Jährliche Covid-Schutzimpfung? Das sagt der Experte dazu
Das Thema Covid-Schutzimpfungen ist weitgehend aus dem öffentlichen Blickpunkt verschwunden. Trotzdem bleibt die Frage: Wie wird es damit weitergehen? Werden jährliche Auffrischungen empfohlen? Jeder und jedem? Wer sollte jetzt die vierte Impfung bekommen, wer braucht sie nicht unbedingt?
Was der Infektiologe Herwig Kollaritsch, Mitglied des Österreichischen Impfgremiums, dazu sagt.
KURIER: Wird es in Zukunft eine Empfehlung für eine jährliche Auffrischung geben?
Herwig Kollaritsch: Das wird vor allem von den kursierenden Virusvarianten abhängen. So lange wir in der Omikron-Familie weiterhin eng im Bereich der jetzt kursierenden Varianten bleiben, glaube ich nicht, dass für jeden und jeden eine jährliche Auffrischung empfohlen wird. Eine Empfehlung für Risikogruppen halte ich aber für wahrscheinlich. Beim Auftreten einer Variante, die sich deutlich von den Bisherigen unterscheidet und gegen die unsere bestehende Immunität nur mehr schlecht wirkt, kann es aber natürlich sein, dass allen eine Auffrischung empfohlen wird – und das dann möglichst kurzfristig. Sollten wir im Bereich der Omikron-Familie bleiben, dann wird das Thema Covid-Schutzimpfung hingegen immer individueller werden.
Was bedeutet das?
Nach der Einführung der Impfungen ging es ja auch darum, mit einer möglichst hohen Durchimpfungsrate eine Überlastung des Gesundheitssystems und viele schwere Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern. Jetzt sind wir in einer Situation, in der das Gesundheitssystem mit Covid-19 gut umgehen kann. Wir wissen aus unzähligen Studien, dass das Um und Auf drei immunologische Ereignisse sind – also entweder drei Impfungen oder etwa zwei Impfungen und eine Infektion. Daten aus Großbritannien zeigen, dass bereits drei Impfungen lange gegen schwere Erkrankungen und Tod schützen – bis zu 40 Wochen. Deshalb werden Empfehlungen für Auffrischungen sicher differenziert ausfallen. Aber bei Personen, bei denen wir damit rechnen müssen, dass bei ihnen eine Covid-Erkrankung schwer verläuft, da werden regelmäßige, vielleicht jährliche Auffrischungen sinnvoll sein, um bei einer Infektion ihre Krankheitslast zu reduzieren. Aber das sind dann individuelle Entscheidungen mit dem behandelnden Arzt.
Es wird also nicht automatisch genauso sein wie bei der Influenza?
Die Situation ist etwas anders als bei der Influenza, wo der Impfschutz viel kürzer ist – deshalb braucht es da eine jährliche angepasste Impfung. Ob die Covid-19 jährlich angepasst werden muss, lässt sich derzeit, anders als bei der Grippe, derzeit nicht sagen: Die Mutationen passieren nicht in der Gleichmäßigkeit wie bei Influenza. Jedenfalls wird nicht das eintreten, was von manchen befürchtet wurde, dass alle vier bis sechs Monate eine neue Impfung empfohlen wird.
Wie ist das dann mit der vierten Impfung – soll man sich die jetzt noch holen?
Die vierte Impfung wird ja grundsätzlich jedem empfohlen, besonders aber den Risikogruppen. Wer eine komplette Grundimmunisierung hat und keiner Risikogruppe angehört, bei dem wird die vierte Impfung jetzt nicht unbedingt notwendig sein. Aber es ist eine Ermessenssache, die sehr vom individuellen Verhalten abhängt. Die vergangenen Jahre haben uns gezeigt, dass es auch im Sommer zahlreiche Infektionen geben kann. Wer eine größere Reise plant, dem würde ich davor auf jeden Fall die vierte bzw. auch die fünfte Impfung anraten, wenn die vorhergehende Impfung schon länger zurückliegt. Ich nenne ihnen mein Beispiel: Ich bin älter als 65 und habe einen längeren Urlaub im Ausland hinter mir. Ich habe mir davor die fünfte Impfung geholt. Und Daten etwa aus den USA zeigen sehr schön: Wer geboostert ist, dessen Risiko für einen schweren Verlauf sinkt gegenüber drei Impfungen noch ein bisschen weiter ab.
