Vogelgrippe: Könnte sie die nächste Pandemie auslösen?
Es ist ein Thema das nach drei Jahren Corona-Pandemie eigentlich niemand hören will: Wann ist mit der nächsten Pandemie zu rechnen? Dass dies keine rein theoretisch-abstrakte Diskussion ist, zeigen zahlreiche Medienberichte der vergangenen Wochen mit teils fast gleichlautenden Schlagzeilen: ""Die Vogelgrippe könnte (leider) die nächste Pandemie auslösen", titelt etwa die Neue Zürcher Zeitung. "Genau so könnte eine H5N1-Pandemie beginnen", heißt es auf zeit.de, und der Titel einer Kolumne in der New York Times lautet gar: "Eine noch tödlichere Pandemie könnte bald da sein." Hintergrund all dieser Berichte: Auf einer spanischen Nerzfarm hat sich das Vogelgrippevirus H5N1 von Nerz zu Nerz und sogar von Stall zu Stall ausgebreitet. Experten sehen das als Anzeichen, dass sich das Virus an Säugetiere anpasst - und dadurch möglicherweise auch für den Menschen gefährlicher werden könnte. Was man bisher über Veränderungen des Erregers der Geflügelpest und ein allfälliges Risiko für Menschen weiß.
Auslöser der Besorgnis ist ein Geflügelpest-Ausbruch auf einer Nerzfarm im Nordwesten Spaniens in Galicien im Oktober, über den im Jänner das Fachjournal Eurosurveillance ausführlich berichtete. Bekannt war, dass sich Säugetiere bei Vögeln mit H5N1 infizieren können: "Es gibt weltweit einige Berichte über Infektionen bei Säugetieren, u.a. bei Füchsen, Ottern, Seehunden, Schwarzbären, Grizzlybären und einer Katze", heißt es in einer aktuellen Dokumentation des deutschen Friedrich-Löffler-Instituts (FLI).
Allerdings: "Im Gegensatz zu den Fällen von Einzelinfektionen bei freilebenden Füchsen, Mardern, Waschbären, Robben, die sich jeweils an infizierten Vogelkadavern angesteckt hatten, wurde das Virus im Falle der Nerze möglicherweise von Nerz zu Nerz weitergegeben", so das FLI. Dieser Ausbruch auf einer Nerzfarm sei "der bisher stärkste Anhaltspunkt dafür, dass H5N1 von einem infizierten Säugetier auf ein anderes übertragen werden kann", schrieb das Fachjournal Nature.
Die deutschen FLI-Experten betonen einerseits, dass die in Spanien beobachtete Übertragung zwischen Nerzen nicht unmittelbar bedeute, dass das Virus leichter auf den Menschen übertragbar ist. Sie halten aber auch fest: "Es wurde jedoch bereits eine Mutation dieses Virus festgestellt, die eine Anpassung an Säugetiere darstellen könnte. Ein Virus, das erleichtert von Säugetier zu Säugetier weitergeben werden kann, kann vielleicht auch leichter die Barriere zum Menschen überwinden."
Infizierten sich bisher Menschen mit H5N1, hatten sie sich über engen Kontakt zu infiziertem Geflügel angesteckt - und die Infektion in der Regel auch nicht auf andere Menschen weitergegeben.
Weltweit haben sich mit der derzeit zirkulierenden Variante von H5N1 seit 2020 sieben Menschen angesteckt, eine Person verstarb, zwei erkrankten schwer, die anderen hatten keine oder nur sehr milde Symptome. "Zu einer Weiterverbreitung durch Übertragung von Mensch zu Mensch kam es bislang nicht", so das FLI. Und auch die WHO stuft das Risiko von H5N1 für den Menschen derzeit noch als niedrig ein.
Die Sterblichkeit dürfte bei der aktuellen Virusvariante auch geringer sein als früher. Das aktuelle Virus ist nicht das "klassische" H5N1 ab 2003, sondern eine andere Linie, schreibt der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer auf Twitter: Dies bedeute, dass man nicht einfach die 50-Prozent-Sterblichkeit der knapp 900 bisherigen Infektionen (bei Menschen, Anm.) übernehmen könne. Aktuell liege sie etwa bei 15 Prozent, "allerdings auf Basis weniger Fälle".
Dies sei einerseits eine gute Nachricht, sagt Thomas Mettenleiter, Präsident des FLI, zu zeit.de. Unter dem Strich aber könnten viele leichte Verläufe sogar gefährlicher sein: "Weil das Virus beginnen kann, sich auszubreiten, ohne dass wir es wissen - und es so noch mehr Chancen hat, sich an den Menschen anzupassen."
