Spenderlunge nach Covid: Wenn Menschen ein neues Leben bekommen
Mai 2020: Ein Team der Klinik für Thoraxchirurgie von AKH und MedUni Wien transplantiert einer 44-jährigen Kärntnerin eine Lunge. Sie war die erste Patientin mit Lungenversagen nach Covid-19 in der westlichen Welt, die eine neue Lunge erhielt. Mittlerweile wurden an der Klinik bereits 24 derartige Eingriffe durchgeführt – ein Spitzenwert. In ganz Europa sind es rund 40, in Nordamerika 100, berichtet Klinikleiter Konrad Hötzenecker.
KURIER: Wie geht es der ersten Patientin – und auch allen anderen?
Konrad Hötzenecker: Der ersten Patientin aus Kärnten geht es sehr gut, was die Lunge betrifft, hat sie gar keine Probleme mehr. Sie kann wieder ihr normales Leben leben. Das gilt auch für die meisten der anderen Patienten. Alle, die diesen sehr komplexen Eingriff überleben, haben eine sehr gut Langzeitprognose. Einen Großteil der Patienten, die ohne die Transplantation sterben würden, können wir retten.
Wer sind diese Patienten?
Die 24 Transplantierten hatten alle das Krankheitsbild eines Post-Covid-Lungenversagens, waren intubiert und mindestens vier bis sechs Wochen an der ECMO, der Herzlungenmaschine. Dabei wird Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert. Mehrere CT-Untersuchungen haben einen irreversiblen Lungenschaden nachgewiesen. Die jüngste Patientin war 34, der älteste 65 – das ist unser Alterslimit. Das Durchschnittsalter beträgt 55 Jahre. 80 Prozent waren männlich.
Darüber hinaus gab es noch einige Patientinnen und Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung, die zusätzlich eine Covid-Pneumonie entwickelt haben, die ihren Krankheitsverlauf beschleunigt hat. Aber die zählen wir eigentlich gar nicht nicht zu den Covid-Transplantationen dazu.
Wien war ja bisher schon eines der weltweit führenden und größten Lungentransplantationszentren. Was ist jetzt anders?
Bisherige Hauptindikationen für eine Lungentransplantation waren Lungenfibrosen (Vernarbungen der Lunge unklaren Ursprungs), dann die chronische Lungenerkrankung COPD, meistens ein Spätschaden des Rauchens, und die erbliche Stoffwechselkrankheit cystische Fibrose. Diese Patienten kommen in der Regel in einem stabilen Zustand – zwar versorgt mit Sauerstoff, aber selbstständig gehend – zur Operation. Die meisten halten sich zu Hause zum Beispiel mit Therabändern fit und können alleine kleinere Besorgungen machen.
Die Covid-19-Patienten hingegen waren unmittelbar vor der Transplantation mindestens vier bis sechs Wochen an der künstlichen Lunge, vielfach im Tiefschlaf. Und nach dem Eingriff sind sie zumindest ein Monat, oft auch zwei bis drei Monate auf der Intensivstation. Nicht-Covid-Transplantationspatienten hingegen verlassen die Intensivstation nach drei bis sieben Tagen.
Und die Transplantation selbst: Gibt es da auch Unterschiede?
Covid-Patienten zu transplantieren ist enorm aufwendig. Eine bisherige Standardtransplantation dauert vier bis sechs Stunden, jene bei Covid-19-Patientinnen und Patienten zumindest acht bis zwölf Stunden. Durch die entzündlichen Prozesse, die in der und rund um die Lunge stattfinden, sind die Gewebestrukturen teilweise aufgeweicht, man sieht die Abgrenzungen des Lungengewebes schlecht, es gibt starke Verwachsungen. Oft blutet es bei jeder Berührung. Das erschwert es extrem, das Operationsfeld sauber zu halten.
Wir hatten Patienten, bei denen wir das Blutvolumen während der Transplantation mehrfach ausgetauscht haben. Das ist schon für einen jungen, gesunden Körper eine enorme Belastung. Für einen Patienten, der zuvor mehrere Wochen auf einer Intensivstation gelegen ist, ist das fast nicht zu überleben.
Wir haben für diese Transplantationen auch eigene Richtlinien ausgearbeitet, die mittlerweile internationaler Standard sind.
Unterscheidet sich eine Lunge eins Covid-Transplantationspatienten von jenen der anderen?
