„Wir haben noch nie so viele Scherben auf so engem Raum gefunden“

Das Team bei der Arbeit (Chef Neubauer 2. v. li.)
Als Wolfgang Neubauer vor vier Jahren mit seiner Arbeit auf dem Königsberg begann, hatte er eine Frage im Kopf: Was ist dran an den alten Mythen, die sich die Einheimischen seit Generationen erzählen? Dass hier am Hausberg der Tieschener in der Südoststeiermark eine große Keltensiedlung verborgen liege. Also startete der renommierte Archäologe von der Uni Wien ein Forschungsprojekt in seiner alten Heimat.
Ihm war klar: „Keltisch ist hier gar nichts.“ Wie spektakulär und alt die Wallanlage auf dem Königsberg ist, hat aber selbst ihn überrascht: „Wir haben noch nie so viele Scherben auf so engem Raum gefunden“, erzählt er beim Lokalaugenschein des KURIER. Und das will etwas heißen, forscht Neubauer doch sonst in Stonehenge oder findet vergrabene Wikingerschiffe in Norwegen.

„In der späten Bronzezeit (1.300 bis 880 v. Chr.) hatte die Siedlung etwa zwölf Hektar. Wir haben zwei Holzhäuser gefunden, die eng aneinander gebaut waren, mit einem Kuppelofen samt Herdplatte. Wenn man hochrechnet, kommen wir auf 2.000 bis 2.500 Leute, die hier gelebt haben“, erklärt der Wissenschafter des Jahres 2015 und spricht von einer „wirklich großen Stadt für die damalige Zeit“.
5.000 Jahre alt
ist die bayerische Außenhandelsstation für Kupfer, die Archäologen jetzt in Tieschen entdeckt haben. Bisher war der Königsberg als eine der bedeutendsten Höhensiedlungen der Spätbronzezeit bekannt. Doch darunter liegt eine noch ältere Siedlung aus der Jungsteinzeit.
Chamer Kultur
Die Menschen, die aus Bayern in die Südoststeiermark kamen, waren Pioniere in der Kupferproduktion und handelten das wertvolle Material bis auf den Balkan.
Lokalaugenschein
Mit großem Arbeitsaufwand legten die neuen Siedler zu ihrem Schutz einen massiven Erdwall mit vorgelagertem Graben an. Mit ebenso großer Mühe graben die Archäologen seit 2021 genau dort herum: Immer im Juli wuselt es hier auf dem Königsberg: Schulkassen schauen vorbei, Einheimische helfen mit, derzeit sind etwa 20 Forscher und Freiwillige zugange und haben die große rechteckige Wanne, die sie bereits vor zwei Jahren hier freigelegt hatten, um ein gutes Stück vertieft.

