RNA-Forscherin Karikó: "Ohne Impfstoffe wären viel mehr Menschen gestorben"
Schlaganfälle, HIV, Krebs: Die aus Ungarn stammende Biologin Katalin Karikó hatte immer eine Vision: Mit der „Bauanleitung“ für verschiedene Eiweiße, der mRNA, neue Therapien gegen Krankheiten zu entwickeln. Seit den 80er-Jahren forscht sie daran. Dass die erste große Anwendung Impfstoffe gegen Covid-19 werden, damit hatte sie nicht gerechnet. „Ich wollte Therapien, aber keine Impfstoffe entwickeln.“ Am KURIER-Interview in Wien anlässlich ihres Vortrags beim "Vienna Congres com.sult 2022" (siehe auch weiter unten) nahm auch Ihre Tochter Zsuzsanna (Susan) Francia teil. Sie ist zweifache olympische Goldmedaillengewinnerin im Rudern.
KURIER: Sie werden als „Mutter der mRNA-Impfstoffe" bezeichnet. Wie würde die Welt heute ohne diese aussehen?
Katalin Karikó: Zuerst muss ich betonen: Zur Entwicklung der Impfstoffe haben die Erkenntnisse vieler Wissenschafter beigetragen, die seit Jahrzehnten mit der mRNA-Technologie arbeiten. Hätten wir keine Impfstoffe, wären noch viel mehr Menschen an Covid-19 gestorben, das ist offensichtlich. Natürlich gibt es kein Arzneimittel ohne Nebenwirkungen, aber die sind bei den mRNA-Impfstoffen wirklich sehr gering, sogar im Vergleich zu anderen Impfstoffen. Die ersten, die wirklich sehr dankbar für die Impfstoffe gewesen sind, waren die Mitarbeiter im Gesundheitsbereich, die Patienten behandelten und sahen, wie schlimm Covid-19 sein kann.Aber ich weiß, dass es auch Menschen gibt, die das nicht so sehen.
Die Biochemikerin Katalin Karikó ist am Sonntag in Wien für ihr Lebenswerk mit dem „Golden Arrow 2022“ ausgezeichnet worden. Sie war Hauptreferentin beim „Vienna Congress com.sult 2022“, der den Preis jedes Jahr vergibt. „Wir wollen damit ein starkes Signal für wissenschaftliche Leistungen und ihre Bedeutung für unsere Zukunft setzen“, erklärte Kongress-Initiator David Ungar-Klein. „Katalin Karikó hat mit ihrer Forschungsarbeit Weichenstellungen für die ganze Welt gesetzt, die auch in vielen anderen medizinischen Bereichen neue Wege zu Gesundheit eröffnen werden.“
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) würdigte bei der Preisverleihung Karikós „Leistungen im Dienste der gesamten Menschheit“. Sie habe nach 40 Jahren Forschung ihre Hingabe nie verloren und ihren Weg verfolgt. „Diese Disziplin und ihr enormes Durchhaltevermögen haben das Leben von Milliarden von Menschen verändert.“
„Es ist wichtig, der grassierenden Wissenschaftsfeindlichkeit die Fakten und Zusammenhänge gegenüber zu stellen“, sagte Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres.
Mit einem „Special Golden Arrow“ wurde heuer die Rad-Olympiasiegerin Anna Kiesenhofer geehrt.
1985 zogen Sie mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter in die USA. Wie schwer waren die ersten Jahre?
Mein erstes Gehalt an der Temple-Universität in Philadelphia war gering, wir mussten zu viert – meine Mutter kam auch mit – davon leben. Meine kleine Tochter Susan wollte einmal in einem Spielzeuggeschäft etwas haben, ich musste ihr sagen, dass wir uns das nicht leisten können. Dann hob sie ein Stück Styroporverpackung auf und fragte, ob sie das haben könne. Ich habe ihr später einmal gesagt, wie sehr ich gewünscht hätte, ihr damals Spielzeug kaufen zu können. Sie antwortete, „dann wären wir aber andere Menschen heute“.
Viele Ihrer Anträge um Forschungsförderung wurden jahrelang abgelehnt, Sie selbst an der Uni von Pennsylvania degradiert, weil man von Ihren Ergebnissen nicht überzeugt war. Haben Sie nie daran gedacht aufzugeben?
Nein. Ablehnungen und Kritik nahm ich zum Anlass, zu versuchen mich zu verbessern. Mein Ziel war, mit mRNA neue Therapien gegen akute Erkrankungen zu entwickeln: Etwa damit die Bauanleitung für ein Enzym in Blutgefäße zu bringen, das sie nach Schlaganfällen erweitert. In den ersten Jahren wurden aber viele Forschungsanträge abgelehnte. Trotzdem hatte ich Freude an meiner Arbeit, konnte in der Früh kaum erwarten, in das Labor zu kommen. Wenn man nur dafür forscht, weil man etwas verstehen will, und es nicht für Geld oder den Vorgesetzten tut, kann man nicht enttäuscht werden. Ich habe immer versucht, negativen Stress in eine positive Motivation umzuwandeln.
