Subtyp BA.2: "Die Omikron-Welle kann zwei Gipfel haben"
Müssen wir auf eine Trendwende bei den Infektionszahlen noch etwas länger warten? In Deutschland gehen Experten von einer Verzögerung „um mehrere Wochen“ aus. Der Grund: Die Omikron-Subvariante BA.2. Wie der Genetiker Ulrich Elling die Situation in Österreich einschätzt und was er für die kommenden Wochen erwartet.
Kann BA.2 die derzeitige Welle verlängern?
In Dänemark sind 82 Prozent der Fälle auf BA.2 zurückzuführen – „und die Zahlen steigen immer noch weiter, obwohl es dort eine viel höhere Impfquote und inzwischen auch Durchseuchung als bei uns gibt“, sagt der Genetiker Ulrich Elling (Institut für Molekulare Biotechnologie, IMBA). „Da BA.2 infektiöser ist und auch die Schutzwirkung der Impfung vor Infektionen etwas stärker umgehen kann, müssen auch wir mit einer hohen BA.2-Welle rechnen.“ Dänemark habe deshalb so hohe Infektionszahlen, weil sich dort beide Wellen (BA.1 und BA.2) überlagert haben: „Diese Gefahr besteht durch zu rasches Lockern auch bei uns, dass sich dadurch die BA.2-Welle rascher aufbaut.“
„Was wir durch neue Studiendaten auch wissen ist, dass die Ungeimpften bei einer BA.2-Infektion mehr Virus produzieren als bei BA.1. Deshalb gibt es auch die Befürchtung, dass BA.1 in Kindergärten und Schulen mehr um sich greift und von dort aus zu noch mehr Infektionen führt.“
Laut jüngsten Daten ist der Anteil von BA.2 von Anfang bis Mitte Jänner mit 8 Prozent aber gleich geblieben?
„Herkömmliche PCR-Analysen unterscheiden nicht zwischen BA.1 und BA.2, deshalb haben wir nur eine sehr grobe, nicht tagesaktuelle Einschätzung durch Sequenzieranalysen, die z. B. bei uns laufen, und Abwasseranalysen. Noch sind die BA.2-Nachweise auf niedrigem Niveau und unter der Schwelle, wo sie stark auffallen. Aber sie steigen. Angesichts mangelnder Daten lässt es sich nicht genau prognostizieren, aber Ende Februar könnte es zu einer BA.2-Welle kommen.“ Zwar hoffe jeder, dass es nach Omikron vorbei ist, „aber es kann durchaus sein, dass die jetzige Welle einen Doppelpeak, also zwei Gipfel, hat: jetzt mit BA.1 und in einigen Wochen mit BA.2, und dadurch länger dauert. Das schließe ich nicht aus.“
Auch in England zeige sich mittlerweile ein Aufwärtstrend bei BA.2, „auch da wird BA.2 bald dominant sein, aber dort laufen die Wellen hintereinander ab.“
Deutschland wartet mit Lockerungen noch zu. Sind wir zu früh dran?
Elling: „Unser Fahrplan gibt Hoffnung. Aber meine Befürchtung ist, dass einmal ausgesprochene konkrete Lockerungstermine nicht mehr revidierbar sind – unabhängig von den tatsächlichen Infektionszahlen.“
Aber welche Gefahr droht überhaupt?
„Ich glaube nicht, dass BA.2 für die Intensivstationen eine große Rolle spielen wird, aber für die Normalstationen kann eine solche überlagerte und verlängerte Welle schon zu einer großen Belastung werden“, sagt Elling. Ein WHO-Experte erklärte Dienstag, BA.2 scheine keine schwereren Krankheitsverläufe zu verursachen als BA.1. Generell ist bei Omikron auch die Sterberate deutlich niedriger als bei Delta.
Aber wird uns nicht der Saisoneffekt helfen?
Nach Schätzungen senkt er die Infektionen um rund 40 Prozent. „Bei einer doppelt so hohen Ansteckungsrate wie bei BA.1 ist aber davon auszugehen, dass wir im Frühjahr eine BA.2-Welle abmildern, aber nicht zur Gänze verhindern können.“
Wie gut schützen die Impfungen?
„Sie schützen quer durch die bisherigen Varianten gut vor schweren Erkrankungen, der Infektionsschutz ist bei BA.2 allerdings nochmals schlechter als bei BA.1.“
Wie wird es nach Omikron weitergehen?
Die Omikronwelle ist ja schon so ähnlich wie eine endemische Welle, die bereits weitgehend frei läuft mittlerweile. Im Moment stellt sich die Frage, werden wir in den nächsten Jahren jährlich eine oder zwei Wellen sehen, also im Herbst und Frühjahr je eine, oder doch pro Winter nur eine. Derzeit sieht es so aus, als würden sich die Corona-Wellen doch wesentlich höher auftürmen als die Influenza-Wellen und eventuell auch häufiger auftreten. Einfach deshalb, weil SARS-CoV-2 wesentlich infektiöser ist als Influenzaviren.
Eine Genesung mit einer früheren Variante ist kein zuverlässiger Schutz vor einer Infektion mit BA.2?
„Ja, und es kann auch so sein, dass der Körper zwar BA.1 abwehren konnte, aber nicht BA.2. Generell ist auch der Schutz von Omikron-Infizierten gegen eine Ansteckung mit der Delta-Variante nicht gut, außer die Omikron-Infektion liegt nur kurz zurück“, sagt Elling.
„Es ist auch nicht so, dass sich die Varianten linear entwickeln, dass also nach BA.2 jetzt BA.3 und BA.4 kommt. Die nächste Variante kann wieder aus einer ganz anderen Ecke kommen.“
„Bisher sind alle Varianten mehr oder weniger aus dem Ursprungsvirus hervorgegangen. Man muss sich das Ursprungsvirus, das Wuhan-Virus, wie den Urknall vorstellen, seither streben die Varianten in verschiedenen Richtungen auseinander. Das bedeutet: Wenn man gegen eine Variante in einer Ecke des "Universums“ immun ist, ist man nicht automatisch auch gegen alle anderen immun.“
Was bedeutet das für eine künftige Impfstoffentwicklung?
„Man könnte Impfstoffe produzieren, die mehrere Varianten abdecken und damit einen breiteren Schutz bieten, so, wie das auch bei der Influenza der Fall ist, wo man ja auch Vierfachimpfstoffe macht. Mit Impfungen wird man jedenfalls einen wesentlich besseren Schutz vor schweren Erkrankungen haben als alleine durch Infektionen.“
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