Die „Covid-Lungen“ sind vor der Transplantation in einem viel schlechteren Zustand. Es gibt mehrere Schädigungsmuster. Die für uns am einfachsten zu handhabende ist die Post Covid Lungenfibrose, ein Umbau des Lungengewebes in narbiges Bindegewebe. Wenn eine Lunge nur noch mit Narben durchzogen ist, kann kein Gasaustausch mehr stattfinden und kein Sauerstoff mehr ins Blut gelangen. Das sind die eher einfach zu transplantierenden Lungen.
Dann gibt es durch die Infektion und Entzündungsreaktion komplett zerfallene und zersetzte Lungen, mit Verschlüssen der Lungenarterien, die auch zu einer Herzbelastung führen. Das schaut schlimmer aus als eine COPD- bzw. „Raucher“-Lunge. Wir sehen Lungen, bei denen erinnert nichts mehr an das ursprüngliche Organ. Und es gibt vernarbte Lungen, die sind so hart wie ein Stück Styropor, da geht keine Luft mehr hinein. Viele dieser Lungen sind komplett zerstört.
Sehen Sie derartige Schädigungen auch nach einer Influenza?
In absoluten Ausnahmefällen. Ganz selten ist ein akutes Lungenversagen als Folge einer Influenza-Infektion ein Grund für eine Lungentransplantation, das waren in den vergangenen Jahren vereinzelte Fälle. Aber wir hatten noch nie eine Influenzawelle, in der es so viele Influenza-Patienten auf Intensivstationen gegeben hätte, die einen Lungenersatz brauchten, wie jetzt Covid-Patienten. Das kann man nicht vergleichen.
Ist durch Covid die Gesamtzahl der Transplantationen gestiegen?
Ja, es gibt eine Zunahme des Transplantationsvolumens. Erfreulicherweise gehen durch neue Therapien die Transplantationen mit der Indikation cystische Fibrose zurück. Trotzdem ist durch Covid die Zahl der jährlichen Operationen gestiegen. Im langjährigen Schnitt sind es knapp unter 100, im vergangenen Jahr hatten wir 114.
Wie sieht es mit dem Impfstatus der Transplantierten aus?
Unsere bisherigen Patienten stammen aus den ersten drei Wellen, sie hatten alle vor ihrer Erkrankung noch keinen Zugang zu einer Impfung. Für Erkrankte der vierten Welle haben wir aus ganz Österreich schon einige Anfragen für Transplantationen bekommen – das waren durchwegs Ungeimpfte, die sich bewusst so entschieden haben. Es war aber noch kein Patient dabei, der die Kriterien für eine Transplantation erfüllt hat.
Müssen Sie viele Patienten ablehnen? Und warum?
Ja, rund 80 Prozent. Wenn ein Patient neben der Lunge auch massive Probleme mit anderen Organen hat wie der Niere oder Leber, ist es nicht sinnvoll, die Lunge zu transplantieren. Wir müssen ja gegenüber der Transplantationszentrale Eurotransplant den Einsatz jedes einzelnen Organs rechtfertigen.
Manche Patienten sind aber auch zu alt, oder es sind Patienten, bei denen wir noch eine Chance sehen, dass sich ihre Lunge regeneriert. Erst nach vier bis sechs Wochen an der ECMO wissen wir definitiv, ob es noch eine Chance zur Erholung der Lunge gibt. Aber natürlich gibt es auch Patienten, denen es so schlecht geht, dass wir früher handeln müssen.
Ist der Impfstatus ein Kriterium?
International wird das in der Fachwelt durchaus kontroversiell gesehen, ob man nicht Geimpften eine Lunge transplantieren soll – schließlich sind Spenderorgane ein sehr seltenes und wertvolles Gut. Bei unseren Entscheidungen für oder gegen eine Transplantation spielt der Impfstatus aber keine Rolle.
Schließlich werden die Patienten ja auch bis zur Transplantation maximal therapiert. Wir diskutieren ja auch nicht, ob Menschen, die früher einmal geraucht haben, eine neue Lunge bekommen dürfen oder nicht.
Wie belastend ist die Situation für Sie und Ihr Team?
Natürlich sind wir am Limit und müde. Aber das Schöne und Befriedigende an dieser Arbeit ist, dass diese Menschen eine zweite Chance, ein neues Leben bekommen. Den Tag der Transplantation feiern sie wie einen Geburtstag.
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