Status quo und Ausblick: Wie gefährlich ist Corona noch?
Über China bricht gerade eine Corona-Welle herein. Die Zahlen steigen rasant: Wöchentlich werden rund 40 Millionen Neuinfektionen verzeichnet. Mit Maßnahmen halten sich die Behörden diesmal zurück. Sie üben sich in Beschwichtigung. Mit Europa ist die Situation in China nicht wirklich vergleichbar. Wirksame mRNA-Impfstoffe, wie sie hierzulande verabreicht wurden, sind dort beispielsweise bisher nicht zugelassen.
Bei uns ist von Corona nur noch selten die Rede. Ist die Lage so entspannt, wie es scheint?
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Welche Gefahr geht derzeit von SARS-CoV-2 aus?
SARS-CoV-2 führt bei gesunden, geimpften Personen zu keiner erhöhten Sterblichkeit mehr. "Die meisten Erkrankungen verlaufen mild, mit Halsweh, Husten, häufig auch Fieber", präzisiert Lungenfacharzt Arschang Valipour von der Klinik Floridsdorf. Kommt es zu einem schweren Verlauf mit Lungenentzündung, die einen Spitalsaufenthalt notwendig macht, ist die Gefährlichkeit vergleichbar mit Lungenentzündungen, die durch andere Erreger ausgelöst werden. "Allerdings ist bei vulnerablen Gruppen wie immungeschwächten Personen, die wegen eines schweren Covid-Verlaufs im Spital aufgenommen werden, die Sterblichkeit nach wie vor höher als bei der Influenza."
Wie ist die Situation in den Spitälern?
Laut dem Covid-Prognose-Konsortium geht die Covid-Belegung auf den Normalstationen weiter langsam zurück. Jene auf den Intensivstationen bleibt auf sehr niedrigem Niveau annähernd gleich. Auch Valipour berichtet von geringen Zahlen: Mehr als zehn Covid-Patienten betreue man auf der Normalstation schon seit vielen Monaten nicht mehr. Covid-Patienten auf einer Intensivstation kämen nur vereinzelt vor – "derzeit haben wir gar keinen".
Neueste Daten aus dem Covid-Abwassermonitoring deuten auf stagnierende und teils leicht rückläufige Ansteckungszahlen hin. Wie ist diese Dynamik zu beurteilen?
"Wir sind in einer relativ komfortablen Situation", erklärt Infektiologe Herwig Kollaritsch. Komfortabel deshalb, weil nahezu alle Menschen inzwischen über eine gewisse Form der Immunität verfügen. Durch eine oder mehrere Impfungen oder eine Infektion – oder beides. Insbesondere Letzteres, die sogenannte Hybrid-Immunität, schützt erwiesenermaßen für recht lange Zeit vor schweren Erkrankungen. Die Annahme, "dass wir uns nicht mehr um das Virus kümmern müssen, halte ich dennoch für verfrüht."
Das ganze Interview mit Herwig Kollaritsch als Podcast anhören:
Kann sich Corona noch mal bedrohlich verändern?
"Wir wissen nicht, was das Virus vorhat", sagt Kollaritsch. Er bedauert, dass Covid-19 aus der Liste der meldepflichtigen Erkrankungen gestrichen wurde. Das verkompliziere den Umgang. Ein Restrisiko, dass eine ganz neue Variante pandemisches Potenzial entwickelt, bleibt. SARS-CoV-2 kann nicht nur mutieren – hier verändert sich einer der rund 30.000 genetischen Buchstaben des Virus –, sondern auch rekombinieren. Dabei verändern sich unterschiedliche Varianten durch Gensequenz-Austausch, das Erbguts wird neu angeordnet. "Das kann dazu führen, dass eine bösartige Variante entsteht."
Nimmt die Immunität in der Bevölkerung ab?
Da die meisten Menschen ihre letzte Impfung im Herbst hatten und bei vielen auch eine Infektion schon länger zurückliegt, gibt es einen gewissen Rückgang der Immunität. Gerade bei Omikron-Subvarianten nimmt der Schutz der Impfung vor einer Ansteckung bereits nach zwei Monaten deutlich ab. Auch der Schutz vor einem etwas heftigeren Krankheitsverlauf geht nach einem halben Jahr zurück – wenngleich der Schutz vor schweren Komplikationen und Tod hoch bleibt.
