Neue Mutationen: Trotz Endemie wird Covid-19 "nicht ungefährlicher"
Seitdem der deutsche Virologe Christian Drosten in einem Interview die Corona-Pandemie für beendet erklärt hat - freilich mit zahlreichen "Abers" -, versuchen Experten die Unterschiede von "Pandemie" und "Endemie" zu erklären und verkürzte Schlagzeilen zu korrigieren.
So ging die österreichische Epidemiologin Eva Schernhammer im Interview mit dem KURIER auf die epidemiologische Berechnung ein: "Endemie heißt aber nicht, dass alles vorbei ist. Bisher haben wir stark ansteigende Wellen gesehen, bei denen die Reproduktionszahl deutlich über eins lag – eine Person steckte also mehr als eine weitere Person an. Pendelt sich die Reproduktionszahl hingegen bei eins ein – derzeit liegt sie global knapp darunter – spricht man von einer Endemie. Also von einer dauerhaften, relativ gleichbleibenden Zahl an Infektionen in einem geografisch eingegrenzten Gebiet. Das können aber auch dauerhaft relativ viele Infektionen sein."
Das Coronavirus ist nicht ungefährlicher geworden
Auch der Vorarlberger Gesundheits-Experte Armin Fidler geht im Interview mit dem ORF von einer "Begriffsverwirrung" aus, denn das Coronavirus ist "nicht ungefährlicher" geworden. "Eine endemische Erkrankung ist nicht ungefährlich. In vielen Teilen Afrikas ist zum Beispiel Malaria endemisch und ist trotzdem der häufigste Todesgrund für Kinder unter fünf Jahren. Es ist also nicht so, dass wenn etwas endemisch ist, es ungefährlich ist."
Auch HIV und Malaria sind endemisch und man schütze sich weiter, so Schernhammer. "Nur weil es jetzt so aussieht, dass wir langsam in eine endemische Phase kommen, heißt das nicht, dass man schlampig werden kann und nicht mehr aufpassen muss – als einzelner und auch auf der Ebene der Staaten."
Eine neue Phase
Virologe Andreas Bergthaler stimmt der Sicht zu, dass wir uns in einer "neuen Phase" befinden, aber noch kein "Finale" in Sicht ist: "Was SARS-CoV-2 betrifft, habe sich zuletzt das "gesamtgesellschaftliche Bedrohungspotenzial massiv reduziert", so der Forscher von der Medizinischen Universität Wien und dem Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Weiter gelte aber, dass Covid-19 eine relativ große Gefahr für vulnerable Gruppen, wie etwa Menschen mit Vorerkrankungen, birgt. Auch die Gefahr, mit Long Covid konfrontiert zu sein, bestehe natürlich weiter. Bergthaler: "Ich wäre also vorsichtiger, die Pandemie für grundsätzlich beendet zu erklären."
Neue Corona-Variante in den USA
Mittlerweile gibt es zahlreiche Untervarianten von den Omikron-Varianten BA.1 und BA.2. Eine davon ist XBB, eine Rekombination von zwei verschiedenen BA.2-Varianten, BJ.1 (BA.2.10.1.1) und BA.2.75, die in den USA für Unbehagen sorgt. Denn es hat den Anschein, dass sich XBB im Bundesstaat New York zu XBB.1.5 weiterentwickelt hat, wie der der bekannte Mediziner Eric Topol erklärt. Zeitgleich mit dem Auftreten dieser Variante gibt es einen steilen Anstieg von Krankenhausaufenthalten in New York.
Die Vereinigten Staaten sind das erste Land, in dem sich eine XBB.-Untervariante nach dem Auftreten von XBB in Singapur - das Land hatte im Oktober eine große Welle - regional durchgesetzt hat.Von allen Varianten in der sogenannten "Varianten-Suppe" weist XBB.1.5 den größten Wachstumsvorteil gegenüber BA.5 - jene Variante, die zum Beispiel in Österreich für eine Sommerwelle sorgte - auf. In der genomischen Überwachung der US-Gesundheitsbehörde CDC ist der Aufstieg von XBB zu erkennen, der nun das Wachstumsmuster von BQ.1 gebremst hat.
Topol: "Wir verfügen zwar nicht über die Sequenzdaten, um sagen zu können, dass es sich speziell um die Variante XBB.1.5 handelt, aber alles deutet darauf hin, dass sie innerhalb der XBB-Familie tatsächlich führend ist. Wenn XBB.1.5 einen derartigen Wachstumsvorteil gegenüber BQ.1.1, ist das kein gutes Zeichen."
