Wie Corona zu Impflücken in Österreich führte
„Corona bleibt und die Impfskepsis, die sich da hochgeschaukelt hat“, sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch anlässlich des Auslaufens der Pandemie-Maßnahmen. Die Lockdowns, in denen erst gebeten wurde, auf Arztbesuche zu verzichten und die kurzzeitige Einführung der Impfpflicht haben zu Verhaltensänderungen geführt („Impflücken“), die sich auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken. Auch die hohen Kosten mancher Impfungen - etwa der neuen Gürtelrose-Impfung - soielen dabei eine Rolle. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist eine Impflücke?
Das bedeutet, dass der empfohlene Zeitraum für die (Auffrisch-)Impfung vorbei ist. Dadurch sinkt der Prozentsatz der Geimpften, was zu Krankheitsausbrüchen führen kann. Während der Pandemie kam es zu einem Rückgang der Masern-Mumps-Röteln-Impfraten. „Das Kinderimpfprogramm wird wieder zunehmend angenommen - Lücken scheinen besonders bei den Erwachsenenimpfungen vorzuliegen“, sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie (Impfwesen) und Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien. "Wie groß und in welchen Altersgruppen die Impflücken vorliegen erkennen wir bislang immer nur anhand von Krankheitsausbrüchen. Während der Pandemie sind Ausbrüche von impfpräventablen Erkrankungen zurückgegangen wegen der Maßnahmen. Das kann sich aber jetzt mit der Normalisierung des Alltaglebens rasch ändern."
Wo gibt es Impflücken?
Die seit dem II. Weltkrieg zurückgedrängte Diphtherie kehrt wieder. „40 Prozent der Österreicher sind ohne Diphtherie-Schutz“, sagt Wiedermann-Schmidt. Nach der Grundimmunisierung im Säuglings- und der Auffrischung im Schulalter sind bis zum vollendeten 60. Lebensjahr alle zehn Jahre und ab dem 60. Lebensjahr alle fünf Jahre Auffrischungen empfohlen. Dafür wird ein Kombi-Impfstoff mit Tetanus, Keuchhusten (Pertussis) und Kinderlähmung (Polio) empfohlen. „Vielen ist nicht bewusst, dass Auffrischungen notwendig sind. Und es gibt oft falsche Meinungen wie jene, Diphtherie spiele doch eh keine Rolle mehr, Polio sei nur eine Kinderkrankheit, Keuchhusten nicht so schlimm.“ Gleichzeitig steigen durch die Migration aus Ländern, in denen es keine flächendeckenden Impfungen gibt, die Infektionszahlen in Westeuropa.
Wäre es besser gewesen, die Impfpflicht nicht einzuführen?
Wenn man diesen Schritt als äußerste Maßnahme setzt, dann muss das gut vorbereitet und mit einer entsprechenden Kommunikations- und Aufklärungsstrategie verbunden sein. Und die Menschen müssen verstehen, warum das jetzt notwendig ist. Aber eine Impfpflicht zu einem Zeitpunkt in Kraft zu setzen (am 5.2.2022,Anm.), wo die Notlage nicht mehr in dem Ausmaß gegeben war dank der Omikron-Variante, das ist bei vielen auf völliges Unverständnis gestoßen.
Gleichzeitig war die vorangegangene Kommunikation ein völliges Durcheinander – zuerst Impfpflicht niemals, dann Impfpflicht ja –, und vor allem ein großes Politikum. Das hat uns nachhaltig beim Thema Prävention durch Impfungen, das immer schon schwierig war, geschadet, und wird uns noch lange nachhängen. Die Impfpflicht und die generelle "Verpolitisierung" und Emotionalisierung des Impfthemas war sicherlich nicht förderlich für die Impfbereitschaft insgesamt.
