Gesund alt werden und lange leben: Was kann dabei wirklich helfen?
Rund um die Themen "Anti Aging", Langlebigkeit und gesundes Altern ranken sich viele Mythen und viel Produktmarketing. Alternsforscher klären auf, was erwiesen ist – und was nicht.
Welches Unternehmen könnte in 25 Jahren das wertvollste der Welt sein? Manche US-Finanzexperten tippen auf das erst 2021 gegründete Start-up Altos Labs in Kalifornien. Amazon-Gründer Jeff Bezos ist einer der Investoren. Das Ziel: Zellen durch genetische Eingriffe zu reprogrammieren, zurückzuentwickeln – und sie so zu verjüngen. Im Labor ist das an Zellkulturen bereits in gewissem Ausmaß möglich. Der Alterungsprozess soll so aufgehalten oder sogar rückgängig gemacht werden. Ob das aber je zu einem erfolgreichen Einsatz am Menschen führen wird, ist offen.
"Unser Ziel in der Alternsforschung ist aber nicht, die derzeit maximal mögliche Lebenserwartung von rund 120 Jahren zu erhöhen, sondern die Lebenserwartung in Gesundheit, also die Zahl der gesunden Lebensjahre", sagt der Biologe und Biochemiker Pidder Jansen-Dürr vom Institut für biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck. Und die lag 2019 in Österreich bei nur 64,7 Jahren bei Frauen und 63,1 Jahren bei Männern. Die gesamte Lebenserwartung hingegen ist deutlich höher: Bei Frauen liegt sie bei rund 84 und bei Männern bei 79 Jahren.
Worin eine große Gefahr liegt
Dass Frauen im Schnitt fünf Jahre länger leben als Männer liegt nur zu rund 20 Prozent – also einem der fünf Jahre – an genetischen Faktoren: Vier Jahre macht der gesündere Lebensstil aus.
Aber was erhöht jetzt die Zahl der gesunden Lebensjahre? Was ist ein Mythos? Alternsforscher Jansen-Dürr warnt: "Ich sehe eine große Gefahr darin, dass unter dem Begriff 'Anti Aging' alles Mögliche verkauft wird – und die Präparate, die wirklich ausreichend getestet sind und eine bewiesene Wirkung haben, nur einen verschwindend kleinen Anteil am Markt haben. Und dann werfen enttäuschte Konsumentinnen und Konsumenten alles in einen Topf und sagen zu allem Scharlatanerie."
Einige Beispiele, was erwiesen ist – und wo es noch mehr Daten braucht.
Ein Team des Innsbrucker Instituts hat Fettgewebe von stark übergewichtigen Menschen, Normalgewichtigen, die früher übergewichtig waren, und ständig Normalgewichtigen untersucht. "Das Fettgewebe von Menschen, die abgenommen haben, ist gesünder und sieht biologisch jünger aus als das der Übergewichtigen", sagt die Wissenschafterin Sabine Gufler vom Institut. "Die Fettstammzellen sind aktiver, können sich teilen, Fettzellen bilden und so einen funktionierenden Stoffwechsel aufrechterhalten." Am stärksten war der Verjüngungseffekt des Fettgewebes bei Menschen, die früher adipös waren und bei der Probennahme normalgewichtig waren: "Dieses Fettgewebe war biologisch gesehen noch jünger als das von ständig Normalgewichtigen, die nie Übergewicht hatten."
Etwas weniger essen:
Eine leichte Verringerungder Kalorienzufuhr – bei gleichzeitig ausreichender Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen – kann die gesunde Lebensspanne von vielen Tierenverlängern. Bei Fadenwürmern zum Beispiel um 20 Prozent – von 30 auf 36 Tage. Die langlebigen Tiere machen auch einen fitteren und gesünderen Eindruck. Bei gesunden Erwachsenen – keinesfalls bei Kindern und Jugendlichen – können damit Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen – wie LDL-Cholesterin und Bluthochdruck – gesenkt werden. Entzündungsprozesse im Körper, die die Gewebealterung beschleunigen, werden reduziert, der Alterungsprozess verlangsamt. Vorsichtig müssen alte Menschen sein, weil diese ohnehin sehr leicht Gewicht verlieren.
"Es geht um maßvolles Essen", sagt Jansen-Dürr. "Eines der Kennzeichen jener Regionen der Welt, in denen Menschen deutlich länger leben, den sogenannten Blauen Zonen, ist eine mäßige Zufuhr von Nahrungsenergie", sagt sein Kollege Alexander Weiss. Dazu zählen etwa Okinawa in Japan, Sardinien (Italien) und Ikaria (Griechenland).
Der Hintergrund: Durch die Kalorienrestriktion wird der Recyclingprozess der Zellen, die Autophagie, ausgelöst. Beschädigte Zellbestandteile werden abgebaut, die daraus gewonnene Energie wird für die Zellerneuerung verwendet.
Ausgewogene Ernährung:
Eine Ernährung "reich an Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, magerem Eiweiß (wie Fisch, Huhn, Bohnen und Nüssen) sowie fettarmen Milchprodukten kann dazu beitragen, altersbedingte Krankheiten zu reduzieren und die Gesundheit im Alter zu fördern", betonen die Alternsforschenden. Stark verarbeitete Lebensmittel (z. B. Back- und Wurstwaren, Fertiggerichte wie Tiefkühlpizza) sowie Zucker und Salz sollte man nur begrenzt konsumieren.
