Wer soll sich wirklich jetzt zum vierten Mal impfen lassen?
Seit Wien die vierte Covid-Impfung für alle ab 12 Jahren freigegeben hat, herrscht enormer Andrang – 12.000 Personen holten sich die vierte Dosis bereits ab. Doch das Vorpreschen der Bundeshauptstadt sorgt auch für eine gewisse Verwirrung: Wem ist wirklich jetzt schon die vierte Corona-Schutzimpfung empfohlen - und wem erst im Herbst? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der Hintergrund: Die Bundeshauptstadt hat die vierte Impfung für alle ab zwölf Jahren freigegeben – wenige Tage vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG). In den anderen Bundesländern bekommt man den vierten Stich als unter 65-Jähriger zwar auch, aber nur auf ausdrücklichen Wunsch. Durch das Vorgehen der Stadt Wien entstand teilweise der Eindruck, die vierte Impfung werde bereits ab 12 Jahren generell empfohlen. Dem ist aber definitiv nicht so.
Wie sehen die Empfehlungen für die vierte Impfung jetzt wirklich aus? Wie ist das bei Menschen ohne Begleiterkrankungen?
Das Nationale Impfgremium empfiehlt die vierte Impfung generell Menschen ab 65 Jahren frühestens vier Monate, jedenfalls aber ab 6 Monaten nach der 3. Impfung bzw. nach einer Infektion. Jüngeren, gesunden Personen unter 65 wird die vierte Impfung „derzeit nicht allgemein empfohlen – es spricht jedoch nichts dagegen, wenn dem persönlichen Wunsch nach einer 4. Impfung gefolgt wird“. Personen mit einem Impfwunsch sollte eine Auffrischungsimpfung (4. Impfung) nicht vorenthalten werden. Auch bei Gesunden unter 65 Jahren gilt: Frühestens ab vier Monaten, besser erst ab 6 Monaten nach der 3. Impfung.
Und wie ist das jetzt in Wien genau? Da wird die Impfung bereits ab 12 Jahren empfohlen?
Auf der Homepage impfservice.wien heißt es, dass „allen Personen zwischen 12 und 64 Jahren“ die 4. Impfung als Auffrischungsimpfung frühestens 4 Monate, besser 6 Monaten nach ihrer 3. Impfung nach ärztlicher individueller Nutzen-Risiko-Abwägung möglich ist". - „Das ist keine ausdrückliche Empfehlung der Stadt Wien“, betont ein Mitglied des Impfgremiums. Allerdings wird es teilweise so verstanden. Grund für dieses Betonen des "Möglichmachens": Sowohl das Impfgremium als auch die Stadt Wien wollen verhindern, dass Menschen, die nicht 100-prozentig den Kriterien der offiziellen Empfehlung entsprechen, die Impfung verweigert wird – was in der Vergangenheit vorgekommen ist.
Warum empfiehlt das Impfgremium nicht allen Menschen ab 12 schon jetzt die vierte Impfung?
Das Impgremium begründet das so: Eine vierte Impfung verbessere bei Personen mit gut funktionierendem Immunsystem bei den derzeit zirkulierenden Virusvarianten die Schutzwirkung gegen eine SARS-CoV-2-Infektion und gegen eine milde Form derCovid-19-Erkrankung "nur eingeschränkt und kurzfristig". Der Schutz vor schweren Erkrankungen bleibe auch mit drei Impfungen bestehen.
Bei Jüngeren baue sich auch nach drei Impfungen eine Langzeit-Immunität auf, sagt die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien. "Bei den Älteren und Immunschwachen bildet sich eine Immunität nur kürzer aus und der Schutz vor schweren Verläufen sinkt deutlich nach zirka vier Monaten. Deshalb ist für sie die vierte Impfung schon jetzt notwendig."
Eine allgemeine Empfehlung für die vierte Impfung wird für den Herbst diskutiert, "damit ein Schutz auch in den Wintermonaten besteht, wo sich alle in Innenräumen aufhalten".
Aber Risikopersonen wird ab 12 die vierte Impfung empfohlen?
Menschen ab 12 Jahren mit Begleiterkrankungen wie etwa Diabetes oder Bluthochdruck, aber auch Schwangeren wird ebenfalls die vierte Impfung schon jetzt empfohlen, wenn mindestens vier Monate seit der 3. Impfung vergangen sind.
Wie sieht die Impfempfehlung nach einer Infektion aus?
Menschen ab 65 bzw. Risikopersonen ab 12 Jahren, die eine Infektion und drei Impfungen hinter sich haben, wird jedenfalls jetzt eine vierte Impfung empfohlen - vorausgesetzt, die letzte Impfung bzw. die Infektion liegen zumindest vier bis sechs Monate zurück.
