Explodierende Corona-Zahlen: Ist Omikron der Weg aus der Pandemie?
Der neue Höchststand von Omikron-Infektionen an einem Tag - exakt 27.677 Neuinfektionen - wird nicht lange halten: "Die Prognose geht weiterhin von einem Anstieg des Infektionsgeschehens aus", heißt es im jüngsten Papier des Covid-Prognose-Konsortiums.
Ab Mitte kommender Woche könnte es pro Tag sogar mehr als 40.000 Neuinfektionen geben. Trotzdem - oder gerade deswegen - sprechen Expertinnen und Experten zunehmend von einer möglichen "Ausstiegswelle" aus der Pandemie. Das scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein.
Der deutsche Epidemiologe Hajo Zeeb bemühte kürzlich sogar die Formulierung vom "Licht am Ende des Tunnels". Denn: "Der derzeitige Anstieg wird in eine andere Phase der Pandemie münden". Damit meint er den Übergang in die endemische Phase.
Aber: „Wir müssen die Immunität durch die Impfungen weiter aufbauen, und das kann noch dauern“.
Das Virus wäre dann nicht verschwunden, aber endemisch (vom Altgriechischen en demos, im Volk), sprich: Der Erreger zirkuliert weiterhin, aber relativ wenige erkranken schwer, „weil sie schon einmal Kontakt mit dem Virus hatten oder geimpft sind“, sagte Sandra Ciesek, Leiterin der Virologie in Frankfurt am Main, in der jüngsten Folge des NDR-Podcasts Coronavirus update. „Aber diesen Zustand haben wir noch gar nicht erreicht“ – und er werde auch nicht von einem Tag auf den anderen eintreten."Das sei ein schleichender Prozess, "der auch lange dauern kann und der stark davon abhängig ist, was man selber tut und für Maßnahmen hat. Das heißt auch nicht, dass man dann SARS-CoV-2 ignorieren kann und alles ganz harmlos ist, das ist auch eine falsche Vorstellung."
Es könnte regelmäßige Wellen geben wie bei den anderen vier Coronaviren, "die ja Erkältungsviren sind und die in der Regel mild verlaufen. Es ist aber auch möglich dass Covid eher so verläuft wie die Grippe, dass man regelmäßig die Menschen auffrischen muss, gerade Risikogruppen auffrischen muss und dass es doch auch schwerere Erkrankungen einfach gibt und dass man sich einfach immer wieder infizieren kann aber durch eine gewisse Grundimmunität die Erkrankung mild verläuft", sagte Ciesek.
Aber auch der Virologe Christan Drosten sieht in Omikron eine "Chance", den Ausstieg aus der Pandemie zu schaffen. Das setzt aber eine breite Immunität voraus. Alle Menschen müssten sich früher oder später infizieren, sagt er dem Tagesspiegel am Sonntag. "Das Virus muss sich verbreiten, aber eben auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes" - sonst würde zu viele Menschen sterben. Aber ganz sicher werden wir wieder so leben wie vor der Pandemie.
Spanien wird als Beispiel für ein Land genannt, das sich bereits am Übergang von der Pandemie zur Endemie befindet, Covid-19 wie eine Grippe behandeln und die Überwachung der Infektionen lockern will. Das Land hat eine sehr hohe Impfquote (82 % der Gesamtbevölkerung), zusätzlich haben in den ersten Wellen sehr viele eine Infektion durchgemacht. Bei mehr als 90 Prozent der Bevölkerung wird davon ausgegangen, dass sie Antikörper gebildet haben. In Deutschland oder Österreich ist die Impfquote deutlich niedriger (72 %). Deshalb betont Epidemiologe Zeeb, dass „wir die Immunität durch die Impfungen weiter aufbauen müssen, und das kann noch dauern“.
Trotzdem ist auch die Epidemiologin Eva Schernhammer von der MedUni Wien zuversichtlich: Generell sei Österreich durch den hohen Anteil der Booster-Impfungen und zahlreiche Infektionen in der Delta-Welle gut aufgestellt. „Möglicherweise sind wir, so keine neuen Immun-Escape-Varianten kommen und die bis dahin erworbene Immunitaet gut hält, im Herbst in einer Situation, in der der Umgang mit Corona in die Selbstverantwortung übergeht, so wie bei der Grippe: Wer will, kann seinen Impfstatus auffrischen lassen und es besteht keine Gefahr mehr, dass die Spitäler überlastet werden.“
Laut der WHO-Chefwissenschafterin Soumya Swaminathan sei noch unklar, ob der Übergang in eine endemische Phase nach der Omikron-Welle geschehen könne. „Wir wissen nicht, wann und wo die nächste Variante auftauchen wird, und wie sie mit Omikron und Delta interagiert“, sagte sie zum Handelsblatt. Zudem könne kein Land in eine endemische Phase übergehen, wenn der Rest noch in der Pandemie sei.
Nie mehr Hammer, nur mehr Tanz?
Am zuversichtlichsten äußerste sich dieser Tage Tomas Pueyo den man als „Corona-Influencer“ der ersten Pandemie-Stunde bezeichnen könnte. Und das, obwohl der 40-Jährige gar kein Virologe ist. Der Datenanalyst warnte schon früh vor der Wucht des Virus und erfand das Wechselspiel aus Lockdown und Lockerung ("Hammer and Dance").
Nun sollte es sich aber bald „ausgehammert“ haben, wie Pueyo in seinem neuen Online-Beitrag mit dem Titel „Coronavirus: Game Over“ festhält. Seine Kernaussage: Das Ende der Pandemie sei erreicht, weiterleben angesagt. „Impfstoffe reduzieren Todesfälle um 90 Prozent, Omikron tötet 90 Prozent weniger Menschen, Behandlungen schützen 90 Prozent der Personen. Diese Punkte reduzieren die Covid-Todesrate um 99,9 Prozent“, argumentiert der marketingaffine Pueyo. Nach der Omikron-Welle hätten die meisten zudem eine Immunität aufgebaut. Er appelliert an die Entscheidungsträger: „Es ist an der Zeit, unser Verhalten zu ändern.“
Am Ende seines Texts räumt allerdings auch Pueyo ein, dass noch nicht alle „entspannen“ können. Für Immunsupprimierte, ärmere Länder, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und (noch ungeimpfte) Kinder sei der Ausnahmezustand nicht zu Ende.
Trotzdem macht die Entwicklung in anderen Ländern Hoffnung: "In Großbritannien bricht die Omikron-Welle gerade in sich zusammen", sagt der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg. "Es gibt bisher keine Daten, die gegen dieses Szenario in Deutschland (und auch in Österreich, Anm.) sprechen würden." In ein oder zwei Monaten könnte die derzeitige Welle überstanden sein.
Ob das dann aber auch das Ende der Pandemie ist, das traut sich derzeit niemand vorherzusagen.
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