So sieht der emeritierte finnische Professor für Geriatrie von der Universität von Tampere, Jaakko Valvanne, eine große Veränderung in Bidens Gesundheitszustand im vergangenen Jahr. "Als das Stolpern und die verbale Verwirrung immer häufiger auftraten, dachte ich, da muss mehr dahinterstecken als das normale Altern", wird er auf dem Onlineportal der öffentlich-rechtlichen Rundfunktanstalt Finnlands, Yle, zitiert. Der Geriater spricht vom "Verdacht" auf eine neurologische Erkrankung.
Gibt es Hinweise auf Parkinson?
Ähnlich äußerte sich auch der US-Neurologe Tom Pitts in einem Interview für den US-TV-Sender NBC: "Joe Biden hat Parkinsonismus. Das ist ein Fakt", sagte er. Mit Parkinsonismus werden parkinson-ähnliche Symptome bezeichnet, wie eine Steifheit der Muskeln oder verlangsamte Bewegungen, die aber durch andere Erkrankungen des Gehirns als durch Parkinson ausgelöst werden.
Laut Pitts zeige der US-Präsident "klassische Merkmale von Neurodegeneration" wie Wortfindungsstörungen, verlangsamte Bewegungen und das fehlende Mitschwingen der Arme beim Gehen.
Und auch weiterer US-Neurologe, W. Chris Winter aus Virginia, wird in mehren Medien mit der Aussage zitiert, wonach der US-Präsident zahlreiche Parkinson-Symptome zeige, von einem steifen Gang und Gleichgewichtsproblemen bis hin zu einer leisen Stimme und der Verwechslung von Wörtern.
Keiner dieser Experten hat allerdings US-Präsident Biden persönlich untersucht. Das Weiße Haus selbst dementiert, dass Biden an Parkinson leide. Laut einem Bericht zur jüngsten umfassenden Untersuchung des Präsidenten vom Februar 2024 hätte "eine äußerst detaillierte neurologische Untersuchung" keine Hinweise auf einen Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Parkinson ergeben.
Was Experten aus Österreich sagen
Wesentlich zurückhaltender äußern sich vom KURIER befragte österreichische Experten. "Dass gewisse Symptome wie Versprecher oder Probleme beim Finden der richtigen Wörter häufiger auftreten, kann bei einem 81-Jährigen auch auf den ganz normalen Alterungsprozess zurückzuführen sein", sagt ein Neurologe aus Wien, der nicht namentlich genannt werden möchte, zum KURIER. Für Steifigkeit und verlangsamte Bewegungen könne es auch viele andere Ursachen geben, etwa eine Einengung des Wirbelkanals im Halsbereich. Auch im medizinischen Bericht von Bidens Arzt Kevin O´Connor wird ein altersbedingter Verschleiß im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule als Ursache für den steifen Gang genannt.
"Bewegt sich nicht wie ein Parkinsonpatient"
"Für mich bewegt er sich nicht wie ein Parkinsonpatient", betont auch der Neurologe. "Mir fallen spontan zehn andere Gründe für seine Symptome ein - und das beginnt damit, dass es bei einem 81-Jährigen bessere und schlechtere Tage geben kann, abhängig zum Beispiel davon, ob er ausreichend getrunken und geschlafen hat, wie heiß es ist und wie groß der Stress an einem bestimmten Tag ist."
"Und Parkinson ist schon vielen Menschen angedichtet worden, etwa auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin", sagt der Experte. Als Zeichen dafür sei oft angeführt worden, dass der rechte Arm beim Gehen nicht mitpendle. "Dann gab es aber einmal auf einem Neurologenkongress einen sehr guten Beitrag eines US-Kollegen, der Videos auch von anderen russischen Politikern analysiert hat, die früher beim KGB waren. Die gehen alle mit einem starren rechten Arm, weil sie die rechte Hand immer am Revolver haben."
Gegen eine Erkrankung, bei der es zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen wie bei einer Demenz kommt, spreche Bidens spontane, sehr gute Reaktion nach dem Attentat auf Trump. "Das Einzige, was man wirklich sagen kann ist, dass er einfach alt ist - und als alter Menschen darf man Einiges an gesundheitlichen Problemen haben."
Und wann würde er sich trauen, eine Diagnose zu stellen? "Wenn ich eine eingehende Untersuchung und Anamnese durchgeführt habe", betont der Neurologe.
Alternsforscher warnt vor Diskriminierung
Der Psychologe und Psychotherapeut Gerald Gatterer, Leiter des Instituts für Alternsforschung an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, kritisiert, dass gerade bei alten Menschen oft sehr rasch Ferndiagnosen gestellt werden, die zu einer Abwertung des Betroffenen führen: "Die Fachbezeichnung dafür ist Ageism, Altersdiskriminierung. Personen werden vorschnell aufgrund ihres Alters in ein bestimmtes Krankheitsbild hineingeschoben." Es sei komplett unwissenschaftlich, einzelne Symptome ohne exakte Diagnose einem Krankheitsbild zuzuordnen: "Bei alten Menschen geschieht das aber generell sehr rasch, und damit werden sie abgewertet."
Tatsächlich gebe es ein breites Spektrum an Ursachen, die zu so einem Zustand wie bei der TV-Diskussion mit Trump führen können, betont auch Gatterer, und erwähnt ebenfalls einen Schlafmangel, zu wenig Flüssigkeitsaufnahme oder eine Kreislaufkrise durch die hohen Temperaturen: "Kommt dann noch der Druck und Stress wie bei so einer TV-Debatte dazu, kann das Gehirn schon einmal kurzfristig durcheinanderkommen."
Natürlich, betont Gatterer, wäre es wichtig, dass Menschen, die sich für wichtige Ämter qualifizieren wollen, vorher reflektieren, ob sie dafür auch geeignet sind: "Aber das gilt für jeden Menschen - junge wie alte."
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