Geheimer BVT-Bericht: Der ORF im Visier der Corona-Leugner
Der Verfassungsschutz ist sich sicher: Durch die Verlängerung des Lockdowns werden die Proteste gegen die Regierung und deren Corona-Maßnahmen zunehmen.
So steht es im geheimen, internen Lagebericht des BVT für das Innenministerium, den der KURIER einsehen konnte. Aufgeschlüsselt werden dort Bedrohungslage, wichtige Organisatoren und neue Ziele der Bewegung.
So sollen speziell der ORF und dessen Kampagne für das Impfen („Österreich impft“) ins Visier genommen werden. Für die kommenden Wochenenden sind zahlreiche Demonstrationen vor der ORF-Zentrale in Wien und vor den Landesstudios angedacht. Bei diesen Aktionen sollen TV-Mitarbeiter „friedlich, aber lautstark mit sehr vielen Unannehmlichkeiten“ am Zugang zur Arbeitsstelle gehindert werden.
Totenkopf für ORF
Vergangene Woche wurde beim ORF Landesstudio Burgenland ein selbst gebastelter Totenkopf, der aus Schutzmasken bestand, als erster Gruß hinterlegt. Alle ORF-Einrichtungen werden deshalb bis auf Weiteres permanent überwacht, auch Polizeistreifen sind verstärkt im Umfeld unterwegs.
Im Visier sind jene Wissenschafter, die für die Impf-Kampagne im Fernsehen werben. Laut dem Lagebericht habe es bereits konkrete Drohungen gegen einzelne Sprecher gegeben. Ziel ist es auch, den ORF als „Lügenpresse“ darzustellen. Eine Bezeichnung, die antisemitische Wurzeln hat und vorwiegend von Rechtsextremen verwendet wird. Die Demonstranten und deren Sympathisanten werden durchwegs als „Covid-19-Maßnahmen-Gegner“ bezeichnet; der Begriff „Querdenker“ wird in Österreich nicht verwendet.
Gefährdungslage
Vor allem der immer stärker werdende Einfluss von Rechtsextremen wird als Gefährdung angesehen. Diese versuchen, die Proteste als „Marsch der Patrioten“ darzustellen. Vor allem in Telegram-Chat-Gruppen kommt es zu einer Radikalisierung der Teilnehmer, die rechtsextreme Feindbilder (Regierung, Medien, Experten) übernehmen. Das BVT registriert zunehmende Drohungen vor allem gegen Fachleute, offenbar sind auch Virologen im Visier.
Nach außen hin geben sich alle Teilnehmer betont friedlich. Der Verfassungsschutz prüft derzeit aber auch Hinweise, ob es zu Gesprächen über einen Staatsstreich gekommen ist. So soll sich eine Gruppe aus der Steiermark, die sich intern als Hardliner bezeichnet, für den Tag nach der Demonstration in Wien für eine Stürmung des Parlaments und die Absetzung von Bundespräsident Alexander van der Bellen ausgesprochen haben.
Diese Radikalisierung dürfte mittlerweile aber auch zu Streitereien innerhalb der Organisatoren geführt haben. Montagabend spaltete sich die Gruppe offenbar in zwei Teile, man möchte nun künftig nicht mehr gemeinsam marschieren.
Im Verfassungsschutz sieht man mit zunehmender Besorgnis, dass rechtsextreme Gruppen die gesamte Organisation der Proteste übernehmen und besorgte Bürger sozusagen als Schutzschild missbrauchen. Nach dem Tod des Autors und Neonazis Gerd Honsik („Freispruch für Hitler?“) dürfte dessen Erbe unter den rechtsextremen Kadern aufgeteilt worden sein, deshalb soll es auch eine gute Finanzierung für die Bewegung geben, glaubt man im BVT.
Vor allem die „Querfront“ soll als Plattform dienen, dort sammeln sich alte Bekannte aus Zeiten der VAPO (siehe Zusatzbericht). Verstärkt werden diese durch einen Baumeister mit Drähten zur Motorrad-Rocker-Szene und einem weitläufigen Komplizen einer bekannten Mörderin.
Anzeigen und Klagen
Die Maßnahmen, die von den Maßnahmen-Gegnern ergriffen werden, erinnern teilweise an Methoden der Staatsverweigerer. So sollen Politiker und Entscheidungsträger (auch Schulleiter oder Pflegeheimleiter) wegen Körperverletzung angezeigt werden. Damit sollen deren Aktivitäten durch Einschüchterung verhindert werden.
Der Verfassungsschutz sieht jedenfalls „eine Reihe realistischer Gefährdungsszenarien auch für kritische Infrastrukturen, die weit über ein friedliches Protestverhalten hinausgehen“. Fotos von den Demonstrationen in Wien zeigen jedenfalls, dass vereinzelte Aktivisten mit militärischen Uniformen und einer sogar mit einem militärischen Einsatzhelm unterwegs war. Bei den Protesten wurden auch Personen aus der Hooligan-Szene gesichtet.
Diese Personen werden vom BVT beobachtet:
Wer in die Welt der Corona-Kritiker und -Leugner eintaucht, trifft immer auf dieselben Namen. Eine Handvoll Organisatoren stecken hinter den Demos und mobilisieren in den sozialen Medien.
