Brexit-Chaos, Pandemiekrise, der persönliche Kampf gegen das Virus, Kritik von allen Seiten, und jetzt auch noch die neue Corona-Variante, die Großbritannien international isoliert. Premier Boris Johnson scheint die Kontrolle an diversen Fronten endgültig zu entgleiten.
„Das Vertrauen in Johnson hat heuer stark abgenommen“, sagt der Politologe Professor Pete Dorey von der Universität Cardiff dem KURIER. Sein Umgang mit Pandemie und Brexit hat „Fragen über seine Kompetenz“ aufgeworfen, „selbst bei vielen konservativen Abgeordneten“. Aufgrund der „Kollision von Krisen“ vor Weihnachten, so die BBC, droht er jetzt im Polit-Chaos zu versinken.
"Mit dem Rücken zur Wand"
Zu Wochenbeginn herrscht in London Angst vor Versorgungsengpässen: Wegen der neuen Virus-Mutation sind der Hafen Dover und der Eurotunnel geschlossen, diverse EU-Staaten haben den Flugverkehr mit Großbritannien eingestellt.
Johnson berief eine Krisensitzung des Kabinetts ein. Kritiker sagen, der Premier steht mit dem Rücken zur Wand, teilweise selbst verschuldet, weil er zu oft auf „Management by Chaos“ setzt. Labour-Parteichef Keir Starmer bezichtigte Johnson der „groben Fahrlässigkeit“ und meinte, er sei „erneut ins Hintertreffen geraten“, als er am Samstag eine neue Coronawarnstufe 4 für London und andere Teile im Südosten Englands ankündigte.
"Brauchen starke Führung"
Drei Tage zuvor hatte Johnson Rufe nach strikteren Regeln noch abgelehnt; jetzt musste er Weihnachtstreffen in Stufe-4-Regionen verbieten und im Rest von England von fünf auf einen Tag reduzieren. „Wir brauchen starke, klare und entschlossene Führung“, sagt Starmer: Johnson habe „solche Angst, unbeliebt zu sein“, dass er schwierige Entscheidungen nicht treffen kann oder will.
Guto Harri, einst Johnsons Kommunikationsschef, als der Londons Bürgermeister war, bestätigt das dem KURIER. „Er möchte, dass jeder ihn instinktiv mag.“
Aus für Popstar-Image
Aber gelingen, wie bei seinem fulminanten Wahlerfolg Ende 2019, mag ihm das heuer einfach nicht. „Johnson möchte verehrt werden, muss aber feststellen, dass er selbst von seiner eigenen Partei zunehmend kritisiert wird“, sagt Dorey. Tatsächlich fordern manche Tories eine Unterhaus-Abstimmung über die neuesten Corona-Restriktionen, trotz der bereits begonnenen Weihnachtspause des Parlaments.
Unten durch bei Tories
Johnson steht in der Krise unter ständiger Kritik von Parteikollegen. Der liberale Flügel kritisiert seine Lockdown-Maßnahmen als Bevormundung; um die Wirtschaft besorgte Kollegen, wie etwa Finanzminister Rishi Sunak, der längst der populärste Tory ist, sorgen sich um die ökonomischen Auswirkungen.
Laut Umfrage hat der Premier bei Tory-Aktivisten eine Zustimmungsrate von nur 2.9 Prozent; Sunak hält bei 74.6 Prozent. Außerdem finden 61 Prozent aller Briten, dass die Regierung die Corona-Krise samt Weihnachtsregeln schlecht gemanagt hat.
Hoffnung auf Besserung
Am Montag gab es dann erstmals Aussicht auf gute Nachrichten. Frankreich schien bereit, den Frachtverkehr nach Großbritannien mit einem „soliden Gesundheitsprotokoll“ bald wieder zu erlauben.
Viele der 10.000 Lastwagen, die täglich den Ärmelkanal überqueren, sind leer, holen aber Lebensmittel wie Gemüse aus Frankreich und Belgien. Der Lebensmittelhandel warnte, es könnte „die Versorgung mit frischen Lebensmitteln“ zu Weihnachten „ernsthaft stören“, wenn Grenzen länger als 48 Stunden geschlossen bleiben.
Notfallpläne
Im Frachtverkehr mit der EU gibt es bereits lange Staus. Die Gründe: Weihnachts- und Pandemie-bedingte Medizin-Lieferungen und der Versuch von Unternehmen, Lager vor dem endgültigen Brexit zu füllen.
Laut Regierung gibt es aber Notfallpläne, etwa den Einsatz von Militärflugzeugen, um etwa die Versorgung mit Corona-Impfstoff zu sichern. Johnson wollte am Montag noch einmal Stellung nehmen. „Als Populist spricht er gerne direkt mit den Leuten“, weiß Dorey. Und er hofft, auch diese Krise zu überstehen. Laut Financial Times sagte er Vertrauten: „Ich kann es nicht erwarten, dass 2020 zu Ende geht“.
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