Wieso es in diesem Sommer so viele Erkältungen wie noch nie gibt
Niesen und rinnende Nasen, Husten und Fieber: Viele leiden derzeit an Atemwegsinfektionen – oft handelt es sich um Corona, aber nicht immer: „Wir sehen derzeit eine Aktivität von respiratorischen Viren (Atemwegsviren, Anm.), die normalerweise um diese Jahreszeit nicht so prominent vertreten sind“, sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien. Also etwa Rhino- oder Adenoviren. Oder auch Enteroviren, die eine sogenannte „Sommergrippe“ mit Fieber, Husten und Schnupfen auslösen. Und auch Fälle der echten Virusgrippe (Influenza) sind bereits nachweisbar.
„Normalerweise sehen wir die Influenza um diese Jahreszeit nur bei Reiserückkehrern", sagt Redlberger-Fritz. Derzeit gebe es aber auch Fälle bei Menschen, die nicht verreist waren: „Und das ist eigentlich ungewöhnlich.“
Der Wiener Allgemeinmediziner Erwin Rasinger sagt: „Ich bin jetzt fast 40 Jahre Arzt, aber ich habe noch nie im Sommer so viele Erkältungskrankheiten mit Husten, Schnupfen, Hals- und Kopfweh gesehen.“
Für die Betroffenen sei es nicht möglich, zu unterscheiden, ob sie an Covid oder anderen Infektionen leiden.
"Normalerweise sagt man, die echte Virusgrippe hat diesen plötzlichen Krankheitsbeginn mit hohem Fieber, Husten, Schüttelfrost, Glieder- und Halsschmerzen", so Redlberger-Fritz. "Und die grippalen Infekte haben einen schleichenden Beginn mit viel Schnupfen und nur leicht erhöhte Temperaturen." Allerdings: "Covid-19 liegt genau dazwischen, es kann nämlich alle Symptome machen."
Immunsystem ist nicht geschwächt
Dass diese Erkrankungen jetzt so häufig sind, „hängt einfach damit zusammen, dass das Immunsystem in den vergangenen Jahren mit diesen Viren nicht in Berührung gekommen ist“. Das Immunsystem sei aber nicht geschwächt, es sei einfach nur das Training gegen diese Viren durch regelmäßigen Kontakt ausgeblieben, sagt Redlberger-Fritz: "Unser Immunsystem ist in den vergangenen Jahren mit diesen Viren nicht in Berührung gekommen und war damit nicht trainiert, sogenannte Kreuzprotekivitäten zu etablieren." Das heißt: "Hat man die Infektion einmal durchgemacht, hat man eine sehr gute Immunität gegen genau das gleiche Virus oder eben ein leicht verändertes Virus. Das Immunsystem wird dann bei der nächsten Infektion geboostert, ohne starke Symptome zu verursachen. Dieses Training ist einfach ausgeblieben in den vergangenen Jahren." Die Krankheitsverläufe bei den Erkältungen seien aber nicht schwerer oder anders als früher, betont Allgemeinmediziner Rasinger.
Er erklärt die derzeitige Situation so: „Durch die Corona-Maßnahmen wie Masken und Abstand halten ist die Abwehrkraft gegen diese saisonalen Infekte zurückgegangen.“ In der Delta-Welle sei das auch notwendig gewesen: „Sie war hochgefährlich und hatte eine dreimal höhere Mortalität als die Influenza.“ Jetzt aber sei sein Eindruck aus den Daten und seiner Erfahrung, dass das derzeitige Coronavirus „nicht gefährlicher ist als das Grippe-Virus“, sagt Rasinger: „Warum gibt es dann beim Corona-Virus Tests und Quarantäne, beim Grippe-Virus aber nicht?“ Er halte die Quarantäne mittlerweile für überflüssig: „Warum verhalten wir uns bei einem einzigen Virus so anders? Die Schweiz zum Beispiel tut das ja auch nicht.“
Redlberger-Fritz hingegen hält eine Aufhebung der Quarantäne zum jetzigen Zeitpunkt für zu früh: „Deshalb, weil noch zu viele Menschen gleichzeitig erkranken – und das verhindert man am besten mit der Quarantäne.“ Auch das Risiko von Long Covid dürfe man nicht unterschätzen – das sei ein Unterschied zur Influenza: „Früher oder später wird Covid wie die Grippe sein – aber noch sind wir nicht so weit.“
Wie die Grippe-Welle in der kommenden Saison wird, lasse sich jetzt noch nicht vorhersagen: "Das wird auch ganz stark davon abhängen, welche Hygienemaßnahmen bis dahin in Kraft sind", betont die Virologin: "Australien hatte eine starke Welle, die jetzt zurückgeht. Aber das war nicht überraschend, weil wir wissen, wenn einen Grippewelle ausfällt oder nur schwach auftritt, kommt sie doppelt so stark wieder retour - un das ist genau das, was man in Australien beobachten konnte."
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