Omikron: Warum gibt es jetzt so viele Erst- und auch Zweitinfektionen?
"Jetzt hat mich das Coronavirus nach zweieinhalb Jahre Pandemie erstmals auch erwischt", sagt die eine. Und der andere antwortet: "Und mich bereits zum zweiten Mal." Doch warum ist das so? Warum infizieren sich momentan so viele erstmals, und warum gibt es auch so viele Zweit- und Drittinfektionen?
Auch sehr viele grundsätzlich vorsichtige Personen erkranken derzeit in der BA.5-Welle an Covid-19. "Es spielen da viele Gründe mit hinein", sagt Florian Thalhammer, Infektiologe am Wiener AKH / MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT), zum KURIER. "Mein Eindruck ist, dass es besonders Personen betrifft, deren dritte Impfung mehr als sechs bis sieben Monate zurückliegt." Viele hatten ihre dritte Impfung im Oktober bzw. November, seither sind rund acht Monate vergangen. "Wir wissen heute, dass zwar der Schutz vor schweren Erkrankungen hoch bleibt, aber der Schutz vor Infektionen bereits einige Wochen nach der Impfung deutlich zurückgeht."
Hinzu komme, dass BA.5. die bisher infektiöseste Omikron-Subvariante ist und einen bisher aufgebauten Immunschutz durch Impfungen und Infektionen am besten umgehen kann. "Und natürlich sind jetzt im Sommer auch die Vorsichtigen nicht mehr ganz so vorsichtig, legen angesichts der Hitze die Maske öfter ab und so weiter. Aber in der nachlassenden Immunität durch die immer länger zurückliegenden Impfungen sehe ich den Hauptgrund."
Auf einen Schutz durch frühere Infektionen kann man nicht bauen, betont Thalhammer: "Auch Geimpfte, die sich mit BA.2 infiziert hatten, können sich jetzt mit BA.5 infizieren. Zwei BA.5-Infektionen hintereinander habe ich aber noch nicht gesehen." Und für eine Delta-Infektion gelte das noch viel mehr, dass sie keinen Schutz vor BA.5 biete.
Dabei kommen solche neuerlichen Infektionen bei Ungeimpften öfter vor. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien (MA 15) berichteten kürzlich im Journal of Infection von 242 "raschen Reinfektionen" mit verschiedenen Omikron-Subvarianten oder auch derselben. Von dieser Personengruppe waren 76 Prozent ungeimpft und nur 24 Prozent hatten zumindest eine Impfdosis (von diesen wiederum hatten 79 Prozent auch eine zweite und 16 Prozent eine dritte Dosis). Das durchschnittliche zeitliche Intervall zwischen den Infektionen betrug 47 Tage.
Keiner der Dreifachgeimpften hatte in dieser Erhebung eine symptomatische Erstinfektion, nur vier Prozent der symptomatischen Reinfizierten waren dreifach geimpft.
Thalhammer: "Wir haben im AKH drei ungeimpfte Mitarbeiter, die haben keine Virusvariante ausgelassen und waren bereits vier Mal infiziert." Dass Reinfektionen automatisch immer milder verlaufen als die vorangegangene Infektion, könne er so nicht bestätigen. "Wir sehen jetzt BA.5-Infizierte mit wirklich massiven Halsschmerzen und Schmerzen am ganzen Körper, deren BA.2-Infektionen milder verlaufen sind. Und im Gegensatz zu BA.2 ist bei BA.5 nicht die rinnende, sondern die verstopfte Nase vorherrschend."
Das britische Statistikamt ONS hat ausgewertet, wie häufig es bei den jeweiligen Varianten zu Reinfektionen gekommen ist:
Demnach ist das Risiko einer neuerlichen Infektion mit dem Coronavirus in der Omikron-Welle um das Fünffache höher als in der Delta-Welle.
Raschere Zweitinfektionen bei BA.5?
Bei BA.4./BA.5 kann es offenbar auch schneller zu einer neuerlichen Ansteckung kommen. Ein Komitee des australischen Gesundheitsministeriums stellte erst kürzlich in einem Statement fest, dass Reinfektionen bereits ab 28 Tagen nach der Genesung von einer früheren Covid-19-Infektion auftreten können. Ab diesem Zeitpunkt sollte man mittlerweile von einer Reinfektion sprechen. Früher betrug der Abstand, ab dem man in Australien von einer Reinfektion sprach, drei Monate. In Österreich sind es derzeit zwei Monate, sollte nach der ersten Infektion kein früherer negativer PCR-Test vorliegen.
"Rasche Reinfektionen gab es meist bei Ungeimpften oder unvollständig Geimpften", so auch die Autoren der Wiener Untersuchung.
Fazit der Erhebung des Wiener Gesundheitsamtes: "Die derzeitige Evidenz zeigt, dass eine viel raschere Reinfektionsrate möglich ist als 60 Tage und dass mehrfache Infektionen nicht notwendigerweise zu asymptomatischen Verläufen führen".
Warum infiziert sich der eine, der andere nicht?
Viele fragen sich auch, warum in einem Fall bei einer Veranstaltung in einem Innenraum eine infizierte Person trotz engen Kontakts über mehrere Stunden niemanden anderen ansteckt - und in einem anderen Fall mehrere Personen infiziert werden.
Thalhammer: "Zu einem guten Teil ist das Kismet, ein Schicksal, dem man nicht entgehen kann." Aber natürlich gebe es beeinflussende Faktoren:
- Einerseits die Virenmenge, die der oder die Infizierte ausstößt, und die man aufnimmt, auch abhängig von Umgebungsbedingungen wie etwa der Luftströmung.
- Die individuelle Immunität durch bisherige Impfungen und Infektionen.
- Und zumindest bei einem Teil möglicherweise auch bestimmte genetische Faktoren, die das individuelle Infektions- und Erkrankungsrisiko senken könnten.
Denkbar sei auch, dass manche, vor allem geimpfte Menschen, wiederholt kleine Virenmengen abwehren und damit ihren Immunstatus verbessern konnten. "Bei Covid-19 ist das noch nicht erwiesen, aber wir kennen das von verschiedenen Erkältungsviren, dass regelmäßige asymptomatisch Infekte die Erkrankungshäufigkeit reduzieren können."
Zusätzlicher Schutz durch vierte Impfung
Erwiesen sei mittlerweile durch mehr und mehr Daten, dass die vierte Impfung das Risiko schwerer Erkrankungen (und auch von Todesfällen) weiter reduziert - in geringerem Ausmaß auch bei Unter-60-Jährigen. "Den größten Unterschied macht der Sprung von ungeimpft zu geimpft aus. Aber jede weitere Impfung bisher trägt dazu bei, das Risiko weiter zu senken."
Und Thalhammer rät auch, dass alle Personen, denen nach einem positiven PCR-Test ein antivirales Medikament angeboten wird, dieses auch annehmen sollten: "Man sollte die Therapie nicht ablehnen, weil man noch symptomlos ist. Das kann nach hinten losgehen." Ein Ersatz für eine Impfung seien sie nicht: "Aber sie können über den Schutz durch die Impfungen hinaus das Risiko schwerer Verläufe weiter senken."
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