Als Afghanistan aus dem Mittelalter geholt und modern werden sollte
Wenn heute von Afghanistan die Rede ist, geht es fast ausschließlich um die reaktionären Taliban und ihr rückständiges Frauenbild. Dabei gab es mehrere Versuche, das Land zu modernisieren.
Sommer in den 1970ern: Ganze Familien klettern in ihre VW-Busse und brechen Richtung Osten auf. „Damals war Afghanistan für viele Europäer ein Traumland. Der Hindukusch war besonders bei österreichischen Bergsteigern sehr beliebt“, erzählt Gabriele Rasuly. Die Kultur- und Sozialanthropologin der Uni Wien weiß auch, dass Busse auf dem „Hippie Trail“ von Amsterdam nach Indien verkehrten „und viele junge Leute in Afghanistan hängen blieben“. Es war die Zeit, in der in Bamiyan mit seinen imposanten Buddha-Statuen so etwas wie ein früher Tourismus entstand.
Es war auch die Zeit, in der die afghanischen Kommunisten ihren Landsleuten eine Modernisierungskur verordneten – „ohne zu bedenken, dass ein Großteil der afghanischen Gesellschaft für diese Art der schnellen Modernisierung nicht bereit war. Das hätte viel mehr Zeit gebraucht“, analysiert die Afghanistan-Expertin. So wurden auf dem Land Schulen errichtet, auch für Mädchen. Nicht einmal ältere Frauen blieben von der Bildungskampagne verschont, wurden mit Lkw abgeholt und in Alphabetisierungszentren gesteckt. Die Folge: breite Ablehnung.
Die neuen Machthaber hätten gewarnt sein sollen. Der Import des westlichen Modernisierungsmodells in den 1970ern war eine Wiederholung dessen, was König Amanullah bereits in den 1920ern versucht hatte – Afghanistan zu verwestlichen. Amanullah, seit 1919 König, sagte sich in seiner Krönungsrede vom britischen Empire los. Rasuly: „Er nahm sich die Reformen des türkischen Präsidenten Atatürk als Vorbild und hat mit seiner Frau Soraya eine siebenmonatige Europareise unternommen.“
Bei der Rückkehr sah er dann, wie rückständig Afghanistan wirklich war. Er wollte Modernisierung.
von Gabriele Rasuly
Kultur- und Sozialanthropologin an der Uni Wien
Reformen – ein Versuch
Frauen und hochhochrangige Beamte wurden ermutigt, Kleidung im westlichen Stil zu tragen, um Stammes- und Religionsunterschiede zu beseitigen. Er schuf einen Postdienst und installierte Telegrafen und Telefone. 1923 gab er Afghanistan eine Verfassung – Rede-, Religions- und Pressefreiheit inklusive. Frauen durften nicht nur zur Schule gehen, sondern das Gesetz besagte, dass Mädchen die gleiche Grundschule besuchen mussten wie die Buben. Arbeit außerhalb des Hauses schien möglich.
Gleichzeitig hob Amanullah die Privilegien von Stammesführern auf. Er kürzte die Subventionen für die Stämme und schaffte die traditionellen Ränge und Titel ab. Als dann Königin Soraya und andere Frauen bei einer Zeremonie einfach den Schleier ablegten, brachte das das Fass zum Überlaufen. „Amanullah verkannte die Situation im Land. Widerstand formierte sich, und er wurde 1928 gestürzt“, erzählt die Forscherin.
„Die Frauenfrage ist in konservativen Gesellschaften oft Ausgangspunkt für propagandistische Ausschlachtung. Man behauptet dann gerne, die Ehre der Familie, des Stammes oder der Ethnie werde verletzt“, sagt die Anthropologin. „Jene Frauen, die ab 2002 von den Modernisierungen profitiert haben, sind natürlich verbittert“, meint sie zur aktuellen Situation. An Widerstand glaubt sie trotzdem nicht. „Die konservativen Kreise sind froh, dass diese Modernisierungsprojekte Geschichte sind.“ Außerdem habe sich die Sicherheitslage gebessert. Da sei es egal, dass eine ganze Frauen-Generation ihrer Chancen beraubt wurde.
Kommentare