Nach BVT-Skandal: Innenminister stellt Geheimdienst komplett neu auf
Der heimische Verfassungsschutz (BVT) wurde in den vergangenen Jahren aufgebläht wie niemals zuvor. 430 Personen versehen hier mittlerweile Dienst statt früher rund 300, berichten Insider. Tatsächliche Ermittler gebe es allerdings nur rund 80, dafür über 100 Posten für Akademiker, heißt es.
Dazu kommen schwere Sicherheitsbedenken. Der brisante Bericht des Berner Clubs offenbarte, wie berichtet, zahlreiche Sicherheitslücken. Doch es droht schon eine neue: Denn unmittelbar angrenzend an das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wird derzeit ein Gebäude mit 150 Wohnungen gebaut.
Von den Fenstern und Balkonen aus kann man ab Sommer 2021 sehen, wer das BVT betritt und wer geht. Der Parkplatz und der Eingang kann perfekt observiert werden, argwöhnen BVT-Mitarbeiter. „Wäre ich ein fremder Geheimdienst, ich würde mir dort eine Wohnung nehmen“, ätzt ein Verfassungsschützer. Das Areal gehört der ARE, einer Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft BIG. Das Areal gehört der ARE, einer Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft BIG. Was die Baustelle betrifft, gibt es einen regen Informationsaustausch mit dem BMI und BVT, sagt eine ARE-Sprecherin zum KURIER.
Die Zeit für einen völligen Neubeginn (und wohl auch einen Neubau) drängt, da Österreich darüber hinaus nach der umstrittenen Razzia von vielen wichtigen Geheimdienst-Informationen abgeschnitten ist.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) lüftet im Gespräch mit dem KURIER nun erste Details zur geplanten Reform: Heuer soll die Neuordnung fixiert, 2021 dann umgesetzt werden. „Wir machen alles neu. Wir bauen ein neues BVT neben dem alten auf“, sagt Nehammer.
Umzug nach Meidling?
Dass dafür auch räumlich die Meidlinger Kaserne angedacht sei, wo das Areal um den Hubschrauberlandeplatz nach dem Umzug der Flugpolizei nach Wiener Neustadt für einen Neubau frei wäre, wollte der Minister (noch) nicht kommentieren.
Nehammer setzt jedenfalls auf einen breiten Konsens und gründet deshalb eine groß aufgestellte Expertengruppe, deren Chef der Salzburger Polizeidirektor Franz Ruf wird. „Ein erfahrener Mann“, lobt Nehammer.
Mit an Bord sind Kapazunder wie etwa Markus Seiler, ehemaliger Chef des Schweizer Nachrichtendienstes (NDB). Auch der deutsche Ex-Geheimdienstzuständige im Kanzleramt, Klaus Dieter Fritsche, ist gesetzt. Um einen breiten Konsens zu erreichen kann jede politische Partei ebenfalls einen Experten in das Gremium entsenden.
Laut Nehammer wird der neue Verfassungsschutz einen nachrichtendienstlichen und einen Ermittlungsteil beinhalten. KURIER-Informationen zufolge soll dabei auch an der Festnahmepflicht gerüttelt werden. Das BVT ist eine Polizeibehörde und muss eigentlich bei jeder Straftat einschreiten. Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - welches Vorbild für den nachrichtendienstlichen Teil der Reform ist – hat keine polizeilichen Befugnisse. BfV-Beamte dürfen niemand festnehmen, keine Verhöre durchführen und nichts beschlagnahmen.
Keine Festnahmen
Der deutsche Verfassungsschutz operiert außerdem nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip. „Sprechen in besonderen Fällen wichtige Argumente gegen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, ist der Verfassungsschutz berechtigt, seine Informationen vorerst zurückzuhalten“, heißt es vom Verfassungsschutz in Sachsen. Die Strafverfolgung wird der nachrichtendienstlichen Aufklärung somit untergeordnet.
Nur besonders schwere Straftaten (etwa ein Mord) müssen trotzdem den Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden. Das Opportunitätsprinzip dient vor allem dem Quellenschutz, sprich dem Schutz von jahrelangen Vertrauensleuten.
"Flächendeckende Strukturerkenntnisse"
Doch Hinweisgeber sind nicht selten auch Straftäter. „Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitgehend operieren, etwa um eine extremistische oder terroristischen Szene aufzuklären“, heißt weiter. „Im Gegensatz zur Polizei kann der Verfassungsschutz flächendeckende Strukturerkenntnisse sammeln.“
Das soll künftig auch das BVT so machen können, um einen echten Nachrichtendienst aus der Polizeibehörde zu machen. Darüber wurde am Mittwoch auch der geheime BVT-Unterausschuss des Parlaments informiert.
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