen. „Kaum offen und schon ist die Presse da“, wird das KURIER-Team am Tag eins nach der Sperre von einem Einheimischen begrüßt. Andere schütteln den Kopf oder sparen nicht mit bösen Blicken.
Sonst als „Ballermann der Alpen“ bekannt, wurde Ischgl in den vergangenen Wochen als „Wuhan Europas“ bezeichnet. Laut neuesten Zahlen der AGES haben sich in und um Ischgl im „Cluster S“, zu dem auch St. Anton am Arlberg gehört, 825 von bislang rund 2.000 ausgewerteten Coronafällen in Österreich infiziert bzw. wurden von Heimkehrern angesteckt.
„Es tut weh, wie die Leute uns als Virenschleuder angeprangert haben“, sagt eine freundliche Frau, die eine Pension betreibt und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Von ihren Stammgästen habe sie jedoch viele positive Nachrichten bekommen. „Die wollten wissen, wie es uns geht.“
Die Dorfbewohner scheinen an diesem Tag die Straßen tunlichst zu meiden – vermutlich um den angereisten Reportern aus Österreich und Deutschland zu entgehen. Für ein bisschen Betrieb sorgen nur Getränkelieferanten, die Ware abholen, die in diesem Winter nicht mehr gebraucht wird.
„Dass der Ort mitten in der Saison plötzlich leer ist, habe ich noch nie erlebt“, sagt Fritz Zangerl zu der nun überstandenen Quarantäne. Dabei dürfte der 82-Jährige, der früher Kassier bei den Bergbahnen war, schon einiges in seinem Heimatdorf erlebt haben.
Eigentlich hätte die Saison heuer am 2. Mai von Eros Ramazotti beendet werden sollen. Der Italo-Barde lächelt noch von einem Plakat herunter, das vor dem Büro des Tourismusverbands einen Kreisverkehr schmückt. Statt mit dem 25. Abschlusskonzert in Ischgl ging der Winter am 13. März mit der verhängten Quarantäne zu Ende.
Ewa ein Drittel des Geschäfts sei den Betrieben im Ort weggebrochen, schätzt „Kitzloch“-Chef Zangerl.
Dazu kommt noch der Image-Schaden, der noch gar nicht beziffert werden kann und die Ungewissheit, wann der Tourismus wieder in Fahrt kommt. Vor allem das Ischgler Partyleben steht nun als perfekter Motor für die Ausbreitung von Covid-19 da. Zangerl ist dennoch überzeugt: „Après-Ski gehört einfach zu Ischgl dazu und ist sicher nicht tot.“
Zurückhaltender gibt sich da schon Ischgls Bürgermeister Werner Kurz. „Wir wollen keine Tagesbusgäste, die nur zum Feiern kommen“, sagt er im KURIER-Gespräch und sieht seinen Ort zu Unrecht „in Richtung Ballermann-Tourismus gerückt“. Fakt ist: Auch ein großer Teil der Nächtigungsgäste lässt es gerne nach der Talabfahrt krachen.
Neue Après-Ski-Kultur
Gemeinde, Seilbahner und Touristiker wollen aber einen Umkehrschwung versuchen – nicht zum ersten Mal im Übrigen. Künftig werde man die Qualität von Skigebiet, Hotels und Lokalen in den Vordergrund rücken, so Kurz. Ist Après-Ski also doch tot?
„Wir wollen eine echte Après-Ski-Kultur und weniger Party“, sagt der Bürgermeister. Wie das genau aussehen soll, kann er noch nicht beantworten. Daran würde gerade gearbeitet.
Vorerst sieht sich der Wintersportort mit seinen über 11.000 Betten – wie auch der Tiroler Tourismus insgesamt – mit der Frage konfrontiert: Wurde Geldgier über die Gesundheit gestellt und die Saison daher erst beendet, als der Hut längst lichterloh brannte?
Nach den Vorgaben
„Ich möchte mein Bedauern für jeden einzelnen, der sich in Ischgl infiziert hat, ausdrücken“, sagt Kurz dazu und versichert: Höchste Priorität in Ischgl habe die Gesundheit von Gästen, Mitarbeitern und schlussendlich der einheimischen Bevölkerung.
„Es wird uns doch keiner nachsagen wollen, dass wir unsere eigenen Leute gefährden wollen.“ Man habe „immer nach Vorgaben der Behörden gehandelt“.
Eine von Ischgl ausgehende Corona-Welle hat das aber nicht stoppen können, wie man heute weiß.
1,4 Millionen
Nächtigungen hat Ischgl im Winter 2019 verbucht. Das ist in Tirol Platz zwei hinter Sölden im Ötztal.
11.000 Betten
genauer gesagt 11.800 Gästebetten stehen in dem Dorf im Paznauntal bereit. Ischgl hat etwas mehr als 1.500 Einwohner
825 Infizierte
in Österreich haben sich ausgehend von der Region infiziert
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