Neue Mutationen: Wie SARS-CoV-2 trickst
Der Corona-Impfstoff manifestiert sich dieser Tage als Silberstreifen am Horizont. Just in diesem Moment ziehen dunkle Wolken am Pandemie-Himmel auf: In Großbritannien und Südafrika zirkulieren Mutationen von SARS-CoV-2, die Experten Sorgen bereiten.
Mit einer solchen Entwicklung sei zu rechnen gewesen, betont Virologe Norbert Nowotny von der Vetmeduni Wien: "Viren mutieren immer. Wir können nicht vorhersagen, in welche Richtung." Zwar ist es nicht im Sinne eines Erregers, tödlicher für seinen Wirt zu werden – "immerhin braucht er ihn ja für seinen Fortbestand". Weil Viren aber größtmögliche Verbreitung anstreben, sei es plausibel, dass sie eine höhere Infektiosität anvisieren.
Von Politik und Medien wird B.1.1.7, wie die neue Viruslinie genannt wird, meist als "Mutation" tituliert. Das ist nicht ganz zutreffend, erklärt Nowotny: "Eigentlich handelt es sich um eine neue Virus-Variante. Denn sie besteht aus mehreren Mutationen, unter anderem solchen, die das wichtige Spike-Protein betreffen, mit dem SARS-CoV-2 an menschliche Zellen andockt." Zellen könnten daher schneller und möglicherweise auch aggressiver befallen werden. Dass das Virus ansteckender geworden ist, jedoch keine schwereren Krankheitsverläufe bedingt, hat sich laut Nowotny sowohl in Laborexperimenten – also im künstlichen Setting – als auch im Feld bei epidemiologischen Beobachtungen der britischen Behörden gezeigt.
An ihnen lässt sich auch ablesen, dass sich B.1.1.7 dort, wo es im Süden Englands und später auch in London aufgetreten ist, gegenüber der zuvor zirkulierenden Variante durchgesetzt hat. Nowotny: "Damit scheint die neue Variante dem Erreger einen evolutionären Vorteil gebracht zu haben." Im Labor wurde untersucht, ob die Virusvariante durch Antikörper der alten Version neutralisiert werden könne. Da dies gelang, dürften alle in der Zulassung befindlichen Impfstoffe dagegen schützen.
Bisher mutierte SARS-CoV-2 etwa alle zwei Wochen. Dabei wird es auch bleiben, meint Nowotny: "Mehrfachmutationen werden eher die Ausnahme bleiben."
Clevere Wandlung
Mutiert das Virus eigentlich intelligent? "Nein, es verändert sich nach dem Versuch-Irrtum-Prinzip und landet meist in einer Sackgasse." Es gebe aber einen "evolutionären Druck", wodurch das Virus gezielter mutieren könne. Dazu muss man wissen: "Das Virus behält Mutationen nicht zufällig bei", sagt Virologe Lukas Weseslindtner, Leiter des Labors für Antikörperdiagnostik am Zentrum für Virologie an der MedUni Wien. "Mutationen, die sich stabilisieren, bringen dem Erreger in der Regel einen Selektionsvorteil. Trifft das auf eine Mutation zu, sichert das im Sinne der Darwin'schen Evolutionstheorie ihren Fortbestand. Viren, die besser an den Wirt angepasst sind, setzen sich im Vergleich zu gleichzeitig zirkulierenden Stämmen durch." Mutationen entstünden also zwar zufällig, "das Konservieren im viralen Erbgut folgt aber einem gewissen Prinzip".
Das könnte eine B.1.1.7 ähnliche neue Variante in Südafrika erklären. Sie ist dort verbreiteter, die Zahl junger Patienten mit ernsten Symptomen steigt. Passt sich das Virus an die dort jüngere Population an, um erfolgreicher zu sein? "Bezüglich dieser Variante muss man noch zuwarten und Daten sammeln, bevor man schlüssige Aussagen treffen kann. Denkbar wäre es aber."
Kein Bedarf
Die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft von der Schweizer Universität Bern sagte im Gespräch mit der New York Times, SARS-CoV-2 habe "es noch nicht nötig", in einer Art zu mutieren, die eine bestehende Corona-Immunität umgehen kann. Das Reservoir an Menschen, das keinen Erregerkontakt hatte, sei groß genug. Nowotny dazu: "Wenn man den Gedanken weiterführt, kommt man aus Expertensicht zur Empfehlung, dass sich möglich viele möglichst bald impfen lassen sollten. Wir sollten dem Virus nicht zu viel zeitlichen Spielraum lassen, Varianten zu entwickeln, die den Impfstoff umschiffen könnten."
In Zukunft – wenn Impfungen großflächig verabreicht und noch mehr Menschen die Infektion durchlaufen haben – müsse man laut Hodcroft wachsam sein, ob gröbere Mutationen auftreten, die eine bestehende Immunantwort umschiffen können. "Man achtet glücklicherweise schon jetzt weltweit die ganze Zeit darauf", sagt Nowotny. "Es gab noch nie so viele Vollgenom-Sequenzierungen von Viren wie im Zuge dieser Pandemie. Global werden laufend Virusvollgenome bestimmt, um Mutationen zu identifizieren. Damit werden zeitnah eventuell neu auftretende Virusvarianten detektiert, wie der aktuelle Fall zeigt."
Dranbleiben
Und wie zuverlässig sind bestehende Testverfahren? Nowotny: "Die jetzigen Testverfahren würden alle auch die neue Virusvariante detektieren. Beim PCR-Test als Goldstandard wissen wir, dass er an anderen viralen Erbgutteilen ansetzt, er weist somit genauso verlässlich auch die neuen Virusvarianten nach."
Vor einigen Monaten gab es große Aufregung rund um die SARS-CoV-2-Mutationen bei Nerzen. Dänisch Journalisten sprachen gar von einem "zweiten Wuhan". "Davon ist nun nichts mehr zu hören", sagt Nowotny. "Das Virus mutierte in den Nerzen so, dass es damit einen Vorteil bei der Ausbreitung in der Nerzpopulation erzielte. Es war nicht davon auszugehen, dass dies weitreichende Auswirkungen auf den Menschen haben wird."
Die aktuell aufgetretene Variante hält der Virologe jedenfalls für gefährlicher, die gesetzten Maßnahmen daher für berechtigt: "Wir brauchen nun wirklich keine Virusvariante, die noch ansteckender ist. Wenn es eine Möglichkeit gibt, ihre Ausbreitung einzudämmen, sollte man das tun."
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