„Verfassungsrechtlich ist es zulässig, zwischen Geimpften und Ungeimpften zu differenzieren.“
Es müsse nur sachlich begründet werden. Zwar weiß man mittlerweile, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben können – allerdings seltener als Ungeimpfte. Und nach derzeitigem Wissensstand verläuft auch eine etwaige Erkrankung deutlich milder. In den Spitälern liegen fast ausschließlich Ungeimpfte.
Eine absolute Sicherheit, dass die eine Gruppe gefährlich und die andere Gruppe ungefährlich sei, braucht es nicht, sagt Bezemek: „Die Verfassung verlangt nur, dass es anhand der verfügbaren Daten plausibel ist.“
Derzeit gehen Virologen und andere Experten davon aus, dass die Ungeimpften die vierte Welle im Herbst befeuern. Angesichts immer neuer, noch gefährlicherer Virusvarianten bleibt die Lage angespannt.
Und jene 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung, die sich in Umfragen als Impfskeptiker outen, wären genug, um das Gesundheitssystem lahmzulegen. Wenn dann wieder ein Lockdown verhängt wird, sei eine Differenzierung zwischen Geimpften und Ungeimpften verfassungsrechtlich sogar geboten, sagt Bezemek.
Man kann, vereinfacht gesagt, wegen der 20 Prozent Impfverweigerer nicht 100 Prozent der Bevölkerung einsperren.
Die Einschränkungen für Ungeimpfte könnten von Zutrittsverboten bis hin zu Ausgangsverboten gehen, wie wir sie aus den Lockdowns von Frühjahr und Herbst 2020 kennen – das allerdings nur „im Extremfall“, betont Bezemek. Ebenfalls denkbar, wenn auch deutlich schwieriger zu argumentieren, wäre ein Schul-Lockdown für Ungeimpfte. „Es kommt immer auf das aktuelle Bedrohungsszenario und die Verhältnismäßigkeit an“, erklärt der Verfassungsjurist.
So wie in Deutschland derzeit angedacht könnte auch in Österreich das Testen als Alternative zum Impfen nicht mehr amtlich akzeptiert werden. Das Motiv dahinter ist, dass die Regierung will, dass ihre Bevölkerung breit immunisiert ist. Bezemek: „Der Gesundheitsschutz der Gesamtbevölkerung ist ein wichtiges Interesse, das der Staat nicht nur verfolgen kann, sondern verfolgen muss.“ Nachsatz: „Es ist eben in einer Gesamtbetrachtung nicht jedermanns freie Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht.“
Ein Lockdown nur für Ungeimpfte käme einer indirekten Impfpflicht gleich. Florian Horn, ein auf Verfassungsfragen spezialisierter Rechtsanwalt, sieht das kritisch. „Das ist in Wahrheit schlimmer als eine echte Impfpflicht“, sagt er.
Es fehle die Aufrichtigkeit, schon jetzt schummle sich die Regierung mit den Zutrittsregeln (3G oder 2G) durch. Horn: „Eine echte Impfpflicht müsste die Regierung wissenschaftlich untermauern, ihre Motive offenlegen, und sie müsste in einen Diskussionsprozess einsteigen.“
Für problematisch hält der Jurist auch, was Deutschland gerade plant. Aus virologischen Überlegungen sei ein Negativ-Test beim Eintritt zu Veranstaltungen oder in der Gastronomie sogar zuverlässiger als eine Impfung – zeige der Test doch, dass man für einen bestimmten Zeitraum mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nicht ansteckend ist.
Horn fordert Klartext, was die politische Zielsetzung betrifft: „Wenn man eine hohe Impfrate will, dann muss die Regierung mit bundesweiten Regeln durchgreifen. Dazu braucht es aber Mut.“
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