"Das ist nicht der erste Versuch, Grundtypen mittels Bildgebung zu definieren", ordnet Rupert Lanzenberger, Neurowissenschafter und Experte für Bildgebungsverfahren an der MedUni Wien, die Ergebnisse ein. Insbesondere in den vergangenen 15 Jahren seien Bemühungen dahingehend intensiviert worden. "Über bildgebende Verfahren Subtypen zu definieren und auch Vorhersagen für Behandlungserfolge zu treffen, wie es in der vorgelegten Studie gemacht wurde, ist zweifelsfrei interessant und vielversprechend", sagt Lanzenberger, der selbst auf dem Gebiet forscht.
Bei Depressionen: Antidepressiva oder Verhaltenstherapie?
An der Uni Stanford ging man tatsächlich einen Schritt weiter: Den Probandinnen und Probanden wurde zufällig eines von drei Antidepressiva oder eine Verhaltenstherapie verordnet.
Es zeigte sich, dass die Menschen je nach depressivem Biotyp unterschiedlich gut auf die Behandlungen ansprachen. Patientinnen und Patienten mit dem Subtyp, der durch überaktive kognitive Regionen des Hirns gekennzeichnet ist, sprachen am besten auf Venlafaxin an. Bei Personen, bei denen der Problemlösung zugeschriebene Areale aktiver waren, war eine Gesprächstherapie wirksamer. Im Gegensatz zu jenen, deren aufmerksamkeitssteuernde Regionen niedrige Aktivitätsniveaus aufwiesen – bei ihnen waren psychotherapeutische Interventionen weniger hilfreich.
Expertin Williams sieht in den Erkenntnissen einen Meilenstein. Man ebne den Weg für einen "personalisierten medizinischen Ansatz für psychische Gesundheit". Optimale therapeutische Maßnahmen früh Patientengruppen oder Einzelpersonen zuordnen zu können, "wäre im Sinne einer psychiatrischen Präzisionstherapie revolutionär", bestätigt Lanzenberger. Einen Durchbruch sieht er noch nicht geglückt: "Der entscheidende Faktor in der Wissenschaft sind Replikationen", sagt er und meint das wiederholte Darlegen von Ergebnissen durch unabhängige Forschungstreibende. "Solange das nicht passiert ist, können Erkenntnisse nur als vorläufig angesehen werden und nicht Teil der klinischen Routine werden."
Viele Werkzeuge, aber verzögerte Wirkung
Vollkommen im Dunklen tappt man bei der Therapie freilich längst nicht mehr: "Aktuell bemühen wir uns im klinischen Alltag, anhand von Symptomen abzuleiten, welches Medikament passend ist", führt Winkler aus. "Leidet der Patient an Schlafstörungen, wird er womöglich auf ein sedierendes Antidepressivum ansprechen. Hat er Ängste, ist eher ein angstlösendes Präparat sinnvoll, hat er mit Lustlosigkeit zu kämpfen, wird er womöglich gut von einem antriebssteigernden Medikament profitieren."
In der Depressionsbehandlung mangelt es nicht an Werkzeugen: "Aber es wäre wertvoll, zu wissen, welches Instrument bei wem am besten funktioniert", sagt Winkler. Auch das Sortiment an Hilfsmitteln strebt nach Erweiterung. Dem prolongierten Leid Betroffener könne auch mit effizienteren Arzneien Einhalt geboten werden, sagt Winkler. "Im Moment besitzen Standardmedikamente eine Wirklatenz. Das bedeutet, sie brauchen im Schnitt zwei Wochen, bis sie Wirkung zeigen. Zwei Wochen, in denen ein Patient potenziell umsonst auf einen Effekt wartet."
Potente Kandidaten, die in Studien schnelle und vielversprechende Effekte gezeigt haben und vereinzelt schon verschrieben werden, sind etwa Ketamin oder Psilocybin. Lanzenberger hält besagte Substanzen für interessante Optionen: "Derzeit vor allem als überbrückende Akutmaßnahme, bis etablierte Therapeutika wirken – oder als Behandlungsoption bei bestimmten Formen wie der therapieresistenten Depression."
Bestimmte Zielgruppen könnten profitieren
Hirnbasierte Tests an Kliniken anzubieten, sei unterdessen noch nicht greifbar, betonen die Experten. "Es fehlt ein fundiertes diagnostisches Prozedere, um sie im Alltag anwenden zu können", sagt Winkler, der grundsätzlich überzeugt ist, dass solche Verfahren künftig in die Depressionstherapie Einzug halten werden. Als Breitband-Diagnostikum sieht er sie nicht: "Ich kann mir vorstellen, dass man das bei jemandem mit schwerer Depression einsetzt, der mehrfach nicht auf Medikamente angesprochen hat."
Warum verfehlen Therapien bei Depressionen so oft ihr Ziel? "Das hat mit ihrer multifaktoriellen Entstehung zu tun", erklärt Winkler. Das eine Depressionsgen wurde bislang nicht gefunden. "Es gibt vermutlich eine Reihe von Genen, die in Summe stressempfindlicher oder ängstlicher machen – oder zu Schlafstörungen prädisponieren." Auch Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Inwieweit etwa die Kindheit, psychosoziale Belastungen oder Substanzmissbrauch eine Rolle spielen, sei verschieden.
"Das Gehirn ist ein sehr komplexes Organ und schwierig zu untersuchen", fügt Lanzenberger hinzu. "So komplex, dass die Ursachen im Einzelfall nur schwer fassbar sind." In der Bildgebung sieht er aber "theoretisch einen Königsweg, Hirnfunktionen gewissen Entstehungsursachen der Depression zuzuordnen und Patienten die individuell beste Therapie zukommen zu lassen".
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