Aus evolutionsbiologischer Sicht ist die Welle des Wir-Gefühls und der Solidarität, die in Zeiten der Corona-Krise zu beobachten ist, also nicht verwunderlich. Die menschliche Neigung zur Kooperation ist nicht anerzogen, sondern angeboren und von Genen geprägt – das jedenfalls nehmen Forscher an.
Selbstlos-Gene
Offenbar gab es im Verlauf der menschlichen Evolution Mutationen in den Erbanlagen, die selbstloses, kooperatives Verhalten auslösten. Und als dies bei mehreren Individuen dazu führte, dass sie zusammenarbeiteten und so als Gruppe ihren Überlebenserfolg steigerten, setzten sich die entsprechenden Mutationen durch.
Beispiel gefällig? Könnte der Mensch nicht so gut mit anderen teilen, hätte er wohl nie erfolgreich Mammuts gejagt. Denn nur wenn die Beute hinterher gerecht in Stücke portioniert wird, lohnt sich die Gruppenjagd für jeden. Allein der Mensch ist in der Lage, gemeinschaftlich auf Beutefang zu gehen und dazu Strategien abzustimmen. Dabei hilft ihm seine Fähigkeit zu sprechen, und so entstand die Sprache womöglich nur deshalb, glauben manche Anthropologen, weil sie es den Menschen erleichtert, gemeinsames Handeln zu koordinieren.
Ohne seine Teamfähigkeit hätte der Homo sapiens wohl auch keine Werkzeuge und Waffen erfunden. Denn dazu ist eine weiterentwickelte Form der Zusammenarbeit nötig, die unter Tieren in diesem Ausmaß unbekannt ist: Der Mensch gibt seine Erfahrungen und Fähigkeiten weiter. Er wird zum Lehrer. So kann er Wissen sammeln und Erfindungen verbessern.
Im Tierreich
Verhaltensforscherin Schäfer: „Unterstützung von Familie und Verwandten erscheint uns prinzipiell nicht so erstaunlich, wahrscheinlich weil wir es als Kinder von Eltern schon von klein auf erleben und auch im Tierreich überall beobachten können.“ So sind Bienen oder Ameisen nett zu ihren Verwandten und bringen Unglaubliches wie Ameisenstaaten zustande.
Weniger logisch seien aber Hilfeleistungen unter Nicht-Verwandten, sagt Schäfer, allerdings eben nur auf den ersten Blick: „Hier wissen wir, dass sie sich auf längere Zeit gesehen für den einzelnen sehr bezahlt machen.“
Selbstlos-Körperchemie
Pure Selbstlosigkeit ist das also nicht. Wenn ein Mensch einem anderen hilft, werden Regionen im Gehirn aktiviert, die Belohnungen verarbeiten. Gemeinsames Tun setzt Endorphine frei, sodass wir uns danach besser fühlen. Freundlich zu sein macht also zufrieden – selbst dann, wenn es für ein Geschenk keine direkte Gegenleistung gibt. Schon Kleinkinder versuchen, anderen zu helfen, ohne dazu aufgefordert zu werden. Einjährige sind geradezu versessen darauf, zu schenken, zu trösten und Essen zu verteilen.
Weitere Umstände, die dazu geführt haben, dass wir ein sehr hohes Maß an Kooperationsfähigkeit und -willigkeit entwickelt haben: Unsere relativ lange Lebensspanne und unser einstmaliges Leben in Kleingruppen.
Mehr Ansehen
Auch für die Tatsache, dass wir bereit sind sogar Wildfremden beizustehen, die wir wahrscheinlich nie wiedertreffen, gibt es eine wissenschaftliche Erklärung „Indem wir anderen helfen, gewinnen wir Prestige und sozialen Status. Wenn Menschen gemeinsam etwas tun, mögen und vertrauen sie einander auch mehr“, weiß Schäfer. Und das ist die positive Botschaft dieser Tage.
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