Vom Acker in den Mist: So viel Essen schafft es nicht in den Supermarkt
Die heimischen Erdäpfelprofis sind im Wald- und Weinviertel zu finden. Auf nahrhaftem Boden wachsen dort Kartoffelpflanzen durch Licht und Wasser heran. Beginnen sie zu blühen, sind im Erdreich schon kleine Knollen gewachsen. Wenn die Pflanze welkt, ist es Zeit, sie auszugraben. In Erntemaschinen werden die Kartoffeln gereinigt, sortiert und gesammelt. Die Reise in den Supermarkt beginnt.
Nicht alle Erdäpfel schaffen es ins Regal, weiß Olivia Herzog vom WWF Österreich. Ein neuer Report der Umweltschutzorganisation widmet sich Lebensmittelverlusten in der Landwirtschaft: Fehlten bisher genaue Zahlen, könne man nun beziffern, "dass weltweit jährlich 1,2 Milliarden Tonnen genießbare Erzeugnisse in der Landwirtschaft verloren gehen – sowohl vor als auch nach der Ernte", sagt Herzog. Die Kosten dafür belaufen sich laut WWF auf über 300 Millionen Euro.
Handlungsbedarf
Laut aktuellen Zahlen des Rechnungshofs fallen hierzulande pro Jahr 167.000 Tonnen landwirtschaftliche Essensabfälle an. Christian Jochum von der Landwirtschaftskammer sieht diese Zahl kritisch: "Es gibt hier nur unscharfe Schätzungen. Den Großteil des Lebensmittelmülls produzieren mit 55 Prozent die Haushalte."
Die Ursachen für landwirtschaftliche Verluste sind laut WWF unterschiedlicher Natur: Extreme Wetterereignisse – sintflutartiger Regen oder krasse Dürre – führen dazu, dass Ernten am Feld beschädigt liegen bleiben. Auch der Erntevorgang spiele eine Rolle: "Erntemaschinen holen oft nicht den ganzen Ertrag ein. Hier braucht es effizientere Technologien", sagt Herzog. Wertvolle Nahrung verkommt auch bei der Lagerung und Verpackung in den Betrieben. Ein Blick auf die gesamte Lieferkette zeige, dass Wasch-, Schnitt und Kochprozesse sowie der Transport in den Handel ebenfalls eine Rolle spielen.
Die Landwirtschaftskammer fordert eine differenzierte Perspektive: "Der klimaschonende Hebel, den man durch Maßnahmen bei der Lebensmittelverschwendung bedienen könnte, wird tatsächlich unterschätzt", sagt Jochum. Allerdings liege es "im Wesen der landwirtschaftlichen Tätigkeit, dass es vom Anbau bis zur Ernte und von der Aufzucht bis zum Schlachten keinen 100-prozentigen Ertrag gibt".
Verluste vor der Ernte fallen laut Jochum zudem nicht in die Kategorie Verschwendung: "Das würde ja bedeuten, dass man noch mehr Chemie einsetzen muss, um jeden noch so verkümmerten Apfel irgendwie zur Ernte zu bringen." Getreide, das nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, finde als Futtermittel neue Bestimmung, schadhaftes Obst in der Saftproduktion.
Wunsch nach Perfektion
Äpfel, Tomaten oder Birnen mit Makel bekommt der Konsument im Supermarkt kaum zu Gesicht. "Einerseits übernimmt der Handel nur makellose Ware", sagt Jochum. Andererseits habe sich gezeigt, dass Konsumenten meist nicht gewillt sind, äußerlich beschädigte Produkte zu kaufen. Im Einzelhandel gibt es Bemühungen, Lebensmittelabfälle zu verringern: In vielen Supermärkten werden Lebensmittel, die dem Haltbarkeitsdatum nahekommen, mit Stickern versehen, die zum Kauf animieren. Ware, die nicht mehr verkauft werden kann, wird an soziale Einrichtungen gespendet. Kurze Transportwege zwischen Lagerstandorten und Märkten, eine Kühlung von der Herstellung bis ins Regal und Mitarbeiter-Schulungen sollen Verlustquoten minimieren. Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können oder im Überschuss vorhanden sind, werden vielerorts an soziale Einrichtungen gespendet.
Ressourcenvergeudung
Das globale Ausmaß aller Lebensmittelabfälle entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis zum Haushalt (in Summe 2,5 Milliarden Tonnen jährlich) hat ökologische Auswirkungen: Wenn Lebensmittel nicht ihrer Bestimmung, dem Verzehr, zugeführt werden, verpuffen die Ressourcen, die bei der Produktion ausgeschöpft werden: Treibstoff für Traktoren und Transport, Dünge- und Futtermittel, Wasser, Böden für Lagerung und Infrastruktur.
Das Institut für Abfallwirtschaft der BOKU erhebt seit Jahren Daten über das Lebensmittelabfallaufkommen in Haushalten. Die Ergebnisse zeigen, dass auf Haushaltsebene deutlich mehr Lebensmittel verschwendet werden als auf allen anderen Stufen der Wertschöpfungskette. In Österreich wirft ein Haushalt jährlich im Schnitt 133 Kilogramm Nahrungsmittel weg. Die Ausgaben der Österreicher für Nahrung sinken, damit gehe auch der Respekt davor verloren, kritisiert Herzog: "Wir müssen lernen, Lebensmittel wieder wertzuschätzen."
Auch Jochum appelliert an die Haltung der Konsumenten: "Ein Kilo Erdäpfel, das durch ungenaue Vollernter am Feld bleibt, hat einen anderen CO2-Rucksack, als ein Kilo Kartoffeln, das durch falsche Lagerung im Haushalt weggeworfen wird." Gelingt es, einem Menschen zu vermitteln, was es bedeutet, ein Nahrungsmittel anzubauen, "wird er die Kartoffeln mit Sorgfalt behandeln".
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