Agenten-Krimi: Wien als Wirecard-Drehscheibe

Agenten-Krimi: Wien als Wirecard-Drehscheibe
Geheime Dokumente aus Österreichs Ministerien und aus dem Verfassungsschutz abgesaugt. Wie kam ein Finanz-Dienstleister sogar zu Formeln für Nervengift?

„Er war sehr jung, aber äußerst charmant und professionell. Ich würde ihn als Abenteurer bezeichnen, der früh in seinem Leben zu viel Geld gekommen ist und das genossen hat.“ So erinnert sich im KURIER-Gespräch ein ranghoher Beamter im Sicherheitsbereich über das erste Treffen mit Jan Marsalek.

Die Affäre rund um den Finanzdienstleister Wirecard überraschte selbst Insider. Aus dem einstigen Vorzeigeunternehmen wurde ein Skandal, der von Tag zu Tag größer wird. Mehr als 3 Milliarden Euro sollen versickert sein. Die in Wien geborenen Manager Jan Marsalek (derzeit flüchtig, vermutlich in Russland aufhältig) und Markus Braun (momentan in Deutschland in U-Haft) stehen unter dem Verdacht, dieses Geld möglicherweise auf den Philippinen verschwinden gelassen zu haben.

Doch vor allem Marsalek wollte weit mehr, angeblich sollte sogar eine russisch geführte Söldnertruppe in Libyen aufgestellt werden.

Viele Spuren nach Wien

Immer mehr Spuren führen in dieser brisanten Angelegenheit nach Wien, in geheimste Kreise und den sensibelsten Bereich des Landes. Bereits jetzt steht fest, dass Marsalek Zugriff auf Verschluss-Dokumente aus so vielen Behörden hatte, dass eigentlich nicht nur eine Person dies weitergegeben haben kann. Niemand hat die Möglichkeit, derart geheime Unterlagen sowohl aus dem Heeresbereich als auch aus dem Innenministerium einzusehen. Von manchen dieser Akten wussten nicht einmal hochrangige Vorgesetzte Bescheid, wie Insider dem KURIER versichern.

Nur ein Beispiel:

Im Außenamt sowie im Wirtschafts- und Verteidigungsministerium lag die Formel des russischen Nervengift Novitschok, mit dem im Jahr 2018 ein ehemaliger russischer Spion (Sergej Skripal) in Großbritannien vermutlich von russischen Agenten vergiftet worden war. Im Verteidigungsministerium waren die dazu passenden Dokumente in einem videoüberwachten Safe. Dort ist man sich deshalb sicher, nicht die undichte Stelle zu sein.

Gab es (auch) im Wirtschafts- oder Außenministerium eine undichte Stelle?

Fest steht anhand eines Strichcodes, dass nur diese drei Behörden infrage kommen. Eine entsprechende Anzeige wurde bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht.

Die beiden Manager waren in Wien einst jedenfalls hoch angesehene Gäste, Braun schaffte es in den Think Tank von Bundeskanzler Sebastian Kurz und in andere erlauchte Kreise der Gesellschaft. Marsalek traf einen Brigadier des Verteidigungsministeriums, der auch im nationalen Sicherheitsrat sitzt, in seiner privaten Wohnung in München.

Und es gab laut KURIER-Informationen offebar Kontakt mit einem Kabinettsmitarbeiter von Innenminister Herbert Kickl. „Damals war das ja ein hoch angesehenes Unternehmen“, meint ein Beamter achselzuckend. Mehrere Ministerien überlegten außerdem, Handy-Apps mit einer Partnerfirma von Wirecard.

INTERVIEW MIT FPÖ-KLUBOBMANN JOHANN GUDENUS

Gudenus bekam Infos

Doch auch im Innenministerium wiederum hätte man nicht so einfach Zugriff auf geheime Akten des Verfassungsschutzes. Marsalek verriet ja sogar Wissen des BVT an den FPÖ-Mann Johann Gudenus. Dass ein Außenstehender derartig viele Geheimnisse eines Staates kennt, macht die ganze Causa zu einer ganz großen Sache.

Nicht einmal im nationalen Sicherheitsrat sind derartig viele Informationen auf einmal zu finden, meint jemand, der mit den dortigen Abläufen vertraut ist. Selbst der Bundespräsident oder Bundeskanzler haben keinen Zugriff oder sogar das Wissen über alle diese Details.

Wie also kam Marsalek zu all diesen Informationen?

Die möglichen Antworten darauf sind eigentlich alle beunruhigend. Die Variante eins bedeutet, dass Marsalek selbst dies alles zusammengetragen hat. Das führt zu der Frage, wie der Manager eines Unternehmens zu derartig vielen hochbrisanten Informationen kommt.

Die andere Möglichkeit wäre, dass er diese Informationen von einem fremden Geheimdienst erhalten hat – in den Verdacht käme natürlich speziell ein russischer Dienst. Marsalek soll, wie der KURIER bereits vor Wochen berichtet hat, in Russland untergetaucht sein. Dort scheint jemand die schützende Hand über ihn zu halten.