Virologen sind jedenfalls beunruhigt: Für Isabella Eckerle von der Universität Genf ist die dringendste Maßnahme gegen neuen Viren eine "massive Einschränkung von Wildtierhandel/Wildtier-Nutzung, allen voran Pelzfarmen von Risikoarten wie Marderhunden & Nerzen. Diese mögen nicht im eigenen Land sein, aber Pelzbesatz der eigenen Kapuze finanziert sie", schreibt sie auf Twitter.
Sorgen bereitet aber auch die steigende Zahl von Infektionen bei Vögeln: "Derzeit grassiert in mehreren Erdteilen die größte je dokumentierte Vogelgrippewelle bei Vögeln", heißt es in der Süddeutschen Zeitung. "Sind mehr Viren im Umlauf, werden Mutationen wahrscheinlicher. Zudem bekommt der Erreger mehr Gelegenheit, auf Säugetiere überzugehen."
Mehr Fälle bei Vögeln auch in Österreich
Deutlich steigende Infektionszahlen bei Vögeln gibt es auch in Österreich. "In jüngster Zeit haben wir in Österreich zahlreiche neue Fälle von Geflügelpest bei Wildvögeln, aber auch in einzelnen Geflügelbetrieben bestätigt", heißt es bei der österreichischen AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). "Von einer baldigen Entspannung der Situation ist daher nicht auszugehen."
Virologin Eckerle rät dringend: "Keine toten oder kranken Vögel anfassen. Kindern erklären, dass das gefährlich ist und Haustiere davon fernhalten. Solche Funde beim zuständigen Veterinäramt melden!"
"Vogelgrippe: Mehrere Fälle bei Wildvögeln in Wien und NÖ"; "Neue Fälle in Salzburg und Oberösterreich"; "Nun auch bestätigte Fälle in Tirol": Derartige Meldungen häuften sich in den vergangenen Wochen in Österreich. Die "Gebiete mit stark erhöhtem Geflügelpestrisiko" wurden vom Gesundheitsministerium ausgeweitet. Die Bundesländer Oberösterreich und Wien gelten jetzt zur Gänze als Gebiete mit erhöhtem Risiko. In diesen Regionen muss Geflügel in Betrieben mit 50 oder mehr Tieren bis auf weiteres in geschlossenen oder zumindest überdachten Stallungen gehalten werden. "Im aktuellen Seuchengeschehen sind Erkrankungen nach Infektionen mit H5N1 in Europa beim Menschen bis jetzt nicht nachgewiesen worden", heißt es bei der AGES.
Beispiellose Epidemie
"Wir erleben zurzeit in Europa eine Epidemie (bei Vögeln, Anm.) mit H5N1-Viren, die beispiellos ist", heißt es beim Institut für Virologie und Immunologie (IVI) in Bern.
Für Experten haben sich zwei Dinge verändert:
- "Anders als in den Vorjahren wurde das derzeit dominierende Geflügelpestvirus H5N1 nicht mit dem Herbstvogelzug nach Europa eingetragen, sondern resultiert aus Geflügelpest-Viren, die seit 2020/21 in Europa ansässig blieben", schreibt das FLI. Ähnlich Barbara Wieland, Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) in Bern: "Seit 2021 hat sich das Virus in ganz Europa den ganzen Sommer über gehalten. Die Fälle hören gar nicht mehr auf", sagte sie zur Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
- Und die Infektionen bei Wildvögeln nehmen zu: "Seit letztem Jahr beobachten wir ein verstärktes Massensterben von Wildvögeln, die in Kolonien brüten, darunter viele bedrohte Arten", sagt Wieland.
Die Eigenschaften dieses Virus müssten jetzt im Einzelnen weiter untersucht werden, um etwaige Anpassungen in Richtung Übertragbarkeit auf den Menschen im Auge zu behalten", betont man beim Friedrich-Löffler-Institut. Und die Gesellschaft für Virologie schreibt von "besorgniserregenden Veränderungen des Virus in den vergangenen Jahren."
Derzeit gibt es einen in der EU zugelassenen Impfstoff, der jedoch auf einem antiquierten Virusstamm basiert. "Modernere Impfstoffe sind aber verfügbar und werden bereits in Nordafrika und Asien eingesetzt", schreibt das FLI. In Europa sind sie allerdings bisher nicht von der Europäischen Arzneimittelbehörde zugelassen.
Wie gut sie allerdings gegen eine Virusvariante wirken würden, die von Mensch zu Mensch übertragbar ist, lässt sich nicht sagen. Und die derzeit verfügbaren Impfstoffkandidaten basieren bis auf einen auf der Methode, das in Virus in Hühnereiern anzuzüchten - so wie bei den meisten konventionellen Grippeimpfstoffen das derzeit auch noch der Fall ist. Das Problem dabei ist nur, wie die Zeit schreibt: "Eier sind gerade Mangelware - wegen der Vogelgrippe."
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