Puchhammer-Stöckl: "Breiter Virusbefall von Zellen sehr ungewöhnlich"
"Gesicht der Corona-Aufklärung", "Hugo Portisch der Virologie": Diese Attribute erhielt Elisabeth Puchhammer-Stöckl, die Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien,von Journalisten für ihre Aufklärungs- und Vermittlungsarbeit während der Corona-Pandemie. Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zeichnete die 58-Jährige Wiener Virologin dafür als "Wissenschafterin des Jahres 2020" aus.
KURIER: Frau Dr. Puchhammer-Stöckl, als im Dezember 2019 die ersten Meldungen über das gehäufte Auftreten schwerer Lungenentzündungen in Wuhan bekannt wurden – hätten Sie damals gedacht, dass dies der Anfang einer Pandemie ist?
Elisabeth Puchhammer-Stöckl: Nein, nach den ersten, eher noch diffusen Meldungen im Dezember hätte niemand von uns gedacht, dass es sich um ein Coronavirus handelt, das zur größten Viruspandemie seit hundert Jahren führen würde. Auch hat zu diesem Zeitpunkt niemand geahnt, dass das Virus auch bereits in Europa zirkuliert, was ja später Abwasseranalysen aus Turin und Mailand vom Dezember 2019 und Studien mit Patienten in Frankreich gezeigt haben. Schließlich gibt es immer wieder Meldungen über kleinere Ausbrüche verschiedener viraler Infekte, meist ausgelöst von Influenzaviren. Zuerst hieß es ja auch seitens China, es sei alles unter Kontrolle. Aber es wurde bald klar, dass doch mehr dahintersteckt.
Hätten Sie eher erwartet, dass ein Influenza-Virus die nächste Pandemie auslöst?
Weil es in China in den vergangenen Jahren öfter kleine Ausbrüche mit Vogelgrippeviren gab, war die öffentliche Aufmerksamkeit wahrscheinlich mehr darauf ausgerichtet. Aber für Virologen war immer klar, dass sowohl Coronaviren als auch Influenzaviren die größten Potenziale für eine Pandemie haben. Wir haben eigentlich immer an beiden Virenfamilien gedacht.
Hat man die Gefahr unterschätzt?
Die Welt hatte großes Glück, dass es 2002/2003 gelang, durch internationale Kooperation die SARS-1-Pandemie rasch unter Kontrolle zu bekommen. SARS 1 war noch wesentlich gefährlicher, die Mortalität lag bei rund zehn Prozent, bei SARS 2 sind es rund 0,3 bis 0,7 Prozent. Das Schweinegrippevirus H1N1 wiederum hat sich dann zum Glück als nicht so pathogen, krankmachend, herausgestellt, wie dies nach den ersten Berichten aus Mexiko befürchtet wurde. Und auch die Impfung war sehr rasch da, weil man auf das Wissen mit den vorhandenen Influenza-Impfstoffen aufbauen konnte. Wenn also jahrzehntelang keine wirklich schwere Pandemie auftritt, macht man sich vielleicht auch weniger Sorgen – vor seltenen Ereignissen hat man einfach weniger Angst. Andererseits war uns sehr wohl bewusst, dass es jederzeit zu einer neuerlichen Pandemie kommen kann. Und es gab auch in praktisch allen Ländern Pandemiepläne.
Ein Jahr danach weiß man viel über die Eigenschaften des neuen Virus. Gibt es etwas, was Sie besonders überrascht hat?
Was mich wirklich überrascht hat, ist dieser breite Befall verschiedener Zellen – nicht nur jener in der Lunge und den oberen Atemwegen, sondern auch anderer Organe, wie etwa jener des Darms, was bei einem Teil der Patienten schwere Darmprobleme zur Folge hat. Die Geruchs- und Geschmacksstörungen deuten wiederum auf eine Beeinträchtigung von Nervenzellen hin – das passt so gar nicht in das Bild anderer Virusinfektionen hinein. Wie das neue Coronavirus offenbar Riechzellen schädigt, das ist einer der im Detail noch ungeklärten Mechanismen von Infektionen mit dem neuen Coronavirus, den wir von anderen Virusinfektionen der Atemwege und auch von anderen Coronaviren nicht kennen. Insgesamt ist die große Bandbreite an Symptomen sehr ungewöhnlich. Ebenso wie die Langzeitfolgen, dass viele Patienten oft über Monate hinweg so müde und erschöpft sind.
Sie haben in einem Artikel 2020 als „unsagbar intensive und arbeitsreiche Zeit“ bezeichnet. Wie war das genau?