Hybride Immunität
„Eine vergangene Infektion kombiniert mit einer Schutzimpfung bietet besseren Schutz als eine überstandene Infektion oder eine Schutzimpfung alleine dazu im Stande ist – auch in Bezug auf Omikron“, sagt der Molekularbiologe Martin Moder in einem Video des Gecko Lab. Und das nicht nur vor schweren Erkrankungsverläufen, sondern generell auch vor einer symptomatischen Infektionen. Eine hybride Immunität forme die "Königsklasse des Impfschutzes". Dies bedeute aber nicht, dass man sich aktiv eine Infektion suchen solle. "Eine Infektion ist immer mit großen Risiken verbunden. In der Akutphase sowieso, aber auch langfristig wegen Long Covid und weil nach einer überstandenen Corona-Infektion das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen lange Zeit erhöht bleibt."
Laut neuer Lancet-Studie schützt eine überstandene Covid-19-Erkrankung mindestens zehn Monate zu bis zu 90 Prozent vor schwerer Krankheit. Allerdings nahm bei der Omikron-Variante BA.1 im Gegensatz zum Wildtyp und den Varianten Alpha und Delta der Infektionsschutz deutlich geringer und nahm auch schneller ab. Die Autoren betonen, dass die sicherste Möglichkeit, zu einer wirksamen Immunität gegen SARS-CoV-2 zu kommen, weiterhin die Impfung sei.
56 von 100 Menschen
sind drei Mal geimpft, haben also eine Grundimmunisierung. 18 von 100 Menschen haben vier und mehr Impfungen, wie die Daten des Österreichischen Impfdashboards zeigen.
Wie ist das bei Risikopersonen?
Risikopersonen mit Vorerkrankungen oder einem Alter über 60, deren letzte Impfung oder Infektion deutlich länger als sechs Monate zurückliegt, würde ich persönlich ebenfalls jetzt die vierte Impfung empfehlen. Was man aber auch nicht vergessen darf: Ein Großteil derer, die drei Impfungen haben, hat danach noch eine Infektion bekommen. Denn der Löwenanteil der Drittimpfungen fand im Spätherbst 2021 statt, die Omikron-Welle kam erst danach. Drei Impfungen und eine Omikron-Infektion sind schon ein sehr guter Schutz vor schweren Verläufen.
Und alle weiteren Impfungen wie eine fünfte?
Da wird es eben sehr individuell. Da wird man auch unterscheiden zwischen einem Hochrisikopatienten – etwa einem Menschen mit Organtransplantation – und einem Risikopatienten wie einem älteren Menschen, der ein wenig übergewichtig ist und eine COPD im ersten Schweregrad hat. Der Zweitgenannte kann sicher bis Herbst mit einer fünften Impfung warten, wenn er sich nicht irgendwelchen hohen Risiken aussetzt, wie eben einer langen Reise.
Wir gehen jetzt von der Pandemie zur Endemie über: Sollen sich dann bisher Ungeimpfte überhaupt noch impfen lassen?
Diese Leute machen mir die größten Sorgen, die glauben, jetzt sei eh alles vorbei. Sie gehen ein hohes Risiko ein. Wir werden weiterhin Covid-Wellen haben, nur werden sie nicht mehr die Spitäler überlasten. Und Omikron empfinden wir ja nur deshalb als harmloser, weil es auf eine vorimmunisierte Bevölkerung getroffen ist. Deshalb halte ich es nach wie vor für ganz wichtig, die Grundimmunisierung abzuschließen. Man hat nach einigen Wochen zwar nur mehr einen geringen Schutz generell vor einer Infektion mit Symptomen, aber der langfristige Schutz vor schweren Erkrankungen bleibt.
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