Die neue Strenge für Ungeimpfte – was dahinter steckt
Führt ein exklusiver Zugang für Geimpfte zu Freizeiteinrichtungen oder Lokalen zu einer „Spaltung der Gesellschaft“, wie manche nach dem Vorstoß von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) befürchten?
Zufall oder nicht: In Vorarlberg haben Impfgegner ein Zelt beim Tennis-Event-Center Hohenems verwüstet, das in Kürze vom Land als Impfzentrum in Betrieb genommen werden soll. Unbekannte verunstalteten Mobiliar mit Farbe.
1-, 2- oder 3-G
Tatsächlich nimmt die Debatte um die sogenannte 1-G-Pflicht an Fahrt auf: Während die einen den Vorstoß Hackers unterstützen, wehren sich andere heftig. Und drohen sogar mit Verfassungsklagen.
Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sagte erst, Hackers Vorstoß komme „zu früh“, am Dienstag sagte er der „ZiB“ dann, dass man „ab Oktober über 1-G reden wird müssen“.
Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen rund um die 1-G-Debatte.
Ist eine 1-G-Regelung – bestimmte Einrichtungen sind ausschließlich für Geimpfte zugänglich – überhaupt epidemiologisch sinnvoll?
Ja. „Die Infektionsgefahr, die von infizierten Geimpften und von infizierten Genesenen ausgeht, ist geringer als die Gefahr, die von nicht geimpften Infizierten ausgeht“, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems. Virologin Dorothee von Laer von der MedUni Innsbruck sagt: „Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, ist für einen Geimpften um mehr als das Zehnfache geringer als für einen Ungeimpften.“
„Geimpfte tragen vermutlich nur zu einem Fünftel bis einem Zehntel zum epidemiologischen Risiko bei“, sagt der Komplexitätsforscher Peter Klimek. Kontaktreduktionen für Geimpfte seien ungleich schwerer zu argumentieren.
Eine Regelung, die Geimpfte bevorzugt, könne zumindest für einen Teil der Impfskeptiker eine Motivation zur Impfung sein. Das Risiko neuerlicher Lockdowns könnte so verhindert werden. Ungeimpfte seien der „Motor“ der vierten Welle, sagt etwa Ärztekammerchef Thomas Szekeres. Kritiker befürchten allerdings ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft.
Und wie ist das mit den Genesenen?
„Für mich sind Genesene gedanklich eigentlich immer bei den Geimpften dabei, weil Genesene in den meisten Fällen sogar eine umfangreichere Immunität entwickeln als Geimpfte“, sagt der Epidemiologe Gartlehner. Genesene, deren Erkrankung nicht länger als sechs Monate zurückliegt oder die darüber hinaus neutralisierende Antikörper nachweisen können, seien „ganz sicher genauso geschützt wie Geimpfte meiner Ansicht nach. So gesehen bin ich für 2-G“.
Das Nationale Impfgremium empfiehlt Genesenen angesichts „der Delta- und möglicher neuer, infektiöserer Varianten“, sich ab vier Wochen nach der Infektion einmal impfen zu lassen.
Aber ist es wirklich notwendig, so auf den Impffortschritt zu drängen? Im EU-Ranking liegt Österreich doch nicht so schlecht.
Nimmt man Teil- und Vollimmunisierte zusammen, liegt Österreich (60 Prozent) unter dem EU-Schnitt (62 Prozent). Wenn es nur um Vollimmunisierte geht, liegen wir knapp darüber: Österreich 56 Prozent, EU-Schnitt 54 Prozent. „Aber wir sollten uns fragen, warum wir nicht dort sind, wo die besten Länder liegen“, sagt Gartlehner: „Wir sollten uns an den besseren Ländern orientieren.“
40 Prozent Ungeimpfte sei ein enormes Reservoir für die Delta-Variante: „Da kann es schon noch zu einer starken Welle kommen. Das darf man nicht unterschätzen. Deshalb müssen wir die Impfrate noch weiter steigern.“
Wer spricht sich politisch für strengere Regeln aus?
Wiens Peter Hacker erhält weitere Unterstützung. Unter anderem von Innsbrucks grünem Bürgermeister Georg Willi – einem Parteifreund von Gesundheitsminister Mückstein (siehe unten).
Auch andere Bundesländer – mit Ausnahme des Burgenlands – signalisierten zuletzt Unterstützung, wenn auch zurückhaltender. In der Steiermark zeigt man sich ebenso wie in den ÖVP-geführten Ländern auf der Westachse (Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg und Salzburg) für Verschärfungen offen, sieht aber den Bund in der Pflicht.
Auffällig: Die Landeschefs blieben dabei in Deckung und überließen das Kommunizieren ihren Gesundheitslandesräten. Das Thema scheint den Landeschefs zu kontroversiell, um sich klar auf eine Seite zu schlagen. Das Rufen nach dem Bund erweckt den Eindruck, dass man den Schwarzen Peter lieber dem Gesundheitsminister zuschanzen will.
Auch in den betroffenen Branchen selbst gibt es Befürworter. In Tirol etwa, wo sich bereits die Hoteliers für Beschränkungen ausgesprochen haben, zeigen sich auch die Wirte kooperativ: „Wenn es gesundheitstechnisch nötig ist, bin ich dafür. Wenn nicht, dann nicht“, sagt Alois Rainer, Obmann der Sparte Gastronomie in Tirol, zur 1-G-Regel. Eine freiwillige Beschränkung kommt für ihn aber nicht infrage. „Das wäre ein wirtschaftliches Himmelfahrtskommando. Das kann im schlimmsten Fall 50 Prozent Kundenfrequenz kosten.“ In Wien ist die Branche gespalten.
Wären Beschränkungen für Ungeimpfte rechtlich überhaupt möglich?
Nein, ist der Wiener Rechtsanwalt Florian Höllwarth überzeugt. Ankündigungen wie ein Lokalverbot für Ungeimpfte seien ein Fall für den Verfassungsgerichtshof. „Schlimm, wie sich das ganze Thema entwickelt“, sagt er. Und er bereitet bereits eine entsprechende Klage vor.
Er ruft „Ungeimpfte, die sich das nicht bieten lassen wollen“, dazu auf, sich bei ihm zu melden. „Je mehr, desto besser.“ Er hält die Regelung unter anderem für problematisch, weil es Menschen gebe, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Druck auf Ungeimpfte auszuüben, sei „ein weiterer erfolgreicher Schritt, die Bevölkerung zu spalten.“
Ja, sagt hingegen Verfassungsexperte Christoph Bezemek von der Uni Graz. Es sei ein legitimes Ziel der Politik, das Risiko für die „Volksgesundheit“ zu reduzieren, indem man Maßnahmen für eine möglichst hohe Impfrate setzt. „Man muss aber sachlich begründen können, dass die Impfung gesundheitspolitisch klare Vorteile gegenüber dem laufenden Testen bringt.“
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