Wie gelang Ihnen der Durchbruch?
Mein Kollege Drew Weissmann entdeckte an Mäusen, dass die mRNA zu Entzündungen führt. 2005 gelang es uns, dieses Problem zu lösen. Wir tauschten einen genetischen Buchstaben aus - der neu eingefüge ist einer der am häufigsten im Körper natürlich vorkommenden. Mittlerweile sind bereits Therapien gegen Krebserkrankungen in Entwicklung: Die Patienten erhalten mRNA mit dem Bauplan individueller Merkmale ihrer Tumorzellen – damit wird eine Reaktion des Immunsystems ausgelöst.
Zur Person
Katalin Karikó wurde 1955 in Ungarn geboren. Sie studierte an der Universität Szeged Biologie. 1985 wanderte sie mit ihrem Mann Béla Francia und ihrer Tochter Zsuzsanna in die USA aus. Diese hat zwei olympische Goldmedaillen im Rudern errungen. 2013 ging sie nach Deutschland zu Biontech nach Mainz.
Funktionsweise der mRNA-Impfstoffe
Die mRNA (Boten-RNA) in den Impfstoffen ist die „Bauanleitung“ für einen einzigen Baustein des Virus, das Spike-Protein. Einzelne Zellen beginnen dann, dieses Protein selbst herzustellen. Das Immunsystem erkennt es als fremd, bildet Antikörper und Abwehrzellen.
Was sagen Sie zu Ängsten, dass sich die mRNA ins Erbgut einbaue und auch durch die rasche Impfstoff-Entwicklung ein Risiko bestehe?
Ich bin absolut davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. mRNA ist sehr instabil und muss deshalb bei niedrigen Temperaturen gelagert werden. Von Dinosaurierskeletten versucht man, DNA-Bruchstücke (DNA ist die Trägerin der Erbsubstanz, Anm.) zu isolierne, aber niemand versucht das mit RNA - weil man weiß, dass die viel zu labil ist um zu überadauern. Und die erste klinische Studie mit Probanden und RNA fand bereits 1997 statt. Die Forschung auf diesem Gebiet reicht mehrere Jahrzehnte zurück.
In Österreich gibt es eine besonders starke Skepsis gegenüber diesen Impfstoffen. Verstehen Sie das?
Ich glaube, dass wir Wissenschafter, aber auch die Medien in der Vergangenheit nicht gut darin waren, zu berichten, was wir tun. Das Problem war ja auch, dass Forscher wie ich permanent im Labor waren und keine Zeit hatten, aber andere gingen in die Medien. Wenn Sie Passanten nach dem Namen eines Wissenschafters fragen, werden viele Albert Einstein sagen. Auf die Frage nach einem lebenden Forscher werden viele keinen Namen nennen können. Aber alle kennen diese Kardashians.
Sie reisen derzeit durch die ganze Welt, erhalten viele Preise, gelten auch als Nobelpreiskandidatin.
Ich dachte ja nie daran, dass eine Pandemie kommt und ich für meine Arbeit so viele Ehrungen erhalten werde. Geld war nie eine Motivation für mich, 40 Jahre lang durchzuhalten. Mit den Preisgeldern unterstütze ich etwa in Spanien und Ungarn Schulen und Förderprogramme für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Ich war ja auch irgendwie ein unterprivilegiertes Kind, mein Vater hatte sechs Jahre Schulbildung, meine Mutter acht. Wenn ich jetzt schon so in der Öffentlichkeit stehe, sind mir zwei Dinge wichtig: Ich möchte junge Menschen inspirieren, in die Wissenschaft zu gehen. Und ich möchte etwas beitragen, um die Öffentlichkeit in wissenschaftlichen Themen zu bilden.
Ihre Tochter Susan Francia war mit zwei olympischen Goldmedaillen im Rudern eine sehr erfolgreiche Sportlerin. Welche Eigenschaften sind notwendig, damit man sowohl im Sport, als auch in der Wissenschaft erfolgreich sein kann?
Susan Francia: Harte Arbeit macht Spaß - das ist in beiden Bereichen ähnlich. Gleichermaßen kommt es auch auf Vertrauen und Teamwork an. Eines ist aber anders: Wir Ruderer wissen zumindest, dass es in die richtige Richtung geht und irgendwann das Ziel kommt.
Katalin Karikó: Und in der Wissenschaft wissen wir oft trotz aller harten Anstrengung nicht, ob wir in die richtige Richtung gehen.
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