Warum die Intensivstationen derzeit nicht überfüllt sind
Die gute Nachricht: Derzeit ist die Zahl der Menschen, die aufgrund einer Infektion mit Covid-19 auf der Intensivstation behandelt werden müssen, niedriger als befürchtet wurde. Österreichweit sind aktuell 57 Intensivbetten mit Covid-Patientinnen und -Patienten belegt, das entspricht drei Prozent der verfügbaren Betten. Zur Erinnerung: Ab einer Auslastung der Intensivstationen von zehn Prozent mit Covid-Patienten müssen nicht lebensnotwendige Operationen verschoben werden. Ab einer Überschreitung des Schwellenwerts von 33 Prozent kommt es zu Triage-Entscheidungen.
Obwohl die Variante BA.5 in Österreich bereits dominant ist – landesweit macht sie etwa drei Viertel aller Infektionsfälle aus, in Wien sind es rund 80 Prozent –, ist die Zahl der schweren Erkrankungen auf der Intensivstation für die Krankenhäuser noch bewältigbar. Allerdings ist die Tendenz der Aufnahmen auf Normalstationen steigend, wie Arschang Valipour, Leiter der Klinik für Interne Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf kürzlich gegenüber dem KURIER betonte.
BA.5 ähnelt Delta
Weniger erfreulich ist ein neuer Bericht des Kirby Institute der australischen University of New South Wales, der nun zeigt, dass BA.5 nicht nur bessere Immun-Escape-Eigenschaften aufweist, sich also Antikörpern besser entziehen kann, sondern auch weitaus besser in Zellen eindringen kann als andere Omikron-Varianten. In dieser Eigenschaft ähnelt BA.5 mehr Delta, das ebenfalls stärker in die Zellen eintrat, als etwa BA.2. "Dies kann mit den anekdotischen Berichten über sehr lange negative Testperioden nach BA.5-Infektionen übereinstimmen, die häufig zehn Tage überschreiten“, schreibt US-Experte Eric Topol in seinem Blog "Ground Truths".
Während ihre Eigenschaften BA.5 für Topol zur "schlimmsten Variante bisher" machen – sie ist infektiöser, dringt besser in die Zellen ein und kann den Immunschutz am besten umgehen –, führt sie bisher nicht zu schwereren Krankheitsverläufen. Zwar geht Topol davon aus, dass schwerere Verläufe möglich wären, allein aufgrund der Delta-ähnlichen Eigenschaften beim Eindringen in Zellen. Bisher ist aber nicht belegt, dass die Erkrankungen schwerer verlaufen.
"Immunitätsmauer"
Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen bestehe eine gewisse "Immunitätsmauer", da mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung in vielen Ländern weltweit bereits mit früheren Varianten infiziert war, geimpft wurde oder sowohl infiziert war als auch geimpft wurde. Vorangegangene Infektionen und Impfungen schützen zwar nicht vor Infektionen und Erkrankungen generell, aber vor schweren Krankheitsverläufen. Wäre dies aber nicht der Fall, könnten die Infektions- und Hospitalisierungszahlen jetzt ganz anders aussehen, meint Topol.
Zudem sei eine Entkopplung von Einweisungen auf die Intensivstation und Todesfällen zu beobachten. "Das heißt, sie steigen nicht annähernd so stark wie die Zunahme der Krankenhauseinweisungen", so Topol. Das kann auch auf das bessere Wissen um die Behandlung von Covid-19 sowie mehr verfügbare antivirale Medikamente zurückgeführt werden.
Reinfektionen werden zunehmen
Gleichzeitig führe die bessere Immunflucht der Variante BA.5 dazu, dass Reinfektionen zunehmen werden, sagt Topol. Arschang Valipour berichtet, dass im Krankenhaus bereits vereinzelt Menschen zum zweiten Mal aufgrund einer Covid-19-Infektion behandelt werden müssen. Das betrifft vor allem vulnerable Gruppen, etwa immungeschwächte Personen.
Valipour und Topol gehen davon aus, dass die Infektionszahlen und auch die Krankenhauseinweisungen in den nächsten Wochen weiter steigen werden. Das werde mitunter zu Herausforderungen in den Krankenhäusern führen, da aufgrund von Infektionen und aufgestauten Urlauben mit Personalmangel zu rechnen ist.
Deutschland: Intensivstationen arbeiten eingeschränkt
In Deutschland ist der Betrieb der Intensivstationen bereits stark belastet, der KURIER berichtete. "Vor allem die hohe Zahl erkrankter Mitarbeiter macht uns deshalb gerade im Gesundheitssystem zu schaffen – zudem einige auch endlich noch ihren verdienten Urlaub antreten, um mit neuer Kraft in die Wintermonate zu starten", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx am Wochenende. Jede zweite Intensivstation in Deutschland arbeitet derzeit im teilweise eingeschränkten oder eingeschränkten Betrieb.
Topol erinnert in seinem Blog daran, dass die Pandemie eben noch nicht vorbei ist, obwohl das viele gerne hätten und sich so verhalten würden. Auch bei BA.5 bestehe der beste Schutz vor einer Infektion oder Reinfektion aus hochwertigen, gutsitzenden Masken, Abstand halten, Luftfilterung, Belüftung sowie Impfung und Auffrischungsimpfungen. Topol: "Wir müssen dem Virus einen Schritt voraus sein, aufhören, als Zuschauer mit ,Hoffnung und Gebeten‘ zu agieren, dass es nicht schlimmer wird als das, womit wir es jetzt zu tun haben. Nein, BA.5 hat uns wieder einmal gelehrt, das Virus wird nicht einfach milder und vergeht."
Kommentare