Depressionsforschung: Neue Lichtblicke im Schattendasein
Lange Zeit nahm Sarah nur das "Hässliche in der Welt" wahr. Vor fünf Jahren wurden bei der US-Amerikanerin Depressionen diagnostiziert. Keine der gängigen Therapien half. Das Leid nahm überhand in ihrem Leben. Die 36-Jährige verließ zuletzt kaum noch ihre Wohnung.
Nun gibt es Hoffnung für Sarah: Als erste Patientin weltweit erhielt sie kürzlich ein Hirnimplantat, das ihren Zustand mit elektrischen Mini-Impulsen kurieren soll.
Wenn bewährte Behandlungsansätze – meist Antidepressiva – keine Linderung verschaffen, spricht man von einer therapieresistenten Depression. "Das kommt öfter vor, als man meint", weiß Mazda Adli. Adli ist Psychiater, forscht an der Berliner Charité seit vielen Jahren zu Depressionen und leitet die Fliedner Klinik Berlin.
Bei rund einem Drittel aller schwerkranken Betroffenen verläuft auch der Umstieg auf eine andere Arznei erfolglos. "Man spricht dann von Therapieresistenz, wobei das nicht heißt, dass die Menschen untherapierbar sind. Manchmal braucht es mehrere Anläufe", sagt Adli.
Bevor man bei Sarah den Anlauf mit dem Implantat wagte, wurde ihre Hirnaktivität akribisch mit ihren Stimmungslagen abgeglichen. Das so entstandene Muster zeigt, was in Sarahs Gehirn passiert, wenn sie sich schlecht fühlt, und dient dem Gerät als Taktgeber, um sich im richtigen Moment einzuschalten. Es sendet Impulse an ein Hirnareal, wo die Stimuli in Tests die größte Wirkung auf das Gemüt der Patientin entfalteten. "Als ich erstmals stimuliert wurde, war meine Depression für einen Moment ein entfernter Albtraum", beschreibt Sarah das im Interview mit dem Guardian.
"Die Idee ist plausibel", sagt Adli, "denn die Depression ist eine Erkrankung, die diverse Hirnregionen und ihre Vernetzung betrifft." Der Versuch, bestimmte Areale anzustupsen, um ihre Aktivität zu beeinflussen, liegt nahe. Bei Sarah scheint das dank ausgiebiger Vorarbeit mit Präzision gelungen zu sein. "Um solche Methoden breit anzuwenden, ist aber noch viel Forschung nötig."
Heilsame Trips
Seit einigen Jahren boomt auch die Erforschung von Psychedelika zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Süchten. Erste Erkenntnisse sind teils vielversprechend. Drogen wie LSD, MDMA oder halluzinogene Pilze scheinen Hirnregionen miteinander zu vernetzen, die sonst nicht miteinander kommunizieren. Informationen werden potenziell anders verarbeitet, eingefahrene Denkmuster abgelegt, Wege aus negativen Gedankenspiralen geebnet.
Dass Rauschmittel auf Rezept bald als Heilmittel bei Depressionen zugelassen werden könnten, glaubt Adli nicht. "Bei mehrmaliger Gabe wurde initial ein ausgeprägter antidepressiver Effekt beobachtet. In jüngsten Studien, wo zum Vergleich ein wirkungsloses Placebo eingesetzt wurde, hat sich das aber nicht in vollem Ausmaß bestätigt."
Ähnlich verhält es sich mit Lachgas, das laut Studien eine schnell wirksame Behandlungsoption für Menschen in depressiven Krisen darstellen könnte. Lachgas setzt am selben Rezeptorsystem an wie Ketamin, das in der Behandlung der therapieresistenten Depression in einigen Kliniken schon eingesetzt wird und meist intravenös oder als Nasenspray verabreicht wird. "Die Erfahrungen damit sind vielversprechend", sagt Adli. "Interessant dabei ist, dass diese Substanzen einen ganz anderen Wirkmechanismus haben als Antidepressiva und schnell wirken."
Was bei Depressionen wirklich vor sich geht, ist immer noch weitgehend ungeklärt. Gestörte Signalübertragungen von Zelle zu Zelle im Hirn scheinen im Zentrum zu stehen. Ein Depressionsgen gibt es nicht. Gefunden hat man aber eine Ausprägung eines Genabschnitts, der in Kombination mit schwierigen Kindheitserfahrungen die Depressionsneigung erhöht. Träger des alternativen Genotyps sind unter denselben Umständen emotional widerstandsfähiger
"Depressionen lassen sich gut behandeln – man braucht aber einen Plan und oft einen langen Atem."
Ganzheitlich therapieren
Interessant sind die neuen Ansätze auch deshalb, weil mit jeder verbesserten Therapiemöglichkeit auch eine begleitende Psychotherapie besser greifen kann. Denn neben der Biochemie sind es auch psychosoziale Faktoren, die eine Depression auslösen und aufrechterhalten können.
Der Fokus auf rein biologische Vorgänge sei daher nicht ausreichend, betont Adli: "Die Depression ist ein Paradebeispiel für eine Krankheit, bei der die Interaktion von Biologie und Umwelt eine herausragende Rolle spielt. Das darf bei der Behandlung nicht unberücksichtigt bleiben."
Die Depression sei eine typische Stressfolgeerkrankung: "Einschneidende Lebensereignisse oder Dauerbelastung wirken auf unsere Psyche ein und können Symptome verursachen. Vor allem – hier kommt die Biologie ins Spiel –, wenn man empfindliche emotionale Antennen hat, das Stresshormonsystem stark auf Außeneinflüsse reagiert."
Psychotherapie, Medikamente, Entspannungsverfahren: "Depressionen lassen sich gut behandeln – man muss aber verschiedene Register ziehen", sagt Adli. "Für nachhaltige Erfolge braucht man einen guten Plan und oft einen langen Atem."
Wie nachhaltig das Implantat Sarahs Leid lindern wird, bleibt abzuwarten. Dass ihre Psyche durch das kleine Gerät in ihrem Kopf Auftrieb bekam, machte sich jedenfalls sofort bemerkbar. "Ich habe einfach laut gelacht. Das erste Mal seit fünf Jahren."
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