Bewegung:
Die Muskulatur produziert bei Belastung Botenstoffe, sogenannte Myokine. "Sie gelangen über die Blutbahn in viele andere Organe, können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und viele positive Gesundheitseffekte erzeugen", sagt Jansen-Dürr – etwa eine Verbesserung von Lern- und Gedächtnisfunktionen. So wirken sie u. a. entzündungshemmend und stärken das Immunsystem. Zahlreiche Studien belegen, dass körperliche Bewegung eine wirkungsvolle "Anti-Aging Medizin" ist. Schon 15 Minuten Bewegung am Tag senken das Sterberisiko signifikant.
Rauchen ist der Einzelfaktor, der am meisten Lebenszeit kostet: Laut einer kürzlich im New England Journal of Medicine erschienenen Untersuchung verkürzt Rauchen die Lebenserwartung bei den 40- bis 79-Jährigen im Schnitt um 12 (Frauen) bzw. 13 Jahre (Männer). Der Alkoholkonsum sollte möglichst gemäßigt sein.
Gemeinschaft und Geist:
Eingebunden in eine Gemeinschaft und geistig aktiv zu bleiben – auch das sind Merkmale der Menschen in den Blauen Zonen. "Entscheidend sind aber auch Umweltfaktoren – etwa die Belastung durch Luftschadstoffe – und das soziale Umfeld", betont Weiss: "So ist in der Ukraine seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs die Lebenserwartung bereits merkbar gesunken."
Neue Medikamente:
Mit zunehmendem Alter sammeln sich sogenannte "seneszente Zellen" an: "Das sind gealterte Zellen, die sich einerseits nicht mehr teilen, und andererseits einen Cocktail an Verbindungen an Zellen in ihrer Umgebung abgeben, der die Alterung des gesamten Gewebes vorantreibt", erklärt Jansen-Dürr. Werden etwa Hautzellen im Labor UV-Licht ausgesetzt, steigt mit der Dosis und der Bestrahlungsdauer auch die Zahl der seneszenten Zellen – je mehr es davon gibt, umso rascher die Hautalterung.
Jansen-Dürr: "Wir entwickeln und erproben sogenannte Senolytika – das sind Substanzen, die gezielt nur seneszente Zellen abtöten." Ein Beispiel dafür ist Quercetin, ein gelber pflanzlicher Naturfarbstoff. Auch hier gibt es Daten aus Mausstudien, dass mit der Eliminierung seneszenter Zellen ein Verjüngungseffekt erzielt werden kann. "Ob solche Medikamenten auch eine Auswirkung auf die Lebensspanne des Menschen haben können, ist noch nicht geklärt."
Ob Resveratrol oder Spermidin – um nur zwei zu nennen –, immer wieder werden unterschiedlichen Substanzen Wirkungen zugeschrieben, die den Alterungsprozess verlangsamen sollen. "Tatsächlich sieht man verschiedene positive Effekte in Tiermodellen, etwa bei Mäusen", sagt Jansen-Dürr. Zwar gibt es eine Studie, dass Menschen, die viel Spermidin über die Nahrung aufnehmen, im Beobachtungszeitraum ein geringeres Sterberisiko hatten: "Aber das ist kein eindeutiger Beleg. Es können andere Inhaltsstoffe aus der Nahrung – und weitere Faktoren – eine Rolle gespielt haben. Es braucht aussagekräftigere Studien, wo Spermidin als Einzelsubstanz kontrolliert untersucht wird. Bis es da ein Ergebnis gibt, bleibe ich persönlich skeptisch." Dasselbe gelte für viele andere Substanzen.
"Was derzeit im Anti-Aging-Bereich passiert, erinnert mich an die Frühzeit der Entwicklung von Krebstherapien: Da hat man viele Ergebnisse aus Studien mit Mäusen einfach 1:1 auf den Menschen umgelegt – und sich dann gewundert, dass 80 bis 90 Prozent der Wirkstoffe, die in Mäusen Krebs erfolgreich bekämpften, im Menschen keine Wirkung hatten", sagt Jansen-Dürr.
"Wenn mich jemand fragt, 'was soll ich tun, um gesund alt zu werden', antworte ich: "Mach das, was deine Großmutter gesagt hat: Nicht übermäßig essen und dabei wenig verarbeitete Lebensmittel, ausreichend schlafen, viel bewegen, nicht rauchen und kein Alkohol. Natürlich gibt es Leute, denen dadurch der Spaß am Leben vergeht, das verstehe ich auch. Trotzdem sind diese althergebrachten Strategien das Vernünftigste, was man zur Zeit machen kann. Was die Altvorderen getan haben, ist im Augenblick immer noch der Goldstandard."
Die Alternsforschung arbeite aber intensiv daran, die komplexen Vorgänge im Organismus beim Altern besser zu verstehen: "Das ist Voraussetzung für jeglichen Einsatz von wirksamen Anti-Aging-Strategien am Menschen."
(kurier.at, em)
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Aktualisiert am 13.06.2024, 15:39
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