Deshalb ist es wichtig, dass man jetzt auf positive Art und Weise, ohne Panik zu machen, informiert, warum es wichtig ist, die Impflücken zu schließen. Wenn jetzt im Zuge von Flucht und Migration Krankheiten wieder nach Europa kommen, die wir schon lange nicht gesehen haben, dann kann das nur dann passieren, wenn die hiesige Bevölkerung keinen ausreichenden Impfschutz hat.
Informationen im Internet allein werden da nicht ausreichen. Eine Möglichkeit, die man noch verstärkt nutzen muss, ist der Arbeitsplatz, wo über Betriebsärzte oder Arbeitsmediziner die Angestellten niederschwellig informiert werden können. Wichtig wäre auch Erinnerungssysteme, die an Auffrischungsimpfungen erinnern. Schweden macht das seit vielen Jahrzehnten sehr erfolgreich. Denn nur ein kleiner Teil derer, die nicht geimpft sind oder zumindest nicht zu Auffrischungsimpfungen geht, lehnt Impfungen grundsätzlich ab. Ein großer Prozentsatz vergisst einfach im Alltag darauf. Eine deutliche Verbesserung erwarte ich mir durch den elektronischen Impfpass, doch es wird noch einen Zeit dauern, bis sich das System entsprechend etabliert hat.
Und wir brauchen auch spezielle Informationsangebote für Jugendliche, neue Tools, Werkzeuge, wie etwa Chatbots mit textbasierten Dialogsystemen, wo man auf Fragen seriöse Antworten erhält.
Wie groß die Impflücken sind, weiß man nicht im Detail. Dafür fehlen die Daten. Wird der e-Impfpass da Verbesserungen bringen?
Bisher konnte man immer nur anhand der abgerufenen Impfstoffdosen rückrechnen, wie hoch die Impfzahlen bei den Kindern sind. Und wir konnten anhand des Auftretens von meldepflichtigen Erkrankungen wie den Masern sehen, in welchen Bevölkerungs- und Altersgruppen die größten Lücken sind. In Zukunft wird man erheben können, wie viel Prozent einer Altersgruppe diese oder jene Impfung erhalten haben – jede Impfung wird ja automatisch in den e-Impfpass eingetragen.
Wichtig wird aber die Vernetzung der Daten sein: Jene aus dem e-Impfpass müssen mit dem Register für meldepflichtige Infektionskrankheiten und den Spitalsaufnahmen verknüpft werden können. Nur dann bekommen die Daten auch einen entsprechenden Wert und eine große Aussagekraft. Dann können wir unsere Impfprogramme evaluieren und erheben, ist es effizient, wo muss man nachrüsten,etc.
Welche Impfungen sind für Kinder kostenfrei?
Bis zum vollendeten 15. Lebensjahr Masern-Mumps-Röteln, Rotavirus, die 6-fach Impfung (Diphtherie/Tetanus/Polio /Pertussis/Hep. B/Haemophilus influenzae B, die 4-fach Impfung (Diphtherie/Tetanus/Polio/Pertussis), Pneumokokken, Meningokokken, HPV, Influenza. Das Kinderimpfprogramm ist bis zum vollendeten 15. Lebensjahr gratis, die Ausnahme ist nun HPV bis 21.
Warum ist die HPV-Impfung für unter 21-Jährige gratis?
Humane Papillomaviren (HPV) können Krebs(-vorstufen) verursachen und werden über sexuelle Aktivität übertragen. „Ich weiß von unserer eigenen Ambulanz, welche Rolle der Kostenfaktor bei jungen Erwachsenen spielt, daher war die Entscheidung der Altersanhebung der Gratisimpfung ganz wichtig“, sagt Wiedermann-Schmidt. Eine Dosis kostet 215,50 €, bis zum vollendeten 21. Lebensjahr sind zwei Dosen empfohlen, danach drei (allgemein bis zum 30. Geburtstag).
Was bringt Älteren die Herpes-zoster-Impfung?
