Neue Diskussion: Wie groß ist der Nutzen von Masken tatsächlich?
Die Diskussion um den Schutzeffekt von Masken scheint - auch nach drei Jahren Pandemie - eine unendliche zu sein, die, so wie das Coronavirus, wellenartig immer wieder hochkommt. Diesmal ist es eine Überblicksstudie ("Review") des unabhängigen Forschungsnetzwerks Cochrane, die in den sozialen Medien stark verbreitet wird.
Sie sei der "härteste Schlag" gegen die Corona-Politik des deutschen Gesundheitsministers Karl Lauterbach, schreibt etwa welt.de. Die neue Analyse kommt zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von Masken gegen die Virusausbreitung nicht nachgewiesen sei. Maskengegner fühlen sich bestärkt, doch viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter weisen Interpretationen, dass Masken unwirksam seien, zurück.
Selbst Cochrane Deutschland hat jetzt versucht, in einer Stellungnahme "allzu weitreichenden Deutungen vorzubeugen, wie sie bereits in den sozialen Medien" kursieren. Denn die Autorinnen und Autoren selbst betonen, dass man "bei der Interpretation dieser Ergebnisse allerdings die Einschränkungen und Fehlerquellen der zugrundeliegenden Studien bedenken" müsse. Ein Überblick über die wichtigsten Argumente in der neuen Maskendebatte.
Das renommierte internationale Forschungsnetzwerk Cochrane versucht, durch systematische Übersichtsarbeiten den Wissensstand auf verschiedenen Gebieten zu erheben. Der Themenbereich "Physikalische Interventionen zur Unterbrechung oder Verringerung der Ausbreitung von Atemwegsviren" wird bereits seit 2007 unter der Leitung des Epidemiologen Tom Jefferson von der Universität Oxford bearbeitet. Die im Jänner 2023 erschienene Analyse ist bereits die vierte Aktualisierung des ursprünglichen Reviews.
Insgesamt wurden dafür die Daten von 78 Studien ausgewertet - diese Zahl betrifft aber Studien zu allen physikalischen Maßnahmen zur Vireneindämmung, also etwa auch Hygienemaßnahmen wie Händewaschen, oder Isolations- und Abstandsregeln. "Zum Nutzen von Gesichtsmasken kamen zu den neun Studien der letzten Version (November 2020) lediglich drei weitere Studien hinzu", heißt es in der Cochrane-Stellungnahme. Nur zwei haben einen direkten Bezug zu Covid-19.
Als Kernaussage zum Thema Masken formulieren die Autorinnen und Autoren folgenden Satz: "Auf der Grundlage der von uns ausgewerteten Studien sind wir uns nicht sicher, ob das Tragen von Masken oder N95/FFP2‐Atemschutzmasken dazu beiträgt, die Verbreitung von Atemwegsviren einzudämmen."
Weiterführend stellen sie fest: Das Tragen einer medizinischen (chirurgischen) Maske in der Allgemeinbevölkerung habe möglicherweise nur einen geringen oder gar keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Erkrankungen mit Grippe oder Covid.
Vergleiche man die chirurgischen Masken mit einer FFP2-Maske, dann mache das Tragen von FFP2-Masken "wahrscheinlich nur einen geringen oder gar keinen Unterschied bei der Zahl der bestätigten Grippeerkrankungen ... und möglicherweise auch nur einen geringen oder gar keinen Unterschied bei der Zahl der grippeähnlichen Erkrankungen ... oder Atemwegserkrankungen."
Allerdings weisen die Autorinnen und Autoren selbst auf Einschränkungen und Fehlerquellen der analysierten Studien hin. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme von Cochrane Deutschland: "Die meisten Studien sind älteren Datums und beziehen sich auf die Übertragung von Influenza- und anderen Erkältungsviren, Studien aus der Corona-Pandemie bleiben in der Minderzahl."