Hier spielt laut Kollaritsch das Alter eine entscheidende Rolle: "Bei den Jungen gehen wir davon aus, dass sie ein oder sogar bis zu zwei Jahre geschützt sind, je nachdem, welche Varianten auftauchen. Die Älteren haben allerdings einen kürzeren Schutz."
Was bedeutet das für vulnerable Personen?
"Menschen, die ein hohes Risiko für schwere Verläufe haben, wissen, dass sie achtsam sein und sich mit weiteren Impfungen schützen müssen", sagt Kollaritsch. Dank der rasanten Entwicklung potenter Medikamente können sie auch auf hochwirksame Therapien zurückgreifen – etwa Paxlovid. Gerade Risikogruppen sollten sich bei verdächtigen Symptomen testen: "Dann können sie frühzeitig Medikamente bekommen, die das Risiko für einen schweren Verlauf und Long Covid senken", betont Valipour. Je mehr Tests durchgeführt werden, umso geringer sei der Blindflug, was das Auftreten neuer Varianten betrifft.
Stichwort Blindflug: Kürzlich wurde Kritik an der geringen Sequenzierungsrate laut. Wird das Virus gut genug beobachtet?
"Aus wissenschaftlicher Perspektive nicht", sagt Kollaritsch. "Da würden wir uns natürlich mehr wünschen. Je genauer man weiß, was sich tut, desto präziser kann man reagieren." Das Abwassermonitoring sollte als effiziente und verhältnismäßig kostengünstige Methode aufrechterhalten werden. Dafür spricht sich auch Ulrich Elling, Mikrobiologe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, aus. "Das Monitoring bricht gerade weltweit ein", sagt er. "Weil Länder aktiv entscheiden, die Programme zurückzufahren und weil nun weniger Proben für die Analysen zur Verfügung stehen." Mit Blick auf den Herbst ein Problem: "Um an neue Varianten angepasste Impfstoffe gut einsetzen zu können, müssen wir wissen, welche das sind."
Wie sieht die Impfstrategie für den Herbst aus?
Das Nationale Impfgremium wird voraussichtlich Ende Juni seine Empfehlungen aktualisieren. Schon jetzt kann man sich diesbezüglich an anderen Ländern, etwa an Deutschland, orientieren. Dort rät die Ständige Impfkommission vulnerablen Menschen, sich vor Beginn der kühleren Saison eine Auffrischung zu holen. Valipour empfiehlt Risikopersonen eine Auffrischung vor dem Sommer. Besonders dann, wenn sie verreisen. "Das reduziert das Risiko eines Spitalsaufenthaltes im Ausland."
Wird es neue Impfstoffe geben?
Bis dato sei man mit bivalenten Impfstoffen gut gefahren, sagt Kollaritsch. Das sind Vakzine, die zur Hälfte den ursprünglichen Impfstoff und zur Hälfte einen auf die Omikron-Varianten BA.1 oder BA.4/BA.5 angepassten enthalten. Mit dem Aufkommen der XBB-Familie (auch Omikron-Unterarten) habe sich die Ausgangslage verändert. "Diese Varianten können den Immunschutz noch mal anders umgehen. Es ist denkbar, dass die Impfstoffhersteller die nächste Generation daran anpassen."
Sind neuerliche Infektionen harmloser?
Nein. Je mehr Infektionen man durchmacht, umso größer das Risiko für Komplikationen: Von Herzmuskelentzündungen über Lungenfibrose bis hin zu Diabetes. "Bei chronisch Kranken kann jede Infektion zu einer Verschlechterung ihrer Grunderkrankungen führen", weiß Valipour.
Und wie sieht es mit Long Covid aus?
Generell erhöhen Mehrfachinfektionen auch das Risiko von Long Covid, also Langzeitfolgen wie Konzentrationsprobleme oder Schlafstörungen, die die Leistungsfähigkeit stark einschränken können. "Zehn Prozent der Covid-Patienten haben drei Monate nach der Infektion noch Symptome", sagt Valipour. Bei rund zwei Drittel bessern sich diese nach einem Jahr. Bei fast einem Prozent halten Symptome wie schwere Erschöpfung – Fatigue –, Gedächtnis- oder Kreislaufprobleme aber dauerhaft an. Valipour: "Diese Symptome führen zu einer nicht unbeträchtlichen Anzahl an Krankenständen. Covid hat die Bevölkerung kränker gemacht, als sie es vor dem Auftreten des Virus war."
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