Stimmt diese Variante, dann deutet vieles darauf hin, dass Russland Zugriff auf viele sensible Informationen hätte. Beide Möglichkeiten wären ziemlich erschütternd.

Entwicklung: Bereits in den 70er-Jahren wurde das Nervengift in der Sowjetunion  und später in Russland (weiter-) entwickelt.

Wirkung: Nur ein Milligramm kann bereits tödlich sein. Das Gift lähmt alle Nerven und damit alle Muskeln, auch jene des Herzens und der Lunge – das führt schließlich zum Tode

Die Formel: Darüber, wie die Formel in den Westen gelangte, gibt es verschiedene Geschichten. In einer wird behauptet, dass österreichische und deutsche Geheimdienste die Formel für die USA gestohlen haben sollen.

Die Ermittlungen

Im Sicherheitsbereich ist jedenfalls Feuer am Dach. Das Innenministerium hat alle drei wichtigen Dienststellen (Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesamt für Korruptionsbekämpfung) mit sofortigen Ermittlungen beauftragt.

Im Verteidigungsministerium ist man sich sicher, dass jener Brigadier, der Marsalek traf, sich nichts zuschulden kommen hat lassen. Deshalb wurden bisher auch keine dienstrechtlichen Maßnahmen eingeleitet.

__________________

HNA, HAA, BVT – die drei Geheimdienste

 „Der Fall Marsalek wächst sich zu einem Sicherheitsdrama aus. Es muss dringend aufgeklärt werden, inwieweit sich Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und Heeresnachrichtenamtes für rechtswidrige Machenschaften hergaben“, sagt NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper.  Auch die FPÖ sprach zuletzt von einem aufgedeckten Sicherheitsproblem.

Der Fall offenbart, quasi nebenbei auch ein altes österreichisches Problem, nämlich dass drei Nachrichtendienste tätig sind und diese sogar unterschiedlichen parlamentarischen Kontrollgremien unterstehen. So sind die beiden Heeresdienste (HNA und HAA) dem Geheimdienstausschuss zugeteilt, der Verfassungsschutz (BVT) hingegen dem Innendienstausschuss.

Auch sonst gibt es nicht viele Gemeinsamkeiten, mitunter wird sogar aneinander vorbei gearbeitet, wird immer wieder kritisiert.
 

Agenten-Krimi: Wien als Wirecard-Drehscheibe

Krisper 

In der Schweiz etwa wurden diese Dienste zusammengeführt, in Österreich sind sie aber politische Spielwiesen. Meist scheitert daran eine Reform, auch unter türkis-blau gab es entsprechende Pläne, die aber nie umgesetzt wurden. Sehr oft schon sind gut gemeinte Projekte im Sande verlaufen.

Derzeit sind die Ermittlungen so aufgeteilt:

Das Heeresnachrichtenamt (rund 560 Mitarbeiter) beschafft und analysiert Informationen aus dem Ausland. Besondere Stärken dieser Behörde sind die Aufklärung am Balkan und teilweise auch im nordafrikanischen Raum. Täglich wird ein  Lagebericht erstellt, der der Staatsspitze zur Verfügung steht.

Das Heeres-Abwehramt (rund 250 Mitarbeiter) dient der Aufklärung über Bedrohungen für das Heer, auch bei Auslandseinsätzen. Bekämpft wird außerdem der Extremismus innerhalb des Heeres oder mögliche Sabotageakte oder Spionage.

Der Verfassungsschutz wird derzeit reformiert und verfügt über rund 400 Mitarbeiter. Er soll Informationen über Terrorismus und Extremismus sammeln. Im Zuge der Reform im kommenden Herbst soll der Dienst de facto zweigeteilt werden, in eine Einheit für Informationsbeschaffung und eine für die Ermittlungen. Dabei soll es auch zu einer wichtigen Neuerung kommen: So müssen die Mitarbeiter nicht mehr Anzeige erstatten, wenn sie eine strafbare Handlung beobachten. Dass die Beamten einschreiten müssen, behindert in manchen Fällen die Aufklärung.

Die NEOS wollen, dass zumindest die Kontrolle der Dienste im Parlament in einer Hand zusammengefasst werden und werden dazu demnächst einen Antrag im Parlament stellen. Für stärkere Kontrolle stehen meist die Oppositionsparteien, auch die SPÖ wollte mehrfach eine eigene Rechtsschutzabteilung im Parlament. Bisher scheiterten alle Reformen aber jeweils an den Regierenden. Den mehr Dienste bedeuten meist auch mehr zu vergebende Posten.

Der Skandal rund um Wirecard könnte nun aber die Karten völlig neu mischen. Denn zumindest in Deutschland werden die Rufe nach einem Untersuchungsausschuss immer lauter. Vor allem die FDP und die Linke sind dafür, weil sie so Akteneinsicht in die Causa bekommen würden. Zwar geht es dabei vor allem darum, warum in Deutschland die Kontrolle versagt hat, allerdings könnten dann  auch mögliche Versäumnisse in Österreich ans Tageslicht gebracht werden.

Kommentare