Steigende Lebenserwartung: Werden wir künftig alle 120 Jahre alt?
„Das ist ein unglaublicher Fortschritt.“ So kommentiert Marc Luy, Direktor des Instituts für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die Ergebnisse einer neuen Studie zur Lebenserwartung: Demnach ist sie im Zeitraum von 1990 bis 2021 im weltweiten Schnitt um 6,2 Jahre gestiegen. Das ergaben Berechnungen von Forschenden der University of Washington, die im Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurden.
Luy: „Pro Jahr ist in den vergangenen 30 Jahren die globale Lebenserwartung um 2,5 Monate angestiegen, oder, was ich noch beeindruckender finde: Pro Tag hat die Weltbevölkerung im Durchschnitt fünf Stunden Lebenszeit dazubekommen.“ Die große Frage unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern ist jetzt: Kann das ewig so weitergehen?
In Österreich betrug der Zuwachs an Lebenserwartung laut Statistik Austria zwischen 1990 und 2021 etwa 6,5 Jahre bei Männern und knapp 5 Jahre bei Frauen.
Dass der Anstieg bei den Frauen in Österreich nicht so hoch ist wie bei den Männern, liegt vor allem am geänderten Rauchverhalten: „Bei den Männern war der Höhepunkt des Nikotinkonsums 20 bis 30 Jahre früher als bei den Frauen. Deshalb wirkten sich bei ihnen auch die gesundheitlichen Folgen des Rauchens – etwa die Lungenkrebsfälle – früher auf die Sterblichkeit aus. Die Männer haben den Höhepunkt der Sterblichkeit durch das Rauchen schon hinter sich, die Frauen noch nicht. Deshalb steigt derzeit ihre Lebenserwartung nicht mehr so stark an wie in früheren Jahrzehnten.“
Corona als Dämpfer
Trotz des negativen Rauch-Effekts liegt die Lebenserwartung der Frauen knapp fünf Jahre über jener der Männer. „Nur ein geringer Teil – etwa ein Lebensjahr bzw. 20 Prozent – lässt sich durch genetische Faktoren erklären“, sagt Luy. „Die restlichen vier Jahre gehen vor allem auf Faktoren zurück, die mit dem Lebensstil in Verbindung stehen“ (siehe Zusatzgeschichte unten).
Die Corona-Pandemie war übrigens nur ein vorübergehender Dämpfer: In den ersten zwei Pandemiejahren 2020 und 2021 ging die durchschnittliche Lebenserwartung um 1,6 Jahre zurück. „Die Erfahrungen von früheren Pandemien bzw. Epidemien zeigen, dass solche Rückschläge in den Jahren danach sehr rasch aufgeholt werden.“
Weltweit gesehen spielen bei der Zunahme der Lebenserwartung ein Rückgang bei tödlichen Durchfallerkrankungen (besonders in Afrika) und Atemwegsinfekten (etwa in Asien) eine große Rolle. „In Westeuropa hingegen sind Zugewinne bei der Lebenserwartung eigentlich nur noch in den oberen Altersgruppen möglich“ – durch verbesserte Lebensumstände, gesünderen Lebensstil und vor allem weitere Verbesserungen in der medizinischen Versorgung.
Die älteste lebende Frau
Maria Branyas Morera, am 4. 3.1907 in den USA geborene Spanierin, gilt seit Jänner 2023 als ältester bekannter lebender Mensch. Die 117-Jährige ist die letzte lebende Person, die 1907 geboren wurde.
Der älteste lebende Mann
Josias de Oliveira aus Brasilien (geb. 21. 10. 1911) gilt seit dem 2. 4. 2024 inoffiziell als ältester lebender Mann
Die ältesten in Österreich lebenden Menschen
Die älteste lebende Österreicherin ist die 113 Jahre alte Margarete Walburga Tröstl (geb. 26. 2. 1911) aus Gmünd, NÖ.
Der älteste lebende Österreicher der 106 Jahre alte Josef Peer (geb. 31. 1. 1918) aus Trins in Tirol.
120 Supercentenarians (110 Jahre und älter) sind derzeit weltweit bestätigt
Geht das ewig so weiter?