„Ältere Menschen haben ein erhöhtes Risiko, an Gürtelrose zu erkranken und und langdauernde Nervenschmerzen (postherpetische Neuralgien) durchzumachen“, sagt Wiedermann-Schmidt. „Das kann zu Langzeitfolgen führen, die sehr unangenehm sind, aber auch für das Gesundheitssystem finanziell belastend.“ Es wäre deshalb wünschenswert, dass im Impfplan empfohlene Impfungen nicht nur für Kinder, sondern generell auch für Erwachsene kostenfrei oder kostengünstig erhältlich sind. „Impfungen sind schließlich ein ganz wesentlicher Teil einer Präventionsmedizin, auf die wir in Zukunft stärker setzen sollten.“ Vom neuen Herpes-zoster-Impfstoff sind zwei Dosen zu je 225,50 Euro (Aktionspreis von GSK und Apothekerkammer bis 30. 6.) notwendig: „Mit einem geringen Einkommen ist das für viele Pensionisten nicht leistbar.“ In Deutschland werde die Impfung öffentlich finanziert. Gratis bleiben die Corona-Impfungen. Die Grippe-Impfung für Erwachsene wird ab Herbst gegen eine Rezeptgebühr (6,85 Euro) erhältlich sein.
Ich habe den Impfpass verloren. Wie weiß ich, welche Impfung noch schützt?
Bei einigen Impfungen lassen sich die Antikörper durch eine Titer-Bestimmung im Blut feststellen. Diese kostet etwa 15 bis 25 Euro, spezielle Titer auch etwas mehr, heißt es beim Wiener Labor Vidotto. „Da manche Impfungen teils billiger oder in etwa gleich teuer sind, kann es sich in gewissen Fällen lohnen, die Impfung einfach aufzufrischen. Vor allem für Impfskeptiker ist es aber eine Möglichkeit, sich die eine oder andere Auffrischungsimpfung zu ersparen – ist der Titer hoch genug, ist eine erneute Impfung nicht notwendig.“ Wiedermann-Schmidt ist da zurückhaltend: „Wie wir in der Pandemie bei Covid gelernt haben, gibt es viele Impfungen, wo man nicht eindeutig sagen kann, ab welchem Antikörperspiegel ein Schutz zu erwarten ist.“ Sicherer sei es, die Auffrischungsimpfung durchzuführen im empfohlenen Intervall. "Und wenn eine Titerkontrolle, dann sollte man diese nach der Impfung machen um zu überprüfen, dass man gut angesprochen hat."
Sollen Apotheker impfen?
Angesichts von Diphtherie-Erkrankungen tritt die Apothekerkammer dafür ein, dass auch Apotheker impfen dürfen. Es sei international erwiesen, dass durch das Impfen in der Apotheke deutlich höhere Durchimpfungsraten erzielt werden. Wiedermann-Schmidt sieht das anders: „Es gibt so viele Möglichkeiten, die noch nicht ausreichend genützt werden derzeit – etwa Impfungen am Arbeitsplatz durch Arbeitsmediziner.“
Warum ist eigentlich gerade die FSME-Impfung in Österreich so beliebt?
Diese Impfung ist für mich ein Phänomen. Es gibt kaum ein anderes Land, in dem sie so gut angenommen wird wie bei uns. Aber sogar hier müssen wir darauf achten, dass es zu keinen Impflücken kommt – im Vorjahr hatten wir immer an die 180 FSME-Fälle. Ein Grund für den Erfolg dieser Impfung ist sicher, dass sie in Österreich entwickelt wurde und es hier eine gewisse Solidarität mit dem Produkt gibt. Und dann hat natürlich auch sicher die Werbung, die auf die Angst vor der drohenden Gefahr im Wald und in der Natur ausgerichtet war, eine Rolle gespielt. Aber diese Art der Kommunikation ist nicht auf andere Impfungen umsetzbar. Und es soll ja auch nicht um Angst, sondern um die Überzeugung gehen, dass Auffrischungsimpfungen wichtig sind, um das Wiederauftreten von überwunden geglaubten Erkrankungen zu verhindern.
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