Zulassungsdebatte bei Corona-Impfungen: Warum die EU anders agiert
Während in den USA aktuell nach der Notfallzulassung die bisher größte Impfkampagne in der Geschichte des Landes anrollt, hinkt die EU bei der Zulassung des Pfizer-Biontech-Impfstoffs noch hinterher. Dabei stehen auch der dafür zuständigen Europäischen Arzneimittelagentur EMA reguläre Verfahren zur frühzeitigen Zulassung zur Verfügung.
In der Europäischen Union ist noch unklar, wann genau mit den Immunisierungen durch den Pfizer-Biontech-Wirkstoff begonnen werden kann. Zuletzt hieß es, dass eine Zulassung am 21. Dezember erfolgen soll, acht Tage früher als geplant. Zuvor muss die EMA, genauer gesagt der zuständige Ausschuss für Humanarzneimittel, den Impfstoff per Gutachten empfehlen. Die EU-Kommission stellt basierend darauf formal eine zentrale Lizenz für die Verwendung des Impfstoffes in Europa – und damit auch in Österreich – aus.
Zulassung im Zeitraffer
Doch worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen einer Notfallzulassung, wie sie etwa in den USA zur Anwendung kam, und der in der EU anvisierten Zulassung? Und warum dauert das Prozedere innerhalb der EU länger? Ein Erklärungsversuch.
Laut dem Paul-Ehrlich-Institut, dem deutschen Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, existieren in Europa grundsätzlich drei reguläre Verfahren, die unter bestimmten Bedingungen eine frühzeitige Zulassung möglich machen: das beschleunigte Bewertungsverfahren, die bedingte Zulassung und die Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen.
Ersteres passiert im Fall von Corona durch einen "Rolling Review". Impfstoffhersteller senden Daten aus der entscheidenden Prüfphase laufend zur Begutachtung.
Bei einer Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen wird auf die sonst erforderlichen umfassenden klinischen Daten verzichtet, um einem begründeten hohen medizinischen Bedarf gerecht zu werden. Dazu kommt es bei der Zulassung von Covid-19-Impfstoffen nicht, in der Vergangenheit traf dies aber bereits auf Medikamente gegen sehr seltene Krankheiten zu. Das Vorgehen ist an besonders strenge Auflagen geknüpft, wird jährlich gecheckt und nicht in eine Vollzulassung umgewandelt.
Bleibt noch die bedingte Zulassung, die von der EU eben derzeit bei den Corona-Impfungen von Biontech und Pfizer (oder auch Moderna) anvisiert wird. Sie ist an Auflagen (z. B. positive Nutzen-Risiko-Bilanz, Vorbeugung lebensbedrohlicher Krankheit) geknüpft, nur für ein Jahr gültig und kann danach jährlich erneuert werden sowie in eine Vollzulassung münden. Bis zu einer solchen Hochstufung dauert es in der Regel an die fünf Jahre, in denen Hersteller ergänzende Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte nachliefern müssen.
Notfallzulassung: Beispiel USA
Davon abzugrenzen ist eine Notfallzulassung, wie sie etwa in den USA durch die US-Arzneimittelbehörde FDA oder Großbritannien durch die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel MHRA gewährt wurde.
Für einen Antrag auf Notfallzulassung in den USA müssen Hersteller nachweisen, dass bei einem Impfstoff mindestens acht Wochen nach Verabreichung der letzten Dosis keine ernsten Nebenwirkungen auftreten. Generell ist der Prozess der Arzneimittelzulassung in den USA etwas anders gestaltet als in Europa. Er wird früher angestoßen, die laufende Einreichung klinischer Prüfdaten ist Usus. Auch bei weniger dringlichen Arzneien.
Auch Österreich hätte den Weg einer nationalen Notfallzulassung theoretisch gehen können. Hierzulande werden Arzneimittel durch die Österreichische Agentur für Gesundheit (AGES) und Ernährungssicherheit und die dort ansässige Medizinmarktaufsicht zugelassen und überwacht.
Auch Österreich hätte den Weg einer nationalen Notfallzulassung gehen können. Man entschied sich dagegen. Aus gutem Grund, weiß Impfstoffexpertin Christina Nicolodi: "Die Impfstoffprüfung hätte wegen mangelnder Ressourcen in Österreich nicht so präzise erfolgen können. Außerdem hätten wir mit BioNTech und Pfizer alleine verhandeln müssen und uns nicht in die Sammelbestellungen der EU einklinken können. Als kleiner Teil im europäischen System haben wir so bessere Chancen, die Dosen möglichst rasch zu bekommen."
In Großbritannien gibt es laut Nicolodi einen politischen Hintergrund für die nationale Notfallzulassung: "Da das Land ab 2021 nicht mehr zur EU gehören wird, brauchen sie spätestens ab dann eine eigene Lizenz für die Impfstoffe."
Betonte Abgrenzung
Am Ende werden dennoch nur wenige Wochen zwischen den Zulassungen in der EU und den USA liegen. Warum grenzt man sich so stark von Notfallzulassungen ab? "Sie hinterlassen immer ein bisschen den Anschein, dass im Hintergrund gehudelt wurde", sagt Infektiologe Herwig Kollaritsch, wenngleich die FDA sehr streng prüfe. "Die EMA hat von vornherein gesagt, dass man diesen Eindruck nicht erwecken und ein reguläres Zulassungsverfahren auf den Weg bringen will." Das sei psychologisch sinnvoll und praktisch wertvoll: "Es beugt Impfskepsis vor und garantiert den Herstellern eine vollwertige – wenngleich befristete – Zulassung."
Und warum keine Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen? "Das ist eigentlich nur bei sehr seltenen Erkrankungen sinnvoll, für die es keine Therapie gibt", sagt Kollaritsch. Hier würde es viel zu lang dauern, bis man entsprechend umfangreiche Daten aus Studien beisammen hätte. "Die Zahl der Erkrankten ist so gering, dass man da anders vorgehen muss."
Druck steigt
Ein sicherer und wirksamer Impfstoff gilt jedenfalls als Schlüssel dafür, einen Weg aus der Pandemie zu finden. Angesichts der schwersten Krise, die das öffentliche Gesundheitswesen in der jüngeren Geschichte erlebt hat, steigt aber der Druck auf die EMA. So drängte etwa der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn am Dienstag auf eine Beschleunigung: "Wir wollen noch vor dem Jahreswechsel mit dem Impfen beginnen", sagte er auf einer Pressekonferenz.
Nicolodi warnt davor, der EMA überbordende Bürokratie vorzuwerfen: Die FDA sei bei Notfallzulassungen auch routinierter, die EU durch die vielen involvierten Mitgliedsstaaten etwas langsamer unterwegs. "Bei uns sitzen im zuständigen Komitee Vertreter aller Mitgliedsstaaten. Oft tauchen gerade in diesen Meetings noch Fragen auf, die Änderungen nach sich ziehen, etwa Feinheiten in der Produktinformation, die sich auch an sprachlichen Differenzen spießen können. In Summe ist das ein sehr intensiver formeller Prozess. Und alle müssen letztlich zuzustimmen, weil wir eine zentrale Zulassung aussprechen, die alle Mitgliedsstaaten betrifft. Die Wünsche und auch die Kritik der einzelnen Mitgliedstaaten müssen ausgeräumt werden, sonst gibt ein Mitgliedstaat keine Zustimmung. Natürlich dauert das ein bisschen länger."
Das derzeitige Vorgehen der EMA zeuge davon, "dass man sich nicht beeinflussen lässt, sondern dass sich die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung bewusst sind".
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