Rekordhitze in Kanada: Ist das auch in Österreich möglich?
Immer neue Hitzerekorde für Kanada wurden in den vergangenen Tagen für die Ortschaft Lytton gemeldet, bis an die 50 Grad Celsius. Am Donnerstag ist ein Brand ausgebrochen, der Großteil der Ortschaft soll fast komplett zerstört sein. Mehr als 1000 Menschen mussten flüchten. Die renommierte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im Interview über die Folgen des Klimawandels.
KURIER: Bis zu knapp 50 Grad in Lytton in Kanada: Ist so eine Entwicklung auch in Österreich vorstellbar?
Helga Kromp-Kolb: Die Frage ist, ob das jetzt schon sein kann, bis jetzt hatten wir es nicht, aber wenn der Klimawandel weiter fortschreitet, dann werden auch bei uns die Temperaturen weiter deutlich steigen. Es gibt keinen physikalischen Grund, warum die Temperatur bei uns nicht so hoch steigen sollte. Ganz im Gegenteil: Es ist sogar mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die Temperaturen auch bei uns weiter steigen werden, wenn wir nicht rasch die Treibhausgas-Emissionen reduzieren.
Global beträgt die durchschnittliche Erwärmung bisher ein Grad, in Österreich ist die Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau bisher ungefähr um 2,3 bis 2,6 Grad gestiegen. Österreich ist also überdurchschnittlich stark betroffen. Wir haben nicht die dämpfende Wirkung eines kalten Ozeans, wie das zum Beispiel an der französischen Küste der Fall ist. Und wir haben Gebirge, die schneeärmer werden und dadurch mehr Sonnenstrahlung aufnehmen. Der Großteil der Erwärmung ereignete sich übrigens in den vergangenen 30 Jahren.
Was ist die Ursache für solche extremen Wetterereignisse?
Durch die globale Erderwärmung kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem massiven Eisverlust in der Arktis, dadurch hat sich der Temperaturunterschied zwischen Pol und Äquator abgeschwächt und die Muster der Luftströmungen haben sich verändert. Der Jetstream - ein Band von Starkwinden, das in Wellenbewegungen verläuft - ist schwächer geworden. Normalerweise führt der Zyklus dieser Winde dazu, das auf der einen Seite kale Luft aus dem Norden nach Süden und umgekehrt warme Luft aus dem Süden nach Norden transportiert wird. Auch früher sind diese Luftbewegungen gelegentlich schwächer geworden, das bedeutete dann für längere Zeit eine stabile Wetterlage.
Wenn diese Abschwächung aber zu lange anhält, wird das ein Problem: Es ist zu lange heiß, oder es regnet zu lange - es muss dann gar nicht heftig regnen, aber wenn es zu lange regnet, ist einfach irgendwann der Boden gesättigt. Es muss auch nicht extrem heiß sein - aber wenn es zu lange sehr warm ist, wird die Trockenheit zum Problem. Das erleben wir ja auch bei uns, dass gewisse Wetterlagen länger anhalten. Wir sehen auch bei uns ganz klar eine Zunahme von Hitzeperioden.
Gibt es generell mehr extreme Wetterlagen auch in Österreich?
Natürlich, eindeutig, gerade das heurige Jahr zeigt das ja. Aber auch die vergangenen Jahre: Windwurf- und Schneeebruchschäden etwa, regionale Trockenheit. Insgesamt sind wir beim Niederschlag noch etwas besser dran als andere Staaten weil die Alpen als Hindernis wirken, die Luft aufsteigen muss und es daher zur Wolkenbildung und zu Niederschlag kommt. Aber der kann dann regional heftiger ausfallen und z.B. zu schweren Vermurungen führen. Das hängt zum Teil zusammen. Wenn sich die Atmosphäre aufheizt, ist sie energiereicher und sie kann mehr Wasserdampf enthalten - und zwar überproportional mehr im Vergleich zum Temperaturanstieg. Dann kann es, wenn es regnet, gleich deutlich mehr Niederschlag geben. Und die größere Energie kann letztlich auch dazu führen, dass Hagelkörner viel stärker anwachsen, viel größer werden.
