Darf man Medikamente an Demenzkranken testen?

Ein Ja des deutschen Ethikrates soll künftig bei strittigen Fällen nicht nötig sein.
In Deutschland sollen Medikamente an Demenzkranken getestet werden – das löst Diskussionen aus.

Wie weit darf Forschung gehen? Oder: Wie weit muss sie gehen? Hermann Gröhe, Gesundheitsminister im Kabinett Merkel, beantwortet diese Fragen sehr klar. Er hat nun ein Gesetz vorgelegt, das erlaubt, Arzneimittel auch an sogenannten "nicht einwilligungsfähigen Personen" zu testen; Menschen wie Demenzkranke etwa, deren Erinnerungsvermögen zu schwach ist, um eine solch tiefgreifende Entscheidung einschätzen zu können.

"Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie"

Darf man Medikamente an Demenzkranken testen?
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Das wäre nicht weiter tragisch, sofern die Tests den Probanden nützen. Daran spießt sich aber Gröhes Idee. Laut seines Entwurfs sollen an Demenzkranken und geistig Behinderten Medikamente getestet werden, selbst wenn die ihnen gar nichts bringen. Die Kritik daran ist laut. Am eindringlichsten formuliert es Ulla Schmidt, Gröhes Vorgängerin: Von einem "gefährlichen Dammbruch" spricht die SPD-Politikerin; sie befürchtet, dass "Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie" würden. Auch Grüne und Linke lehnen den Plan ab, und selbst aus der CDU hört man kritische Stimmen – ebenso wie aus den beiden großen Kirchen Deutschlands. Sie eint die Furcht davor, dass damit weitere Grenzen überschritten werden könnten – schließlich lastet auf Deutschland durch Erfahrungen mit Euthanasie und medizinischem Missbrauch Behinderter in der NS-Zeit eine spezielle Verantwortung.

Bis 2050 doppelt so viele Demenzkranke

Weiters offenbart die Debatte, wie sehr die Medizin auf neue Arzneimittel gegen Demenz-Erkrankungen angewiesen ist – die alten sind nicht ausreichend wirksam. "Natürlich dürfen Patienten nicht zu Testkaninchen degradiert werden", sagt Michael Rainer, Leiter des Wiener Karl Landsteiner Instituts für Gedächtnis- und Alzheimerforschung und der Memory Clinic. "Doch derzeit sind wir gezwungen, uralte Medikamente zu verabreichen." Einige gängige Arzneimittel würden teils noch aus den 1960ern stammen. "Wir brauchen dringend wirksame Anti-Dementiva, die alten wirken zu bescheiden und sind hauptsächlich nur in Anfangsstadien der Krankheit gut wirksam."

Darf man Medikamente an Demenzkranken testen?
Das Dilemma ist vielschichtig. Um die gewünschte Wirksamkeit zu erreichen, seien Forschungen an Patienten in weit fortgeschrittenem Stadium nötig, so das Argument der Gesetzes-Befürworter. Eile sei geboten: Mit der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft komme auf Deutschland und Österreich ein großes Problem zu. Die Zahl der Demenzkranken wird sich hierzulande bis zum Jahr 2050 verdoppeln, so der letzte Alzheimerbericht des Bundes; eine Verdreifachung scheint möglich. Dazu kommt eine Verschiebung der Relationen: Während im Jahr 2010 ein Demenzkranker auf etwa 50 Österreicher im erwerbsfähigen Alter kam, werden es im Jahr 2050 nur mehr etwa 17 sein – ein ökonomisches Desaster. Rainer spricht gar von einer "Demenzlawine", und davon, dass "für ein Umfeld, das wir selbst erleben werden" geforscht werden müsse. Die Auswirkungen der vielen Neuerkrankungen würde beinahe jeder zu spüren bekommen – pflegende Kinder und Angehörige würden immer weniger, die Betreuungskosten mehr.

Kann eine Patientenverfügung ausreichen?

Die Frage des ethischen Umgangs mit den umstrittenen Medikamenten-Tests an Dementen lässt sich durch diese Prognosen nicht leichter beantworten. In Österreich ist dafür die Ethikkommission zuständig. Das 16-köpfige Gremium entscheidet von Fall zu Fall, ob ein Patient an einer neuen Studie teilnehmen darf oder nicht; die Regelungen dafür sind eng gefasst.

In Deutschland ist das derzeit ebenfalls so. Geht es nach dem Gesundheitsministerium, soll sich das ändern. Ein Ja des Ethikrates soll künftig bei strittigen Fällen nicht zwingend nötig sein. Um die umstrittenen Tests durchzuführen, soll eine Patientenverfügung ausreichen, die der Erkrankte im gesunden Zustand, also im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte unterschrieben hat. Dass dies teils Jahre vor Beginn der Erkrankung passiert sein könnte, dass der Betroffene danach seine Meinung geändert haben könnte, wird kritisiert. Es spaltet die Abgeordneten so sehr, dass für die Abstimmung der Fraktionszwang aufgehoben wurde. Jeder Abgeordnete soll nach persönlichem Dafürhalten entscheiden können, wie er die Gewissensfrage für sich beantwortet.

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