Moderne Chirurgie: Operieren ohne Schnitt und ohne Blut
Keine Übertragung via Internet in alle Welt, sondern nur persönliche Anwesenheit: Seit Montag findet in der Hofburg in Wien der „Weltkongress für Chirurgie“ statt. Mit knapp 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist das zwar nicht der größte chirurgische Kongress, „aber sicher der internationalste“, sagt Albert Tuchmann, Generalsekretär der Österr. Gesellschaft für Chirurgie und nationaler Kongresspräsident.
KURIER: In der Pandemie ein Kongress ganz ohne Internet, funktioniert das?
Albert Tuchmann: Wir haben jetzt mehr als zwei Jahre mit Online-Kongressen hinter uns. Natürlich spüren wir die Pandemie: Normalerweise kommen 300 US-Amerikaner zu diesem alle zwei Jahre stattfindenden Kongress, heuer sind es 150. Aber wir glauben, dass sich Menschen aus 95 Ländern nicht auf Dauer nur über Bildschirme über Chirurgie unterhalten können. Wir benötigen den persönlichen Austausch.
Wie hat sich die Chirurgie in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Die Chirurgie ist keine Disziplin, in der es von einem Tag auf den anderen eine Sensation gibt. Aber jedes Jahr werden mehr Eingriffe etwa in der Bauchhöhle minimalinvasiv durchgeführt: Bei dieser Schlüssellochchirurgie gibt es keine großen Schnitte, sondern nur mehr Zugänge zwischen 3 mm und 1,5 cm. Durch einen wird ein dünnes Rohr mit einem Linsensystem und einer Lichtquelle an der Spitze eingebracht – mit einem solchen Laparoskop wird das OP-Gebiet auf einen Monitor übertragen. Über weitere kleine Schnitte werden die chirurgischen Instrumente zum OP-Gebiet vorgeschoben.
Begonnen hatte man mit leichteren Gallensteinoperationen. Heute werden diese zu 95 Prozent minimalinvasiv durchgeführt. Dann kamen Leistenbruch- und Blinddarmeingriffe dazu. Je nach Abteilung beträgt der Anteil der Schlüssellochchirurgie 40 bis 60 Prozent. Heute werden aber auch viele Eingriffe am Darm, viele Krebsoperationen oder die Adipositaschirurgie und Eingriffe gegen Sodbrennen so operiert, mit weniger Komplikationen und kürzeren Spitalsaufenthalten.
Ein Schlagwort ist auch die Roboterchirurgie?
Auch die robotergestützte Chirurgie entwickelt sich seit mehr als 20 Jahren kontinuierlich weiter. Roboter heißt nicht, dass hier eine Maschine operiert, sondern dass es „Manipulationsarme“ gibt, quasi verlängerte Arme der Chirurgin bzw. des Chirurgen, die sie über eine Konsole selbst steuern. In Österreich gibt es etwa 20 solcher Systeme bei rund 140 chirurgischen Abteilungen. Es ist also noch nicht allgemeiner Standard, aber der Markt wächst. Die Urologie mit der Entfernung der Prostata war Vorreiter, die Gynäkologie und Darmchirurgie haben ziemlich nachgezogen. Die Bildqualität ist besser, das Zittern der Hände wird ausgeschaltet. Aber die OP-Ergebnisse sind bisher nicht besser als bei der herkömmlichen Schlüssellochchirurgie. Allerdings ist der – in der Regel schon geringe – Blutverlust noch geringer, und der Aufenthalt im Spital oft ein, zwei Tage kürzer.
Viele Chirurgen operieren auch lieber ohne Roboter weil sie sagen, ihre Ergebnisse sind mit der herkömmlichen Laparoskopie vergleichbar gut wie mit dem Roboter. Möglicherweise werden in den kommenden Jahren die Vorteile der roboterunterstützten Chirurgie noch deutlich sichtbarer. Bisher sind es eher die "weichen Faktoren" wie Blutverlust oder Aufenthaltsdauer, wo sich Vorteile zeigen. Wobei man sagen muss: Weder bei der herkömmlichen Laparoskopie noch bei der Roboterchirurgie sind in der Regel Blutkonserven notwendig.
Denn bereits durch die minimalinvasive Chirurgei ist der Blutverlust drastisch reduziert worden. Früher hat man bei Magen-Darm-Operationen praktisch immer mit dem Einsatz von Blutkonserven gerechnet, das ist mittlerweile fast zur Gänze verschwunden. Die modernen Instrumente, die Zangen, verschweißen zunächst das Gewebe an der Stelle, wo es geschnitten werden soll. Durch diese Versiegelung ist der Blutfluss an der Stelle unterbrochen. Erst danach wird geschnitten - ohne Blutaustritt, weil ja das durchtrennte Gewebe an beiden Schnittstellen verschlossen ist. Erst wenn die Schnittstelle wieder zusammengefügt ist, wird der Blutfluss wieder hergestellt.
Geht nicht die Entwicklung in die Richtung, so wenig wie nur möglich zu operieren?
In der Krebstherapie gelingt es immer besser, durch Vorbehandlungen die Tumore zu verkleinern, sodass die Operationen schonender und weniger radikal sind. Generell sind sie heute durch moderne Instrumente und Techniken unblutiger und präziser. Bei den meisten Brustoperationen bleibt die Brust erhalten.
Tradition: Die internationale Gesellschaft für Chirurgie (International Society of Surgery) wurde 1902 gegründet und ist eine der ältesten medizinischen
Fachgesellschaften der Welt.
Laparoskopie: Frei übersetzt bedeutet das „in den Bauch schauen“ – ohne größeren Bauchschnitt.
15.000 Hernienoperationen (Leisten- und Nabelbrüche sowie Narbenbrüche) werden jährlich in Österreich durchgeführt. Diese und die Entfernung der Gallenblase (ca. 11.000 im Jahr) sind die häufigsten Eingriffe in der Allgemein- und Bauchchirurgie (Viszeralchirurgie).
Auch in der Mastdarmchirurgie können wir immer öfter den Schließmuskel erhalten. Das gelingt durch bessere OP-Methoden, aber auch durch immer bessere Vorbehandlungen, sei es Strahlentherapie, Chemotherapie oder andere medikamentöse Therapien. Verschwindet der Tumor durch diese Therapien zur Gänze, bleibt immer die Frage, wie lange das anhält.
In Einzelfällen könnte durch medikamentöse Therapien – etwa die Immuntherapie bei Krebs – auf Operationen ganz verzichtet werden. Hier muss man aber noch Langzeitdaten abwarten.
Solche Entscheidungen werden aber immer im Team verschiedener medizinischer Disziplinen getroffen - Onkologen, Strahlentherapeuten, Chirurgen und andere. Damit wird individuell der beste Behanlungsweg für die Patienten gefunden.
In der Herzmedizin gibt es die Entwicklung, Herzklappen oder Gefäßverschlüsse mittels Katheter (dünner Schlauch, der durch ein Blutgefäß vorgeschoben wird) statt über eine Öffnung des Brustkorbs zu behandeln. Bei Komplikationen, Notfällen oder komplexeren Fällen wird aber weiterhin der Chirurg benötigt.
Gibt es dadurch weniger zu tun für Chirurgen?
Nein. Es kommen ja auch neue, wachsende Bereiche dazu – etwa die Adipositaschirurgie mit ihren Verfahren zur Magenverkleinerung. Und es gibt nicht mehr den großen Professor, der alles operiert – mit schlechten Ergebnissen. Von Hämorrhoiden bis zur Bauchspeicheldrüse erzielen heute Spezialisten viel bessere Ergebnisse.
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