Beschleunigen sich die Veränderungen?
Das ist schwierig festzumachen, weil Extremereignisse eben nach wie vor extrem und selten sind. Aber grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, dass ein globaler Temperaturanstieg um ein weiteres Grad weltweit viel mehr Schäden anrichten wird wie die globale durchschnittliche Erwärmung seit der Industrialisierung um das erste Grad. Das geht nicht linear.
Keine drückende Hitze, aber ein etwas wärmeres Klima: Hätte das in unseren Breiten nicht auch positive Aspekte?
Na ja, wenn Sie dort Rotwein anbauen wollen, wo es bisher Weißwein gab, dann ja - allerdings kann es so warm werden, dass auch der Qualitätsrotwein nicht mehr gut wächst. Wenn ich heute durch Wien gehe, sehe ich, dass mittlerweile fast jedes kleine Lokal bereits ein paar Tische und Sesseln am Gehsteig stehen hat. Das ist aktuell bedingt durch Corona, aber auch durch den Klimawandel. Vor 20 Jahren hätte sich das einfach noch nicht rentiert. Das kann man als positiven Effekt sehen, aber die negativen Effekte überwiegen bei weitem.
Vor allem aber: Das, was wir derzeit vielleicht als positive Folge des Klimawandels wahrnehmen, ist ja nichts, auf das wir uns jetzt einstellen und gewöhnen könnten. Diese als positiv empfundenen Efekte sind im Moment so, aber die Erderwärmung geht ja weiter, und die Folgen werden noch schlimmer werden. Man kann sich also an keine sogenannten positiven Effekte gewöhnen, die sind nur vorübergehend. Und: Wir haben schon derzeit in Österreich mehr Hitzetote als Verkehrstote in einem Jahr.
Sind die politischen Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen ausreichend, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Die EU-Klimaziele (Klimaneutralität bis 2050 - Klimaneutralität bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken wie Böden, Wälder und Ozeane herzustellen, Anm.) sind eindeutig nicht ausreichend. Österreichs Ziel (Klimaneutralität bis 2040, Anm.) nur dann, wenn wir unser Budget an Treibhausgasen nicht überschreiten.
Das Problem derzeit ist: Die Politiker erschöpfen sich im Moment noch weitgehen darin, Ziele zur Treibhausgasreduktion nachzuschärfen, anstatt die Maßnahmen auch schon tatsächlich zur Umsetzung zu bringen. Es ist schön zu sagen, ich will bis 2040 klimaneutral sein, aber wenn dann ständig gezögert wird, das zu tun, was dafür notwendig ist - etwa eine soziale, ökologische Steuerreform, starker Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln, und dafür Mittel aus anderen Bereichen wie dem Straßenbau umzuleiten - dann bleibt das nur Gerede.
Wobei ich sagen muss, dass es in der derzeitigen politischen Konstellation in Österreich schon einen Regierungspartner gibt, der sehr bemüht ist, aber der Regierung als Ganzes kann ich kein gutes Zeugnis ausstellen. Wir müssen jetzt die Emissionen reduzieren, nicht in zehn Jahren.
Sehen Sie im Gefolge der Corona-Krise eine neue Chance für mehr Klimaschutz?
Ich denke schon. Wenn man Maßnahmen setzt, muss man sie jetzt setzen, bevor nach der Pandemie die Wirtschaft wieder in ihren gewohnten alten Bahnen läuft. Jetzt besteht die Chance, dass sich die Wirtschaft neu erfinden muss, und diese Chance muss man jetzt nutzen. Wenn wir jetzt weiter in Flughäfen und Autobahnen investieren und nicht in Wärmedämmung und Schienennetze, dann ist es zu spät.
Kommentare