Es muss nicht immer Stonehenge sein

Der Königsberg in Tieschen, seit Anfang Juli Forschungsgelände
Die Jüngste des Chefs ist mit ihrem Teddybären angerückt. Jetzt thront er majestätisch auf einem Hügel, der entstanden ist, weil die Archäologen massenhaft Erde abgetragen haben. Hier, auf dem höchsten Punkt des oststeirischen Königsberg, vermuten sie Spektakuläres.

Alle helfen mit: Freiwillige, Kinder - und ein Teddy
Wolfgang Neubauer, Chefausgräber vom Ludwig Boltzmann Institut für Virtuelle Archäologie, schnappt sich ein foliertes Blatt, auf dem Hightech-Messungen in ein Bild umgewandelt wurden und so uralte Siedlungsspuren sichtbar werden: „Hier sieht man den Wall, der sich um den ganzen Berg zieht. Innen gab es eine weitere, kleinere Wallanlage, die den Dorfkern umschloss “, erklärt er. „Der Wall dürfte bis zu neun Meter hoch, die Siedlung etwa 15 Hektar groß gewesen sein.“ Beim Alter des Walls legt er sich auf 1000 bis 850 v. Chr. fest. „Mit einer derartig riesigen, befestigten Siedlung stellt sich die Frage: Was haben die da gemacht?“

462 Meter misst der Königsberg im oststeirischen Hügelland. Weitblick inklusive. Das wussten auch unsere Vorfahren zu schätzen. Davon zeugt eine prähistorische Wallanlage aus der Zeit des Odysseus, die mit 15 Hektar größer als Troja gewesen sein dürfte. Viellleicht sogar ein Fürstensitz.
Funde gibt es hier auch aus der Zeit der Urnenfelderkultur, Hallstatt- und Latènezeit.
Die Reste der Anlage sind in der Wissenschaft seit 1822 der als prähistorisch bekannt, ab 1840 wurden Ausgrabungen durchgeführt. 1928 fand die erste professionelle Ausgrabung statt, bei der Grundrisse von Häusern freigelegt wurden. Seit dem Vorjahr gibt es hier eine Lehrgrabung der Universität Wien.
Neubauer hat immer gewusst, dass der Königsberg archäologisch spannendes Terrain ist. Sein Vater stammt aus Tieschen, er selbst war hier als Kind Schwammerl suchen. „Durch den Lockdown sind Auslandsgrabungen schwieriger geworden“, sagt der Wissenschafter des Jahres 2015, der sonst in Stonehenge forscht oder vergrabene Wikingerschiffe in Norwegen findet.
Keltenhügel? Irrtum!
Daher besann er sich auf die Heimat der Vorfahren. „Denn auch hier gibt es tolle Sachen.“ Die Leute im Tal reden seit Jahrzehnten darüber, dass am Berg Keltenhügel und Keltenwall liegen. Nur: „Keltisch ist hier gar nichts. Das ist alles älter, späte Bronzezeit. Und darunter Steinzeit“, weiß der Fachmann.
Denn: Seit Anfang Juli wuselt es hier. Schulklassen schauen vorbei, Einheimische helfen mit, derzeit sind etwa 25 Forscher und Freiwillige zugange und haben eine große rechteckige Wanne freigelegt. Mitten drinnen keucht Marco Prehsegger, eine Schaufel in der Hand.

Prehsegger, Neubauer und ihre Scherben
Die Augen des Jungforschers leuchten, als er von einem eben entdeckten großen Reibstein berichtet. Eine pensionierte Krankenschwester hilft als Volontärin tatkräftig mit. „Das Projekt ist so angelegt, dass wir eine Lehrgrabung der Universität und Schülerpraktika haben. Jeder, der will, darf mitmachen. Wir verlangen kein Geld dafür, zahlen aber auch nichts. Dafür gibt es was zu essen und trinken“, scherzt Neubauer.“
Apropos Freiwillige
"Wir dachten uns, machen wir doch ein vernünftiges Porjekt, das über die Grabung hinaus geht. Wir wollen alles rund um diesen Berg erforschen, mit verschiedenen Disziplinen", erzählt der Wissenschafter. Ein altes, seit zehn Jahren leerstehendes Hotel in Tieschen wurde reaktiviert und zum Forschungszentrum umfunktioniert. "Da gibt es eine Bibliothek, Arbeitsplätze, Waschanlagen für die Funde, Zimmer für die Studenten, eine riesige Küche und einen Freiwilligen, der das Team bekocht. Citizen Science eben. Wir versuchen die Identität mit der Vergangenheit zu verknüpfen."
Laserscan und Bodenradar erlaubten erste Einblicke, Hausgrundrisse kamen zum Vorschein. Wieder zeigt der Professor, leger in kurzen Hosen und Bergschuhen, auf das folierte Blatt: „Dort war die große Feuerstelle."
Wir finden hier Scherben bis in die Steinzeit zurück – in einer Menge, wie ich es in meiner ganzen Karriere bisher nicht erlebt habe.
Archäologe
"Kübelweise wurden sie von den Freiwilligen geborgen“, sagt er und zeigt auf einen Tisch, wo die schönsten Stücke liegen: Spindeln zum Spinnen von Fäden, Teile eines so genannten Feuerbocks, auf dem Bratspieße gegrillt wurden oder das Rad eines wohl mehr als 3.000 Jahre alten Miniaturwagens.
Inzwischen hat sich auch Neubauers Tochter dazu gesellt: „Livia, unsere jüngste Mitarbeiterin, ist auch die mit den schärfsten Augen. Sie hat unser tollstes Stück gefunden – diese Steinklinge.“ Der sogenannte Sichelglanz an der Schneide, verursacht von der Kieselsäure im Getreide, sagt dem Archäologen, dass die Ur-Tieschener damit Getreide geschnitten haben.

Archäologe Neubauer mit seiner Tochter Livia und Funden
Ansonsten kann selbst Neubauer vorerst wenig über die Leute vom Königsberg sagen. „Wir wissen nicht einmal, welche Tiere sie hatten, weil sich in diesem Boden die Knochen nicht erhalten.“ Nur zur eingangs erwähnten Frage, warum sich hier eine derart riesige, wohl überregional bedeutende Siedlung – „vielleicht sogar ein Fürstensitz“ – befand, hat er eine Theorie: Der Archäologe hat unweit eine Basaltspalte ausgemacht und vermutet, die Ur-Tieschener haben Bergbau betrieben.
Info: Das neue Projekt in Tieschen ist auf 10 Jahre angelegt. Ein Museum soll entstehen, weiters Bewusstsein für die eigene Vergangenheit und ein touristischer Anziehungspunkt. Am 21. Juli gibt es ein Grabungsfest, bei dem Projekt und Funde präsentiert werden. Jeden Donnerstag ist Tag der offenen Tür.
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