International diskutiert wird jetzt die Frage: Geht dieser Anstieg immer so weiter? „Hier gibt es in der Wissenschaft zwei Lager“, sagt Luy:
- „Die Optimisten gehen davon aus, dass es auch weiterhin einen gleichbleibenden Anstieg der Lebenserwartung geben wird.
- Auch die Pessimisten gehen zwar nicht von einem Rückgang, aber doch einer zunehmenden Abflachung der Zuwächse aus, bis irgendwann die Lebenserwartung konstant bleibt oder nur mehr langsam steigt.“
Er selbst zähle sich zu den Pessimisten, erklärt Luy. „In den hoch entwickelten Ländern wie Österreich zeigt sich bereits eine gewisse Abflachung des Anstiegs. Bei den Frauen hat das sicher auch mit dem verzögerten Effekt des Rauchens zu tun, aber wir sehen die Abflachung auch bei den Männern.“
Für Luy gibt es eine Erklärung: „Mit deutlichen Verbesserungen ausschließlich bei den oberen Altersgruppen lässt sich die Lebenserwartung bei Geburt einfach nicht so stark erhöhen wie etwa mit einer Reduktion der Kindersterblichkeit. “
Klosterstudie: Wenig Stress und viel Gemeinschaft wirken sich positiv auf die Lebenserwartung au
Als Marc Luy 2003 erstmals berichtete, dass Männer im Kloster länger leben, waren ihm die Schlagzeilen sicher. Der Spiegel etwa titelte „Studie unter Mönchen: Lebe langsam, stirb alt“. Mehr als 11.000 Sterbedaten von 1890 bis 1995, allesamt von Nonnen und Mönchen in bayerischen Klostern, hatte der deutsche Forscher analysiert, weil er wissen wollte, ob sich die Lebenserwartung von Klosterfrauen und Ordensmännern deutlich anders entwickelt hat, als die der Männer und Frauen in der Gesamtbevölkerung.
Luys Überlegung: Im Kloster leben Männer und Frauen unter identen Bedingungen, haben ähnliche Tagesabläufe, ernähren sich gleich. Der Lebensstil kann dort keinen so großen Einfluss auf die Lebenserwartung haben. Und siehe da: In der als „Klosterstudie“ bekannt gewordenen Untersuchung stellte sich heraus, dass Mönche nur ein bis maximal zwei Jahre kürzer leben als Nonnen. Luys Erklärung: Weniger Stress sei für Langlebigkeit der Klosterbrüder hauptverantwortlich.
Das Alter annehmen, nicht bekämpfen, so lautet auch das Rezept, das die US-Altersforscherin Anna Corwin für ein langes, gesundes Leben nennt: „In vielen amerikanischen Klöstern ist das Altern ein natürlicher Teil des Lebens und nicht etwas, das man fürchten oder vermeiden muss“. Außerdem sei immer jemand da, der auf einen achte. Keine und keiner werde zurückgelassen. Die Statistik gibt Corwin recht: Die französische Ordensfrau Lucile Randon wurde 118 Jahre und 340 Tage alt, bis sie als ältester Mensch der Welt am 17. Jänner 2023 starb. Sie ist bis heute Nummer vier im Langlebigkeitsranking.
Und der Forscher hat noch ein Argument: „Die meisten der allerältesten Menschen sterben mit 115, 116 Jahren.“ Nur zwölf Menschen erlebten bisher – nachgewiesen – ihren 117. Geburtstag. Und die altersmäßige Rekordhalterin, die Französin Jeanne Calment, die 122 Jahre alt wurde, starb bereits 1997: „Seither ist niemand auch nur annähernd an diesen Rekord herangekommen.“ Der zweitälteste Mensch, der je gelebt hat, die 2022 verstorbene Japanerin Kane Tanaka, wurde 119 Jahre und 107 Tage alt. „Das zeigt für mich, dass es – zumindest derzeit – schwierig ist, in den allerhöchsten Altersstufen noch weitere Lebensjahre dazuzugewinnen.“ Viel wichtiger sei überdies, die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen – da gehört Österreich nicht zu den Spitzenreitern in der EU.
Ein Punkt bleibt offen: „Gibt es eine biologische Grenze für die menschliche Lebensspanne? Und wenn ja, wird sie eines Tages überschritten? Endgültig lässt sich das heute nicht beantworten.“
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