Es hat bereits im Jänner begonnen – unser Institut ist ja auf die Diagnose seltener Virusinfektionen spezialisiert und wir waren die ersten in Österreich, die im Jänner bereits den PCR-Test zum Nachweis des neuen Virus etabliert hatten – da war ja noch nicht einmal klar, ob das Virus wirklich nach Europa kommt. Wir sind dann mit Proben aus ganz Österreich überhäuft worden, bis dann auch andere Labore diese Tests eingerichtet hatten – viele haben wir dabei unterstützt und mit Qualitätskontrollen begleitet. Dann gab es unglaublich viele Anfragen, wie man unter sicheren Bedingungen z. B. Orchesterproben organisieren kann, eine Bibliothek betreiben kann, etc. Wir haben versucht, alle zu unterstützen. Hinzu kam noch die Politikberatung und unzählige Medienanfragen – es waren Sieben-Tage-Wochen, fast ohne Pausen.
Hat die Politik auf Ihre Expertise gehört?
Vor allem in den ersten Monaten der Pandemie hatte ich ganz stark das Gefühl, dass die Politik zuhört, was die Wissenschafter zu sagen haben. Da war auch die Expertise der Virologen besonders wichtig. Derzeit stehen eher die Modellierer, die das Ausbereitungsgeschehen berechnen, im Vordergrund, ebenso die Impfexperten. Ich habe schon den Eindruck, dass seitens der Politik nach wie vor zugehört wird. Was dann wirklich beschlossen wird, erfahren wir meistens dann aber auch erst aus den Medien.
Ist Ihr Team angesichts der Belastung zur Forschung, zur wissenschaftlichen Arbeit gekommen?
Mit großem persönlichen Einsatz ist uns gelungen, ja. Meine Forschungsgruppe etwa konnte einen genetischen Faktor ausfindig machen, der eine Rolle dabei spielt, ob man schwer oder leicht erkrankt. Ein Teil unseres angeborenen Immunsystems ist die Immunität direkt an der Schleimhaut – dringt ein Krankheitserreger ein, werden natürliche Killerzellen aktiviert. Wir konnten zeigen, dass genetische Unterschiede in der DNA der Killerzellen eine Rolle spielen, wie effektiv Rezeptoren an der Oberfläche der Killerzellen an mit dem Coronavirus infizierte Zellen binden können und dieses zerstören können.
Fehlt ein ganz bestimmter Genabschnitt – wir sprechen von einer Deletion –, ist das Risiko für schwere Erkrankungen größer. Das ist sicher nicht der einzige genetische Faktor, der dabei eine Rolle spielt, aber einer der entscheidenden. Diese Arbeit ist bereits von einem renommierten wissenschaftlichen Journal angenommen und wird demnächst veröffentlicht werden.
Die beiden großen virologischen Institute in Wien und Innsbruck werden von Frauen geleitet. Ist die Virologie weiblich?
In Österreich ist es so, international aber gar nicht. Bei uns hat es damit zu tun, dass bereits der Gründer unseres Institutes, der renommierte Virologe Christian Kunz – der Erfinder des FSME-Impfstoffes – keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern gemacht hat. Im Gegenteil: Er hat Frauen immer gefördert und motiviert, Beruf und Familie zu vereinen. Ich war die erste Frau an unserem Institut, die bald nach der Geburt der Kinder weiter in Teilzeit gearbeitet hat. Mir sind etliche gefolgt – mittlerweile übrigens auch die Väter.
Bei uns gibt es wirklich jede Arbeitszeitvariante: 18, 20, 24 oder 36 Stunden zum Beispiel. Manche fangen zeitig in der Früh an, manche erst später – Frauen und Männer. Wir versuchen im gemeinsamen Gespräch, für jede und jeden eine optimale Lösung zu finden. Das motiviert alle und hilft, auch in der Forschung am Ball zu bleiben. Natürlich ist das Tempo dann für einige Jahre langsamer, aber das macht nichts. Ich habe die Forschung in meinem ganzen Berufsleben nie beendet, weil das Umfeld im Institut gepasst hat. Das zu fördern, ist mir ein großes Anliegen.
Ihr persönlicher Ausblick für 2021?
Die kommenden Monate werden sicher noch ziemlich schwierig – ein Teil der Gesellschaft wird durch die Impfung und zumindest für eine gewisse Zeit auch durch eine durchgemachte Erkrankung bereits geschützt sein, ein Teil aber noch nicht. Das wird noch eine Herausforderung. Aber gegen Herbst hin wird sich dank der Impfungen die Situation ziemlich verbessern. Vielleicht werden wir noch nicht unsere alte Normalität zur Gänze zurückhaben – aber doch zumindest zu einem großen Teil.
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