Als weitere Fehlerquellen führt Cochrane Deutschland in seiner Aussendung Mängel im Studiendesign an und eine unzureichende Aussagekraft einiger Studien, weil diese während Zeiten mit einer geringen Viruszirkulation durchgeführt wurden. In der Studie selbst heißt es: "Die Anzahl der Menschen, die den Anweisungen zum Tragen von Masken oder zur Handhygiene folgten, war relativ gering. Dies könnte die Ergebnisse der Studien beeinflusst haben."
"Die Autorinnen und Autoren bemängeln insgesamt einen frustrierenden Mangel an aussagekräftigen Studien", schließt die Cochrane-Aussendung zur Studie. Zur Frage, wie gut Masken tatsächlich vor dem Corona-Virus schützen, seien dringend weitere große Studien notwendig.
Kritische Stimmen
"Die Cochrane-Studie ist wenig aussagekräftig", sagt Eberhard Bodenschatz, Professor für Physik und Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, in einem Interview mit der deutschen Presseagentur dpa, das unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht ist. Ein großes Problem der Studie sei, dass sie verschiedene Atemwegserkrankungen wie etwa Corona und normale Grippe zusammenführe.
"Unsere Studien haben eindeutig gezeigt, dass Masken physikalisch ein wunderbarer Schutz sind", sagt Bodenschatz. Sie verbesserten den Infektionsschutz mindestens um den Faktor zehn bis hundert. Die verschiedenen Einzelstudien seien nicht vergleichbar.
"Wissenschaftlich ist völlig klar: Masken funktionieren", sagte Bodenschatz auch in einem Interview mit zeit.de. "Indem sie größere und kleinere Tropfen, aber auch die sehr kleinen Aerosole zurückhalten, senken sie das Übertragungsrisiko, da gibt es keinen Zweifel."
Tragen eine nicht-infizierte und eine infizierte Person gut sitzende FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten demnach selbst auf kürzeste Distanz in einem Raum kaum mehr als ein Promille, ergab eine Ende 2021 veröffentlichte Studie, an der Bodenschatz beteiligt war.
Auch Mathias Pletz, Leiter des Instituts für Infektiologe und Krankenhaushygiene an der Universitätsklinik Jena, ist kritisch. "Es gibt einige andere Metastudien, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen", sagte er tagesschau.de.
Unbekannte Faktoren
Doch wenn die physikalische Wirksamkeit von Masken belegt ist, wieso kommt dann die Cochrane-Studie zu keinem eindeutigen Ergebnis? Das hängt mit den von den Autoren selbst angeführten Einschränkungen der Ausgangsstudien zusammen: In diesen wurde nicht erhoben bzw. kontrolliert, ob die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ihre Masken wirklich regelmäßig und korrekt trugen. Bodenschatz: "Es gibt zu viele unkontrollierte und zum Teil auch unbekannte Faktoren, die sich auf die Ergebnisse auswirken."
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Autoren Daten zu Influenza und Corona nicht getrennt auswerteten. Zwar werden beide Krankheitserreger auch durch winzie Tröpfchen, Aerosole, beim Sprechen ausgeatmet. "Doch ob bei beiden Viren und ihren diversen Stämmen und Varianten Aerosole eine gleich starke Rolle bei der Übertragung spielen, ist offen", schreibt zeit.de.
Insgesamt geht es bei dieser Diskussion immer um den Effekt von Masken auf Ebene der jeweiligen Gesamtbevölkerung. Auch Cochrane Deutschland schreibt: "Wenn ein solches Studiendesign jedoch keine Belege für einen Nutzen erbringt, widerlegt dies keineswegs, dass eine konsequent und korrekt getragene Gesichtsmaske im Einzelfall einen bedeutsamen Effekt auf das individuelle Infektionsrisiko haben könnte."
"Für den einzelnen ändert sich durch diese Studie nichts", erklärt deshalb Bodenschatz. Das richtig getragene Masken vor Atemwegsviren wirksam schützen können, sei wissenschaftlich belegt. "Wer auch nach dem Ende der Maskenpflicht sein Infektionsrisiko senken will, kann das mit einer gut sitzenden Maske tun."
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