US-Bericht: Ist Corona nun doch menschengemacht?
Ein Bericht des Wall Street Journal stieß am Montag eine neuerliche Diskussion über den Ursprung des Coronavirus an. Experten in Europa und den USA, die an einen menschengemachten und aus einem Labor entwichenen Erreger glauben, fühlen sich bestätigt. Chinas Regierung vermutet hinter dem Bericht ein politisches Motiv.
Der KURIER klärt die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist neu?
Das US-Energieministerium soll seine bisherige Einschätzung zum Ursprung des Coronavirus verworfen haben und nun davon ausgehen, dass es durch eine Laborpanne in China freigesetzt wurde. Das geht aus einem vertraulichen Bericht hervor, der vor Kurzem der US-Regierung sowie ausgewählten Kongressabgeordneten vorgelegt wurde. Allerdings gebe es nur einen „niedrigen Grad an Gewissheit“ für die sogenannte Laborhypothese. Details aus dem Bericht wurden am Montag nicht veröffentlicht.
Welche Ursprungstheorie dominiert in den USA?
Das US-Energieministerium schließt sich damit der Einschätzung der Bundespolizei FBI an, die schon seit Jahren mit „moderater Gewissheit“ von einem Laborunfall ausgeht. Die Geheimdienste vier weiterer US-Ministerien sowie deren Dachorganisation NIC (National Intelligence Council) halten dagegen an der These fest, das Virus habe sich auf natürlichem Wege von Tier auf Mensch übertragen. Auch die Mehrheit der US-Parlamentarier vertritt weiter diese Auffassung.
Was spricht für die Laborhypothese?
Einer der Wissenschafter, der die Laborthese für wahrscheinlicher hält, ist der Physiker Roland Wiesendanger von der Uni Hamburg. Aus seiner Sicht spricht vor allem ein molekulares Merkmal von SARS-CoV-2 für einen Ursprung im Labor: Eine sogenannte „Furin-Spaltstelle“. Diese ermögliche es dem Virus, „leicht in die menschlichen Zellen einzudringen“, sagte Wiesendanger in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung.
Und: „In der Untergruppe von Coronaviren, zu der Sars-CoV-2 gehört, ist diese Furin-Spaltstelle nicht bekannt.“ Für Wiesendanger ist das ein Hinweis, dass dieses Merkmal eingebaut wurde. Darüber hinaus gebe es „auch nach über zwei Jahren intensiver Suche keinerlei Spur eines Zwischenwirts“ (zwischen Fledermaus und Mensch, Am.)
Und was spricht gegen die Laborhypothese?
„Die Diversität dieser Viren ist noch nicht gut erforscht, deshalb ist die Furin-Spaltstelle zwar auffällig, aber kein Beweis für einen nicht-natürlichen Ursprung“, sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité zur Süddeutschen Zeitung. Bei Influenza-Viren würden solche Furin-Spaltstellen ständig neu in der Natur entstehen.
Sein Team habe gleich zwei Exemplare von Sars-verwandten Viren identifiziert, bei denen nur eine Mutation notwendig gewesen wäre, „und dann hätten diese Viren auch so eine Furin-Spaltstelle ähnlich der von Sars-CoV-2. Wenn nur so geringe Änderungen im Genom notwendig sind, kann man sich durchaus darauf einstellen, das so was in der Natur passiert.“ Was einen Zwischenwirt betrifft, habe es bisher zu wenig Untersuchungen in China gegeben.
Das Virologie-Institut in Wuhan liegt in der Nähe des Marktes, wo das Virus erstmals entdeckt wurde. Ein Indiz für die Laborhypothese?
Für Roland Wiesendanger eindeutig. 2018 habe es überdies einen Antrag von US-Forschern gegeben, genau diese Furin-Spaltstelle experimentell in Coronaviren einzubauen. Der Antrag wurde abgelehnt. Laut Wiesendanger wurde Forschung zur Veränderung der Eigenschaften von Viren aber nach Wuhan ausgelagert – ob auch das Projekt mit der Furin-Spaltstelle dabei war, wisse er aber nicht.
Anders die Einschätzung von Drosten: „Es wurden in Wuhan durchaus Sachen gemacht, die man als gefährlich bezeichnen könnte. Aber dabei hätte nicht das Sars-CoV-2-Virus herauskommen können.“ Es seien zwar Fledermausviren neue Eigenschaften eingebaut worden, aber nicht solchen, die als Vorgänger von Sars-CoV-2 infrage kämen.
Wie äußert sich China zum Ursprung des Virus?
Das Außenministerium in Peking kritisierte die Einschätzung des US-Energieministeriums scharf und ortet eine „Politisierung wissenschatlicher Angelegenheiten“. Das sei ein weiterer Versuch, „die Labortheorie aufzubauschen und China zu verleumden“, so eine Sprecherin.
Wieviel Einblick gewährt Chinas Regierung?
Nicht so viel, wie sich das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wünschen würde. Zwar kooperierten chinesische Wissenschafter 2021 bei einer umfassenden Untersuchung zum Ursprung des Virus. Doch seither gab es vonseiten der WHO viel Kritik an Chinas Gesundheitsbehörde, die nur „wenig glaubhafte“ Infektions- sowie Todeszahlen veröffentliche und nur noch „mangelhaft“ bei der Erforschung neuer Mutationen kooperiere.
Warum erscheint der Bericht gerade jetzt?
Zumindest der Zeitpunkt der Veröffentlichung in US-Medien ist fragwürdig. Laut dem Wall Street Journal wurde der Bericht „vor Kurzem“ veröffentlicht, er ist aber der letzte aus einer ganzen Reihe von Geheimdienstberichten aus den USA, die in den letzten Wochen öffentlich gemacht wurden und Chinas Regierung in ein schlechtes Licht rücken. Und das genau in dem Zeitraum, in dem die Beziehung zwischen beiden Großmächten am Tiefpunkt ist und Peking seinen Vorschlag für einen Waffenstillstand in der Ukraine vorlegte.
Kommentare