Wie man nach einer Covid-19-Infektion wieder riechen lernt
Der plötzliche Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn ist eines der spezifischsten Krankheitszeichen von SARS-CoV-2. Zwischen 60 und 80 Prozent aller Coronapatientinnen und -patienten haben Riechstörungen als Krankheitssymptom, erklärt Christian Müller, Leiter der Ambulanz für Riech- und Schmeckstörungen an der MedUni Wien. So schnell, wie das irritierende Symptom da ist, verschwindet es meist wieder – und das Essen schmeckt erneut.
Doch bei vielen Menschen hat sich der Geruchssinn auch lange nach der Infektion noch immer nicht vollständig normalisiert.
65 Prozent aller Personen, die an Corona erkrankten, leiden noch eineinhalb Jahre nach ihrer Genesung entweder an einem Geruchsverlust oder einem verminderten oder verzerrten Geruchssinn. Das zeigen die vorläufigen Forschungsergebnisse einer noch nicht begutachteten schwedischen Studie. Ein Forschungsteam des Karolinska-Instituts in Stockholm führte dazu 100 Tests an genesenen Personen durch, die sich in der ersten Infektionswelle in Schweden, sprich im Frühjahr 2020, mit Covid-19 infiziert hatten.
Fast die Hälfte leidet an Parosmie
Ihre vorläufigen Studienergebnisse zeigen, dass 18 Monate nach der Infektion vier Prozent der Genesenen ihren Geruchssinn vollständig verloren hatten. Außerdem konnte ein Drittel der untersuchten Personen Gerüche auch nach eineinhalb Jahren schlechter erkennen. Fast die Hälfte der Probandinnen und Probanden litt unter einer Parosmie, also einer Fehlwahrnehmung von Gerüchen.
So auch Kristina Kosjak. Die Studentin aus Deutschlandsberg infizierte sich im Oktober 2020 mit dem Coronavirus. Etwa neun Monate nach der Infektion mit mildem Verlauf konnte sie noch immer nichts riechen oder schmecken. Seitdem verändert sich ihr Geruchssinn laufend: Manche Gerüche kamen wieder zurück, andere bleiben nach wie vor aus. Einige Aromen nimmt sie heute stark verfälscht wahr. So etwa den Duft vieler Parfums oder Pflegeprodukte. "Auch Lebensmittel wie Pfeffer, Kümmel und Himbeeren riechen für mich heute extrem unangenehm“, erzählt sie.
Österreichische Studie
Internationale Forschungsergebnisse entsprächen auch den Erfahrungswerten einer österreichischen Langzeitstudie zu Riechstörungen, sagt Müller. "Die ersten Daten unserer Studie haben gezeigt, dass viele Patienten auch nach über einem Jahr noch unter einer Beeinträchtigung des Riechvermögens leiden.“
Laut Müller trifft das heute auf zirka 80 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu. Der Großteil von ihnen – etwa 90 Prozent – leidet an einer Hyposmie, also einem verringerten Riechvermögen und keinem vollständigen Verlust. Etwa zehn Prozent der von Riechstörungen längerfristig Betroffenen haben eine funktionelle Anosmie. Das bedeutet, dass der Geruchssinn so schwer geschädigt wurde, dass man im Alltag kaum noch etwas riechen kann. Laut Müller haben sich "20 Prozent der Studienteilnehmer bereits in die Normosmie (normale Geruchswahrnehmung, Anm.) hinein verbessert".
Auffällig ist, dass viele Patientinnen und Patienten, die sich mit der Delta-Variante infizierten, an einer Parosmie, einem Fehlriechen, leiden. Nachdem sich die anfängliche Riechstörung bei ihnen kurzzeitig verbesserte, begannen Dinge plötzlich anders, häufig sehr unangenehm, für sie zu riechen. Den typischen Verlauf beschreibt Müller so: "Ein paar Tage bis wenige Wochen riechen die Patienten gar nichts. Dann kommt der Geruchssinn wieder und nach drei bis vier Monaten kommt es zur Parosmie.“
Kontrollgruppe ebenfalls Störungen
An den Studienergebnissen aus Schweden ist auffallend, dass Tests in der Kontrollgruppe mit Personen ohne vorangegangener Infektion, also Personen, die keine Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet hatten, ebenfalls Störungen des Geruchssinns feststellten. Etwa ein Fünftel der Probandinnen und Probanden wies ähnliche Beeinträchtigungen auf, wie die Genesenen-Gruppe. Das lässt darauf schließen, dass Geruchsstörungen auch unabhängig von Covid-19 verbreiteter waren, als zunächst bekannt war. Vor der Teilnahme an der Studie seien sich viele Menschen nicht über ihren eingeschränkten Geruchssinn bewusst gewesen.