Dabei sind zahlreiche Fragmente von Gefäßen und Feuerböcken sowie Werkzeuge für die Textilproduktion aufgetaucht. Beim Rundgang im Science Center im stillgelegten Königsberghof zeigt uns Neubauer Tonspulen in verschiedensten Größen, Spinnwirteln für unterschiedliche Fadenstärken und Webgewichte. Er ist sicher: „Hier wurden in großem Stil Fäden hergestellt. Rundum gediehen Faserpflanzen – Hanf, Lein und wahrscheinlich auch Brennnesseln. Parallel haben hier vielleicht Schafe geweidet. Man hatte alle Rohmaterialien für Textilien.“
Der Königsberg war in der späten Bronzezeit also ein lokales Zentrum für Fasern, Zwirne, Fäden, vielleicht auch Seile und in weiterer Folge möglicherweise für Textilien. Der Archäologe weiter: „Zeitgleich existierte in Hallstatt ein sehr großes Salzbergwerk.“ Textilien haben sich dort bis heute erhalten und es sei gut möglich, „dass die Ausgangsmaterialien für diese Stoffe aus dem Salz von Hallstatt aus Tieschen stammen“.
Königsberg ist Kupferberg
Unterdessen hat Archäologe David Simböck seinen Spaten vorsichtig in eine noch viel ältere Erdschicht getrieben. Unterhalb der Textilsiedlung hat das Team nämlich eine weitere mit Erdwall gut befestigte Siedlung entdeckt: Bereits zwischen 3.200 und 2.800 v. Chr. im sogenannten Spätneolithikum (Jungsteinzeit) wussten Menschen die günstige Aussichtslage auf dem 462 Meter hoch gelegene Plateau zu schätzen.
Die massive Anlage mit Wall bedeutet, dass etwas Wertvolles geschützt werden muss.
Archäologe
Neubauer tippt auf Kupfer, hat er doch Gefäße gefunden, die er der sogenannten Chamer Kultur zuordnet. „Und diese Menschen waren Pioniere in der Kupferproduktion.“
Der Archäologe schnappt sich Block und Bleistift und wirft mit raschen Strichen eine Skizze aufs Papier, um zu veranschaulichen, wo Cham liegt (500 km entfernt in Bayern, nahe Regensburg) und wie die Leute samt Kupfer ins letzte Eck der Steiermark kamen: „Die Menschen der Chamer Kultur haben Kupfererz aus dem heute deutschen Erzgebirge verhüttet und gehandelt.“ An der Donau entlang bis Amstetten, dann über Land mit Wägen weiter durch die Steiermark, über Mur und Drau, ging es mit dem Kupfer gen Süden zu den Märkten am Balkan. „Das ist Fernhandel.“ Und Tieschen war der südlichste Punkt dieser Kultur.
Forschungsfest am Marktplatz in Tieschen am 20. Juli 2024 von 10 bis 18 Uhr
Verschiedene Stationen und Präsentationsstände führen in die Welt der Wissenschaft und machen Forschung angreifbar. Umrahmt wird das zweite Forschungsfest des Königsberg Research im Thermen- und Vulkanland von einem Unterhaltungsprogramm, wissenschaftlichen Vorträgen, kulinarischen Köstlichkeiten und Wein aus lokaler Produktion.
Programm
Archäologie hautnah erleben, Eintauchen in die Welt der Wissenschaft mit den Archäolog und den neuen Erkenntnissen der Grabung auf dem Königsberg. Mit der VR-Brille und im Science-Kino können Besucher*innen die virtuell rekonstruierte Vergangenheit selbst erleben.
- WIE ARBEITEN ARCHÄOLOG*INNEN? – VON DER AUSGRABUNG ZUR REKONSTRUKTION (Universität Wien)
- DIGITALISIERTE VERGANGENHEIT – WISSENSCHAFT IN BILD UND TON IM SCIENCE KINO (Universität Wien, 7reasons)
- DIE VIRTUELLE VERGANGENHEIT IN 3D – ZEITREISE MIT VR-BRILLE (Archäologiemuseum Schloss Eggenberg, Universalmuseum Joanneum Graz)
- 6000 JAHRE SIEDLUNGSGESCHICHTE AM SEE (Verein Pfahlbau am Attersee)
- BESTATTUNGSSITTEN DER RÖMER (Römerzeitliches Museum Ratschendorf):
Ausflug zu den Römern, Start: 10:30 Uhr, Marktplatz. Der geführte Spaziergang führt zu den römerzeitlichen Hügelgräbern im Grössinger Tanner, vorbei an sagenumwobenen Orten und besonderen Plätzen rund um die Gemeinde Tieschen. Forschende und Ortskundige werden an mehreren Orten die Besonderheiten erläutern.
Einblicke in die Wissenschaft: Führende Wissenschaftler präsentieren die neuesten Ergebnisse zu spannenden Themen aus der Forschung. Die Vorträge finden bei jedem Wetter im Pfarrsaal der Pfarre Tieschen statt.
- 13:00 ‒ „ÄLTER ALS STONEHENGE – MONUMENTE DER STEINZEIT IN ÖSTERREICH“ a.o. Univ. Prof. Mag. Dr. Wolfgang Neubauer, Archäologe, Universität Wien
- 15:00 ‒ „ARCHÄOLOGIE IM VIRTUELLEN RAUM" Michael Klein, Lead-Artist, 7reasons
- 17:00 ‒ „WAS HABEN TASMANISCHE TEUFEL MIT KREBSFORSCHUNG ZU TUN?“ Univ. Prof. Dr. PhD Richard Moriggl, Krebsforscher, Paris-Lodron-Universität Salzburg
Experimentelle Archäologie
Die archäologischen Funde und die Überreste von Siedlungen sind die Grundlage für die Rekonstruktion des Lebens unserer Vorfahren. Jahrtausende alte Handwerkstechniken werden zusammen mit den Originalfunden vom Königsberg gezeigt und vorgeführt.
- STEIN AUF STEIN ZUM WERKZEUG (Universität Wien)
- TEXTILPRODUKTION – VON DER WOLLE ZUM KLEIDUNGSSTÜCK (Universität Wien)
Mit 3D-Laserscannern, Drohnen und Robotern
Das archäologische Erbe der Menschheit wird mit modernsten 3D-Laserscannern und Vermessungsgeräten millimetergenau vermessen und bleibt so detailgetreu für zukünftige Generationen erhalten. Für Aufnahmen aus der Luft kommen unterschiedliche Drohnen zum Einsatz. Für die Untersuchung vom Boden aus werden zusätzlich Roboter entwickelt, die den Wissenschaftler*innen die Arbeit erleichtern.
- BESUCH IM DROHNENHANGER (Universität Wien, Donau Universität Krems)
- DIE VERMESSUNG DER WELT (Universität Wien, RIEGL LMS)
- EIN ROBOTER IM DIENSTE DER WISSENSCHAFT (Donau Universität Krems)
- EUROPA NOSTRA - BEWAHRUNG VON KULTURELLEM ERBE (Donau Universität Krems)
Der Blick in den Boden
Archäologische Fundstellen können auch ohne Ausgrabung untersucht werden. Durch Messungen des Erdmagnetfeldes oder mittels Bodenradar begeben sich Archäolog auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit und machen im Boden verborgene Strukturen am Computer sichtbar.
ARCHÄOLOGIE TRIFFT GEOPHYSIK (Universität Wien, Donau Universität Krems)
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