Neue Daten zu Virusvarianten aus China
Der Gentiker Yunlong Cao von der Universität Peking legte am Dienstag aktuelle Labor-Daten nach: Schon bisher wusste man, dass XBB und BQ.1.1 zu den Varianten gehören, die sich dem Immunsystem am stärksten entziehen können, aber er konnte jetzt im Labor zeigen, dass sich XBB.1 dem Immunsystem stärker entziehen kann als BQ.1.1. Die Befürchtung von Experten: Dass sich XBB.1.5 noch stärker entziehen kann als XBB.1.
Cao präzisierte am Dienstag auf Twitter: XBB.1.5 weicht im Vergleich zu XBB.1 genauso gut unserem Immunsystem aus, also nicht besser. Allerdings hat es sich verbessert: Es dockt nämlich jetzt besser an unsere Zellen an.
Die Krankenhaus-Einweisungen in New York betreffen vor allem ältere Einwohner. Topol: "Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, z. B. nachlassende Immunität, Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen/Feiertage, kaltes Wetter, mangelnde Eindämmung. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Covid-19-Krankenhauseinweisungsrate in New York die höchste seit Ende Jänner ist - und auch die Delta-Welle vom Sommer 2021 übertrifft."
Das bekannte Sato-Labor der Universität Tokio zeigte, dass XBB in Labor-Tests die am stärksten resistente Variante gegenüber BA.2/5-Durchbruchinfektionen überhaupt ist.
Wie wirkt der bivalente Booster?
Allerdings gibt es auch positive Nachrichten für Geimpfte: Laut einer US-Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine erschienen ist, wirkt der bivalente BA.5-Booster bei der Variante XBB: "Personen, die den bivalente BA.5-Booster erhielten, hatten eine bessere neutralisierende Aktivität gegen alle Omikron-Subvarianten - insbesondere gegen BA.2.75.2, BQ.1.1 und XBB - als diejenigen, die nur einen oder zwei Stiche mit dem herkömmlichen Impfstoff hatten." (Sie können die Studie hier auf Englisch nachlesen.)
"Wir wissen zwar noch nicht, wie gut der bivalente Booster gegen XBB.1.5 wirkt, aber es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass ein zusätzlicher Antikörperschutz nicht hilfreich wäre. Wenn Sie also in den vergangenen vier Monaten oder mehr keine Auffrischungsimpfung erhalten haben, wäre dies sehr ratsam", so Topol in seiner aktuellen Analyse.
Ende der Null-Covid-Politik
Nach offiziell unbestätigten internen Schätzungen haben sich in den ersten drei Dezemberwochen 248 Millionen Chinesen (18 Prozent der Bevölkerung) mit Corona infiziert: Das Land hatte am 7. Dezember nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Massentests und anderen strengen Maßnahmen ein abruptes Ende seiner Null-Covid-Politik verkündet. Wie die New York Times berichtet und mit einem Video dokumentiert, ist die Lage in chinesischen Krankenhäuser besonders dramatisch, da sich das Virus weitgehend unkontrolliert in dem 1,4 Milliarden Einwohner zählenden Land ausbreitet. Auch Bestattungsinstitute seien überfordert.
Für die Welle in China ist unter anderem BF.7 - ein Abkömmling von BA.5.2 - verantwortlich. Weil eine immunnaive Person, die sich mit BF.7 ansteckt, im Schnitt zehn bis 18 andere Personen ansteckt, sieht sich China derzeit mit Millionen von Infizierten konfrontiert.
Corona-Maßnahmen für Reisende aus China?
Die Situation ist hier aber anders als in den USA. Wie der deutsche Wissenschafts-Journalist Lars Fischer erklärt: "Grob gesagt: Wenn ganz viele potenzielle Opfer ohne nennenswerten Immunschutz da sind, gewinnen Viren, die besonders ansteckend sind."Das mögliche Szenario in China ist also, dass der Selektionsdruck von SARS-CoV-2 eher in Richtung schneller Verbreitung geht. "Die Viren, die möglichst schnell möglichst viele Menschen anstecken, werden dominieren", vermutet Fischer.
Inden erwägen die USA laut Regierungsangaben zufolge Corona-Maßnahmen für Reisende aus China. "In der internationalen Gemeinschaft wächst die Besorgnis über den anhaltenden Anstieg der Corona-Infektionen in China und den Mangel an transparenten Daten, einschließlich genomischer Sequenzdaten, die aus der VR China gemeldet werden", sagten Regierungsbeamte am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Flughafen Mailand Malpensa hat begonnen, Passagiere aus China auf das Corona-Virus zu testen. Es handle sich um eine Vorbeugungsmaßnahme, mit der die Region Lombardei, zu der Mailand gehört, feststellen will, an welcher Variante sich chinesische Passagiere infiziert haben könnten, teilten die Behörden am Dienstagabend mit. Für Österreich sei eine entsprechende Maßnahme derzeit nicht geplant, man beobachte die Lage, hieß es auf APA-Anfrage aus dem Gesundheitsministerium. Zudem befinde man sich im Austausch mit den verschiedenen EU-Behörden.
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