"Angesichts der Zeitspanne, die seit der ersten Beeinträchtigung des Geruchssystems vergangen ist, ist es wahrscheinlich, dass diese Geruchsprobleme dauerhaft sind", schreibt das schwedische Forschungsteam. Anders sieht das Müller. Auch nach längeren Einschränkungen könne es wieder zu einer vollen Leistungsfähigkeit des Geruchssinns kommen: "Bei den 80 Prozent der Patienten, die eine Hyposmie haben, ist eine Regeneration wahrscheinlich.“
Der Grund für das typische Covid-19-Symptom ist, dass die Rezeptoren des Coronavirus nicht auf den Riechnervenzellen sitzen, sondern auf den Stützzellen der Riechschleimhaut. Die Nervenzellen und die Basalzellen, von denen die Regeneration ausgeht, werden also nur sekundär geschädigt, erklärt Müller. Oft reiche aber doch eine gewisse Zerstörung dieser Stützzellen aus, um größere Probleme zu verursachen.
„Lebensqualität verloren gegangen“
Schlechter oder gar nichts mehr zu schmecken bedeutet für Betroffene eine massive Einschränkung in ihrem Alltag. Essen erleben sie häufig nicht mehr als Genuss; statt Geschmack müssen sie auf andere Methoden ausweichen. Seit sie nicht mehr richtig schmecken kann, achte sie beim Essen mehr auf Konsistenz und Farben, erzählt etwa Kosjak. "Ich vermisse es schon sehr, da sich dadurch auch mein Verhältnis zum Kochen oder Essengehen verändert hat und so ein Stück weit Lebensqualität verloren gegangen ist.“
Gegen Riechstörungen oder Riechverluste gibt es aktuell keine Medikamente. Ideen zu Riechimplantaten lägen zwar vor, allerdings scheint die Umsetzung davon noch in weiter Ferne, so Müller. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, um dem eigenen Geruchssinn wieder etwas auf die Sprünge zu helfen. Müller empfiehlt als einzige evidenzbasierte Therapiemöglichkeit das Riechtraining, das auch in Eigenregie durchgeführt werden kann.
Als Standardtherapie sollen Betroffene zwei Mal täglich zwei Minuten an vier Duftölen – etwa mit fruchtigem, blumigen oder würzigem Unterton – schnüffeln. Ausschlaggebend ist die Routine: "Das Riechtraining muss man wirklich langfristig machen, etwa über ein Jahr. Zwei Wochen oder nur ein Monat reichen hier nicht.“ Auch Rauchen könne die Regeneration beeinträchtigen, erklärt Müller.
Wenige Daten für Omikron
Wie gut die Ergebnisse der österreichischen und schwedischen Studie auf die aktuell grassierende Omikron-Variante umgemünzt werden können, ist aktuell noch nicht klar. Eine Analyse der britischen Gesundheitsbehörde deutet darauf hin, dass Geruchs- oder Geschmacksverluste bei Omikron weniger als halb so häufig auftreten wie bei der früher dominierenden Delta-Variante.
Gegenüber dem Guardian sagte Dr. Johan Lundström, der die Forschung am Karolinska-Institut leitete, dass es nach wie vor keine zuverlässigen Daten gäbe, die belegen, dass Omikron seltener das Geruchssystem beeinflusse als frühere Virusvarianten. Laut Müller gäbe es bei Omikron "Hinweise, dass die Riechstörungen weniger häufig sind“, aber noch keine konkreten Zahlen diesbezüglich.
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