Wissen/Gesundheit

Coronavirus versus Influenza: Warum die Gefahr jetzt viel größer ist

Es ist eine Frage, die KURIER-Leserinnen und Leser immer wieder stellen: „Warum wird die Corona-Epidemie um so viel mehr gefürchtet als die Grippe-Epidemie? Und warum nimmt man die immensen wirtschaftlichen Auswirkungen in Kauf? Schließlich sterben doch auch an den Folgen einer Influenza-Infektion je nach Schwere einer Epidemie viele Menschen.“ – „Die jährliche Influenza-Epidemie und die derzeitige Coronavirus-Pandemie sind aus mehreren Gründen unterschiedliche Dinge“, sagt dazu die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien.

Zahl der Erkrankten: Im Durchschnitt erkranken jedes Jahr rund fünf bis maximal zehn Prozent der Bevölkerung an der Influenza. „Heuer werden wir wahrscheinlich am Ende der Saison auf rund 300.000 Erkrankte kommen.“ Mit einer starken Grippewelle ist das Gesundheitssystem bereits ausgelastet. „Bei der Coronavirus-Pandemie werden aber 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung erkranken“, betont Redlberger-Fritz. Auch wenn viele unerkannte und leichte Fälle dabei sind: „Das ist einfach eine viel größere Zahl.“

Immunität: „Bei der Influenza gibt es Geimpfte, durch Infektionen in den Vorjahren gut oder teilweise Geschützte und komplett Ungeschützte. Beim neuen Coronavirus sind alle nicht geschützt“, sagt Redlberger-Fritz. Die positive Nachricht: „Unmittelbar nach einer Erkrankung durch das neue Coronavirus ist man immun, kann also nicht gleich noch einmal erkranken. Wie lange dieser Schutz anhält, wissen wir aber nicht.“

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Infektiosität: Das neue Coronavirus scheint ansteckender zu sein als die Influenza: Laut WHO steckt ein Infizierter zwischen 2 und 2,5 weitere Personen an: „Das ist mehr als bei der Influenza.“

NEUES CORONAVIRUS

Virenfamilie
Das neue Coronavirus heißt offiziell Sars-CoV-2. Es gehört zur selben Virenfamilie wie die Erreger der Lungenkrankheiten SARS und MERS sowie vier altbekannte Coronaviren, die 10 bis 15 Prozent aller Erkältungen auslösen.

Vom Tier zum Menschen
Forscher gehen davon aus, dass Sars-CoV-2 von einem Tier auf einen Menschen übergegangen ist, möglicherweise auf einem Markt in der chinesischen Stadt Wuhan, auf dem viele Wildtiere gehandelt wurden.

INFLUENZAVIREN

Drei Virentypen
Insgesamt gibt es drei Typen von Influenzaviren: A, B und C. Influenza-A-Viren verursachen die schwersten Krankheitsausbrüche. In Österreich war heuer A(H3N2) stark verbreitet.

Große Influenza-Pandemien
Im 20. Jahrhundert gab es drei große Pandemien:

1918–1920: A(H1N1) „Spanische Grippe“, 20 bis 50 Millionen Tote

1957–1958: A(H2N2) „Asiatische Grippe“, zirka eine Million Tote

1968–1969: A(H3N2) „Hongkong-Grippe“, zirka eine Million Tote

Sterblichkeit: Eine endgültige Beurteilung ist noch nicht möglich, aber sowohl die WHO als auch die Europäische Gesundheitskontrollbehörde ECDC gehen von einer deutlich höheren Letalität als bei der Influenza aus: „An der Influenza stirbt einer von 1.000 Infizierten (0,1 %), die vorläufigen Daten für Covid-19 liegen bei 20 bis 30 Todesfällen unter 1000 Infizierten (2 bis 3 %).“ Auch wenn die Daten einer neuen Studie stimmen, dass die Mortalität in Wuhan doch „nur“ bei 1,4 Prozent lag, ist das noch deutlich höher als eben die 0,1 Prozent bei der Influenza. In Österreich liegt die Coronavirus-Sterberate derzeit zwar deutlich unter einem Prozent, die Erkrankungswelle hat allerdings erst begonnen. Bei den Über-60-Jährigen ist der Prozentsatz der Verstorbenen weltweit deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.

2018/2019 gab es 1.300 Todesfälle, die durch die Folgen einer Influenza-Infektion verursacht wurden. Bei stärkeren Grippe-Wellen als jener im Vorjahr war die Zahl der Influenza-bedingten Todesfälle mit bis zu 4.000 sogar noch höher. Geht man aber davon aus, dass das neue Coronavirus ungebremst in wenigen Wochen 60 Prozent der Bevölkerung infizieren könnte und die Sterberate bei zumindest einem Prozent liegt, gäbe es deutlich mehr als zehn Mal so viele Todesfälle wie bei einer Influenza-Welle.

Redlberger-Fritz: „Lässt man alles unkontrolliert ablaufen, wie es Großbritannien ursprünglich vor hatte, hat man innerhalb weniger Wochen mehr als eine Million Erkrankte – und das kann kein Gesundheitssystem der Welt stemmen.“

Komplikationen: „20 Prozent der Infizierten haben beim neuen Coronavirus einen Krankheitsverlauf mit Komplikationen, bei rund fünf bis zehn Prozent gibt es einen wirklich schweren Verlauf, der einen Aufenthalt auf der Intensivstation notwendig machen kann“, sagt Redlberger-Fritz. „Das ist höher als bei der Influenza.“ Schwere Lungenkomplikationen wie das akute Lungenversagen (ARDS, Acute Respiratory Distress Syndrome) sind deutlich häufiger als bei der Influenza. Laut WHO-Daten benötigen 15 Prozent der Infizierten mit Symptomen vorübergehend Atemunterstützung mit einer Maske, fünf Prozent künstliche Beatmung auf der Intensivstation.

Gut abgeschirmt

Durch die in Österreich gesetzten Maßnahmen gelinge es bis jetzt recht gut, die ältere Bevölkerungsgruppe weitgehend abzuschirmen, sagt Redlberger-Fritz: Ein wesentlicher Grund für die hohe Sterblichkeit in Italien sei, dass Maßnahmen zum Schutz der älteren Menschen erst später im Verlauf der Pandemie verordnet wurden.

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