KURIER: Was sind Psychedelika eigentlich genau?
Nathalie Rieser: Damit meint man eine Gruppe von Substanzen, die die Art und Weise verändern, wie Menschen die Welt um sich wahrnehmen: Sie können Sinneseindrücke, Gefühle und Gedanken verändern und sind dafür bekannt, einzigartige Erfahrungen hervorzurufen.
Welche wären das genau?
Zum Beispiel, Farben intensiver wahrzunehmen, Muster zu sehen, Geräusche oder Musik anders zu hören oder ungewöhnliche Gedanken zu haben. Die Menschen fühlen sich meistens auch stärker mit ihren Gefühlen verbunden.
Wie ist man darauf gekommen, diese Wirkungen im psychiatrischen Krankheitsspektrum zu erforschen?
In anderen Kulturen werden diese Substanzen schon seit etlichen Jahren verwendet. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurde in der Therapie von psychischen Erkrankungen vermehrt dazu geforscht. Damals wurden auch positive Effekte erzielt. Als diese Substanzen aber verboten wurden, unterbrach das auch die Forschung. Erst vor einigen Jahren wurde sie wieder aufgenommen.
Welche Erfolge konnten seither verzeichnet werden?
Vielversprechende Effekte sind in der Behandlung der Depression, Alkoholabhängigkeit, Tabakabhängigkeit und Angsterkrankungen belegt. Doch die Forschung steht erst am Anfang. Es braucht größere Studien, um die günstigen Wirkungen zu bestätigen. Außerdem gibt es noch viele offene Fragen. Zum Beispiel, welches Dosierungsschema das Beste ist, welche Patientengruppen von so einer Therapie profitieren würden und wie diese durchgeführt werden muss. Wie man Therapieerfolge aufrechterhalten kann, ist auch noch weitestgehend unklar.
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Was bewirken Psychedelika im Gehirn?
Sie verändern die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnarealen. Erst kürzlich wurde gezeigt, dass sensorische Areale unter dem Einfluss von LSD und Psilocybin stärker und gleichzeitig assoziative Areale schwächer mit dem Rest des Gehirns kommunizieren. Weshalb diese Substanzen genau helfen, ist derzeit aber noch weitestgehend unklar. Wahrscheinlich kommt die therapeutische Wirkung durch ein Zusammenspiel von biologisch-pharmakologischen und psychologischen Mechanismen zustande.
Was heißt das?
Die veränderte Zusammenarbeit der Hirnareale kann dazu führen, dass Informationen anders verarbeitet werden. Das könnte wiederum therapeutisch vorteilhaft sein, weil es Patientinnen und Patienten erlaubt, aus festgefahrenen Gedankenmustern auszubrechen. Schädliche Kommunikationsmuster können sich normalisieren. Auch positive Wirkungen auf die Neuroplastizität – sie ermöglicht es, neue Dinge zu lernen –, Emotionsverarbeitung, Selbstwahrnehmung und Einsichten in dysfunktionale Verhaltensweisen sind möglich.
Wie darf man sich eine Studie mit Psychedelika vorstellen?
Wichtig ist, dass wir immer von einer therapeutisch eingebetteten Substanzabgabe sprechen. Das heißt, die Substanzsitzung ist in Vorbereitungs- und Nachbereitungssitzungen eingebettet. Außerdem ist es so, dass wir bei den aktuellen klinischen Studien von einer einmaligen oder zweimaligen Substanzeinnahme sprechen, mit längerfristigen Verbesserungen der Symptomatik für drei, sechs oder sogar zwölf Monate.
Gibt es Menschen, die dafür nicht geeignet sind?
Wir haben eine lange Liste von Ausschlusskriterien. Wir schließen derzeit beispielsweise Personen mit hohem Blutdruck und einer abnormalen Herzfunktion aus. Oder wenn sie oder ein nahes Familienmitglied an Psychosen oder bipolaren Erkrankungen leiden.
Psychopharmaka haben meist ein beträchtliches Nebenwirkungsprofil. Wie sieht es bei Psychedelika aus?
Neuere Forschung hat gezeigt, dass das Risikopotenzial von Psilocybin und LSD bei kontrollierter Einnahme einiges geringer ist als angenommen. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Übelkeit und Blutdruckerhöhung, am Folgetag können leichte Kopfschmerzen auftreten.
Ist es realistisch, dass Psychedelika in absehbarer Zeit als Standard-Therapie zum Einsatz kommen?
Wichtig wäre, ihre therapeutischen Effekte und Wirkmechanismen zuerst in größeren Studien zu untersuchen. Außerdem müsste ihre therapeutische Einbettung genauer definiert werden, bevor diese als breite Standard-Behandlung angeboten wird.
Was ist ein Zeithorizont für eine Zulassung solcher Therapien in Europa?
Mindestens fünf, eher zehn Jahre. In der Schweiz gibt es schon Spezialbewilligungen, mit denen Ärzte Psychedelika abgeben können. Wegweisend wird sein, wie Forschungen in Europa und den USA in den kommenden Jahren verlaufen und wie sich die Arzneimittelbehörden dort verhalten.
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