Jeder Zweite nimmt Pillen nicht

Jeder Zweite nimmt Pillen nicht
Jeder Zweite mit Herzschwäche nimmt seine Medikamente nicht - und stirbt deutlich früher.

Die Entwässerungsmittel gehen sozusagen noch am Besten: „Der Patient merkt, wenn er geschwollene Beine hat und ein Medikament abschwellend wirkt. Aber den Nutzen der anderen Präparate – etwa die Senkung seines Blutdrucks – spürt er nicht.“ So kommentiert der Kardiologe Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt von der MedUni Wien / AKH Wien die Ergebnisse einer von ihm durchgeführten Studie zum Thema Herzschwäche in Österreich:

Nur maximal 50 Prozent der Herzschwäche-Patienten nimmt die vom Arzt verordneten Medikamente (eine Kombination mehrerer Substanzgruppen) regelmäßig über einen längeren Zeitraum ein. Das ergab die Auswertung der Daten von rund 37.000 zwischen April 2006 und Juni 2010 in österreichischen Spitälern aufgenommenen Patienten.

Die Folgen sind dramatisch: Die durchschnittliche Überlebensdauer lag bei mangelhafter Therapie bei 2,5, bei guter Therapie hingegen bei 3,2 Jahren. Rund 250.000 Menschen sind in Österreich von Herzschwäche betroffen.

Auftraggeber der Studie war der Hauptverband der Sozialversicherungsträger. „Dafür, dass Herzschwäche einerseits so gefährlich, andererseits aber so gut zu behandeln ist, ist es erschreckend, wie schwach die Therapietreue der Patienten ist“, sagte Christoph Klein, stellvertretender Generaldirektor des Hauptverbandes bei der Studienpräsentation in Wien: „Aber dieses Verhalten bezahlen die Patienten mit ihrem Leben.“

Große Info-Kampagne

Deshalb haben sich die Krankenversicherungen dazu entschlossen etwas zu tun, „was sonst nur die Pharmawirtschaft macht“: Eine große Informationskampagne für Patienten und Ärzte zur Bedeutung der Medikamenteneinahme unter dem Titel „Herz gesund – Gut leben mit Herzschwäche“. 180.000 Patienten-Folder sollen verteilt werden.

Die Ursachen für die geringe Therapietreue sind vielfältig: „Tatsächliche Nebenwirkungen sind dabei viel weniger ein Problem als ganz praktische Aspekte“, sagt Wolzt: „Hat man von einem Mittel eine 50er-Packung, vom anderen aber nur eine mit 28 Tabletten, dann wird dieses Mittel oft weggelassen, wenn es aufgebraucht ist.“ Zum Teil vergessen die oft sehr alten Patienten aber auch ganz einfach auf die Einnahme, wenn keine Betreuungsperson darauf achtet. Hier müssten Angehörige mehr eingebunden werden.

„Und natürlich gibt es auch diejenigen, die nach dem Lesen des Beipacktextes sagen, das will ich nicht einnehmen“, sagt Norbert Muß, Kardiologe und Chefarzt der Salzburger Gebietskrankenkasse, die maßgeblich die neue Kampagne mitgestaltet hat.

Dabei sei gerade die medikamentöse Therapie der Herzschwäche extrem wirksam: „Die Medikamente stärken den Herzmuskel und ermöglichen erst dadurch ein qualitätsvolles Leben.“ Und das zu Therapiekosten von nur ca. 1,10 Euro pro Tag.

Die wichtigsten Ursachen für Herzschwäche sind unbehandelter Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens (z.B. nach einem Infarkt), Herzmuskel- und Herzklappenerkrankungen.

Jeder Zweite nimmt Pillen nicht

Telemedizin“ könnte die Medikamenteneinnahme bei Herzschwäche verbessern. Dieser Tage startete die mit mehr als 300 Patienten bisher größte Studie (MedUni Graz und Ludwig Boltzmann Institut für Translationale Herzinsuffizienzforschung):

Alle Teilnehmer messen täglich Blutdruck, Puls und Gewicht. Diese Daten werden automatisch an ein Mobiltelefon übermittelt. Gleichzeitig bestätigen die Patienten die Einnahme ihrer Medikamente und machen auf einer Karte mit Symbolen Angaben über ihr momentanes Wohlbefinden.

Von dem Mobiltelefon werden die Informationen an die Datenzentrale geleitet.

Werden Grenzwerte unter- oder überschritten, erfolgt per eMail oder SMS eine Meldung an den Arzt. „Erfahrungen zeigen, dass Patienten die Vorteile eines solchen geschlossenen Monitoring-Kreislaufs verstehen und annehmen, was sich in verbesserter Therapietreue ausdrückt“, so Univ.-Prof. Burkert Pieske, Präsident Österr. Kardiologengesellschaft.

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