Allen voran der Kärntner Martin Rutter. Erst bei den Grünen, später bei der FPÖ und beim BZÖ. Außerdem hielt er eine Rede über die Migrationslüge beim Wehrmachts-Veteranentreffen am Ulrichsberg. Über die Protestbewegung will er wieder in die Politik: mit der neu gegründeten Partei „Die Direkte“. Das kommt nicht bei allen Unterstützern an – denn die wollen eine Abkehr von der Parteipolitik. Eine Abgrenzung zu rechtsextremen Gruppen fällt ihm schwer. „Ich habe in den vergangenen zehn Monaten auch mit der Corona-Querfront (dazu gehört u. a. Gottfried Küssel, Anm.) zu tun gehabt. Ich habe mit jeder der 20, 25 Corona-Initiativen in Österreich zu tun gehabt und Gespräche geführt“, sagt Rutter. „Aber es ist juristisch nicht möglich, jemanden aus dem Demonstrationszug hinauszuschmeißen. Mitgehen kann jeder.“ Nachsatz: „Für alle extremistischen und unerlaubten Strömungen außerhalb des Verfassungsbogens sind wir aber nicht offen.“
Einst Rutters Verbündete, jetzt hat sie sich von ihm abgewandt: die Wiener Neustädterin Jennifer Klauninger. Sie leitet die Gruppe „Wir gemeinsam“ und steht laut Verfassungsschutz der rechtsextremen Szene nahe. Klauninger war kurzfristig Mitglied der FPÖ, gründete während der Flüchtlingskrise die „Partei des Volkes“. Einem breiteren Kreis wurde sie bekannt, als sie bei einer Corona-Demo eine Regenbogenfahne zerriss.
Ebenfalls bei „Wir gemeinsam“ engagiert sich Jasmina W. Sie hatte unter anderem einen Demonstrationszug am vergangenen Wochenende angemeldet.
Unter dem Titel „Fairdenken“ tritt der Wiener Hannes B. auf – er stand auch bei der jüngsten Kundgebung in der ersten Reihe. Er gilt als Demo-Organisator. „Fairdenken“ steht in engem Kontakt mit Rechtsextremen. So traten bei einer Veranstaltung im Herbst Küssel-Vertraute als Redner auf.
Eine wichtige Rolle in Oberösterreich und der Steiermark hat Daniel Stoica. Der Verfassungsschutz kennt ihn bereits aus staatsfeindlichen Verbindungen. Zuletzt hatte er insgesamt 19 Demos organisiert.
Vom Neonazi-Führer zur Corona-Querfront
Den harten Kern der österreichischen Rechtsextremisten- und Neonaziszene schätzt das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) heute auf 1.000 bis 2.000 Personen. Eine der Schlüsselfiguren ist nach wie vor der Ex-VAPO-Führer Gottfried Küssel.
Laut Verfassungsschutzbericht gibt es hierzulande drei Strömungen: Das Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ mit engen Verschränkungen in die Skinheadszene und das kriminelle Rocker-Milieu. Die zweite Gruppe ist die „Identitäre Bewegung Österreich“ (IBÖ) um Martin Sellner, die sich dem Kampf gegen den „Bevölkerungsaustausch verschrieben hat. Sellner ist ein ehemaliger „Gesinnungsgenosse“ von Küssel, um den sich die dritte Gruppe schart.
Küssel ist seit gut 40 Jahren ein Aushängeschild der Neonaziszene. Seine ersten Sporen verdiente er sich bei der Aktion Neue Rechte (1976) und bei der behördlich auf gelösten Kameradschaft Babenberg (1980). Sechs Jahre später gründete Küssel die Volkstreue Außerparlamentarischen Organisation (VAPO). Die VAPO stieg laut DÖW in der erste Hälfte der 1990-er Jahre zu wichtigsten Neonazi-Organisation in Österreich auf.
Küssel nimmt mit seinem Trupp an diversen Versammlungen neonazistischer Gruppen in Deutschland teil. In Österreich fällt er laut DÖW durch seine Teilnahme an Wehrsportübungen im Raum Langenlois (1990/91) auf. 1993/94 ist dann Schluss mit den einschlägigen Leibesübungen. Küssel wird wegen NS-Wiederbetätigung in zweiter Instanz zu elf Jahren Haft verurteilt.
1999 wird er aber vorzeitig entlassen. In den Folgejahren wird etwas ruhiger um den rechten Rabauken. Durch die lange Haft hat er Boden in der rechten Szene verloren und den muss er sich mühsam zurückkämpfen.
Erst Mitte der 2000-er Jahre wird er wieder aktiver und nimmt an Veranstaltungen im In- und Ausland teil. Seit April 2009 wird die neonazistische Website alpen-donau.info betrieben. Auf ihr wird gegen Minderheiten und Politiker gehetzt, außerdem ist sie aggressiv antisemitisch. Die Behörden verdächtigen Küssel, Initiator der Neonazi-Website zu sein.
Im Frühjahr 2011 wird Küssel in Zusammenhang mit den alpen-donau.info-Ermittlungen verhaftet und 2014 zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Erst am 11. Jänner 2019 wird Küssel entlassen. Laut DÖW hält sich Küssel bisher „ziemlich bedeckt“. Seine ersten Auftritte soll er vor allem als Aktivist der „Corona-Querfront“ absolviert haben.
Kommentare