Bei allen anderen Dreifachgeimpften wird trotz Infektion im Herbst wahrscheinlich eine vierte Impfung notwendig werden. Wörtlich heißt es dazu in den Impfempfehlungen: "In Abhängigkeit von den weiteren epidemiologischen Entwicklungen wird voraussichtlich in den Herbst-/Wintermonaten eine weitere Impfung notwendig sein."
Sind zwei Impfungen und eine Infektion mit drei Impfungen gleichzusetzen?
Aus Sicht des Impfgremiums nicht. Denn derartige Atemwegsinfektionen "hinterlassen keine dauerhafte Immunität". Für eine breite, gut ausgeprägte Immunitätslage im Hinblick auf SARS-CoV-2 benötige man eine Grundimmunisierung mit drei Impfungen, unabhängig von einer Infektion. Das heißt: Genesenen werden also insgesamt mindestens drei Impfungen empfohlen.
Ist es sinnvoll, sich eine Woche vor dem Urlaub die vierte Impfung zu holen?
In den Wochen nach der Impfung (ab zirka einer Woche danach) ist der Schutz vor Infektionen erhöht. „Aber wie hoch er bei BA.4/BA.5 wirklich ist und wie lange er anhält, das wissen wir noch nicht“, sagt Wiedermann-Schmidt. Wenn man sich jetzt impfen lasse, müsse man sich auch die Frage stellen, ob man dazu bereit wäre, dies im Herbst nochmals zu tun. "Denn wer jetzt die vierte Impfung erhält, wird eine fünfte benötigen. Umso jünger jemand ist, umso genauer gehört das überlegt, jede Impfung bringt schließlich auch Impfreaktionen mit sich. Eine allgemeine Impfstrategie, alle 4 bis 5 Monate zu impfen, ist immunologisch gesehen kein Langzeitziel. Und das Infektionsrisiko etwa bei einem Flug oder im Zug kann man besonders gut auch mit Masken senken. Es scheint, als ob dies völlig vergessen wurde.“
Der Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien sagt, wer zu jeder Zeit den maximalen Immunschutz wolle, der solle sich jetzt ein viertes Mal impfen lassen, unabhängig vom Alter - Kinder ausgenommen. "Es gibt keinen Grund, sich jetzt nicht die vierte Dosis zu holen." Das Risiko schwerer Erkrankungen sinke dadurch weiter. Medizinisch spreche nichts dagegen, sich im Juni und dann bereits im Oktober wieder impfen zu lassen: "Das zeigen die Daten aus Israel, wo nach vier Monaten geboostert wurde. Nur kürzer sollte es nicht sein."
Die Entscheidung für oder gegen die vierte Impfung schon jetzt hängt bei gesunden Jüngeren also auch sehr vom individuellen Verhalten ab?
Ja. "Wer also viel reist und viele Kontakte hat, muss neben seinem Alter auch diese Faktoren in seine Entscheidung für eine frühere oder spätere vierte Impfung einbeziehen. Es spricht also nichts dagegen, sich in einem solchen Fall auch schon jetzt die vierte Impfung verabreichen zu lassen, wenn man jünger als 65 Jahre alt ist. Trotzdem halte ich es nicht für gut, dass bei diesen Überlegungen die Maske in den Hintergrund geraten ist", betont Wiedermann-Schmidt. "Persönlich halte ich es für vernünftiger, je jünger man ist, sich eher erst nach dem Sommer ein viertes Mal impfen zu lassen. Denn dann hat man auch einen Schutz für den Winter."
Infektiologe Christoph Wenisch hat sich für die vierte Impfung schon jetzt entschieden: "Ich hab einen Ironman vor mir , ich mag jetzt nicht krank werden", sagte er in einem ORF-Interview. Anders die Virologin Dorothee von Laer im Profil: Sie sei völlig gesund, halte sich mit sozialen Kontakten zurück und warte deshalb auf den neuen Impfstoff im Herbst.
Welche Empfehlung gilt bei Kindern unter 12 Jahren?
Kindern zwischen fünf und 11 Jahren wird derzeit keine vierte Impfung empfohlen. Empfohlen ist aber der Abschluss der Grundimmunisierung. Die dritte Impfung soll ab 6 Monaten nach der zweiten Impfung erfolgen, spätestens aber zu Schulbeginn.
Kindern unter fünf Jahren empfiehlt das NIG nach wie vor keine Impfung. “In Österreich und der EU gibt es für Kinder unter 5 Jahren derzeit noch keinen EU-zugelassenen COVID-19 Impfstoff. Aus diesem Grund wird eine Impfung von Kindern unter 5 Jahren derzeit noch nicht empfohlen.“
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