Erfolg mit mRNA-Impfung: Die neuen Ansätze in der Krebstherapie
„Die Ergebnisse sind ermutigend“, sagt Özlem Türeci, Mitbegründerin von Biontech. Und meint damit nicht neue Daten eines mRNA-Impfstoffes gegen Coronaviren – sondern gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Biontech untersuchte bei 18 Patienten die Oberfläche ihrer Tumorzellen auf Merkmale (spezielle Tumorproteine), die sie von eigenen gesunden Zellen unterscheiden. Diese Tumorproteine erkennt das Immunsystem als fremd und greift sie an – allerdings ist die Reaktion zu schwach.
Der individuelle Krebs-Impfstoff von Biontech enthält die mRNA – den genetischen Bauplan – von jeweils bis zu 20 solcher Merkmale der Krebszellen. Nach der Impfung produziert der Patient diese Proteine. Das Immunsystem soll dadurch darauf aufmerksam werden, vermehrt Killerzellen produzieren und somit effektiv die Krebszellen mit diesen Oberflächenmerkmalen angreifen.
Genau das war in der Biontech-Studie bei immerhin acht der 16 Patienten der Fall. Die Zahl ihrer Abwehrzellen hatte sich stark vermehrt, der Tumor schrumpfte und es dauerte bei ihnen deutlich länger, bis es zu einem Rückfall kam. Gerade beim schwer therapierbaren Bauchspeicheldrüsenkrebs ein erster großer Erfolg.
Abwehr aktiviert
„Es zeigt sich, dass man mit einer solchen Impfung das Immunsystem zünden kann, die Abwehrzellen aktiviert werden“, sagt Wolfgang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie. „Aber wir wissen noch nicht, wie lange dieser Effekt anhält.“ Größere Studien sollen jetzt folgen. Hilbe hält die erste Zulassung eines solchen therapeutischen Vakzins in weniger als fünf Jahren für realistisch.
Diese Krebs-Impfstoff-Studie (siehe auch unten) war einer der Höhepunkte beim US-Krebskongress ASCO in Chicago. „Dieser hat uns gezeigt, dass es trotz der Pandemie in den vergangenen mehr als zwei Jahren deutliche Fortschritte in der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen gegeben hat“, so Hilbe. Die Forschung an den Krebs-Impfungen ist dabei aber nur ein Teil.
Applaus für Studie
„Standing Ovations“ – tosenden Beifall – gab es auf dem Kongress nach der Präsentation von Daten einer US-Studie mit 557 Frauen mit Brustkrebs im Spätstadium. Allen Frauen in der Studie war gemeinsam, dass an den Oberflächen ihrer Krebszellen nur sehr wenig von einem spezielle Protein (HER-2) vorhanden ist. Generell ist das bei rund 55 Prozent aller Patientinnen der Fall. Gibt es hingegen viel HER-2 auf der Zelloberfläche (15 % aller Patientinnen) lässt sich das Tumorwachstum gut blockieren. Bei wenig HER-2 war das jedoch bisher viel schwieriger.
Mit der Analyse von Tumor-Merkmalen können jene Patienten ausgewählt werden, die von einer speziellen Therapie profitieren.
„Jedes Jahr kommen in der Onkologie rund zehn neue Medikamente dazu“, sagt Onkologe Wolfgang Hilbe. Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl der zugelassenen Anwendungsbereiche (Indikationen) der Krebsmedikamente: „Bis zu 40 Indikationen kommen jährlich hinzu – die Onkologie wird immer komplexer.“
Dadurch profitieren aber auch Patientinnen und Patienten: Durch immer genauere Analysen der genetischen Eigenschaften eines Tumors könne man immer besser Untergruppen mit einer Krebsart identifizieren, die von einer bestimmten Behandlung profitieren, sagt der Gynäkologe Christoph Grimm. So können etwa bei Eierstockkrebs jene Patientinnen identifiziert werden, die auf spezielle Medikamente besonders gut ansprechen.
Es sind vor allem diese Bereiche, die die Entwicklung vorantreiben:
- Immuntherapie: Tumorzellen nutzen vielfältige Mechanismen, um dem Angriff des Immunsystems zu entkommen, sich vor ihm zu tarnen und es zu bremsen. Spezielle Antikörper können solche Mechanismen der Krebszellen blockieren und sie für das Immunsystem wieder sichtbar machen. „Die Immuntherapie ist in den vergangenen Jahren in unserem Alltag angekommen“, so Hilbe.
- Impfstoffe, Zelltherapie: „Durch Corona ist in die Technologie der mRNA-Impfstoffe viel Geld und viel Wissen hineingeflossen“, erläutert der Onkologe. Studien dazu gibt es von Biontech, Moderna und Curevac u. a. auch gegen Haut-, Darm- oder Lungenkrebs. Damit kehrt diese Technologie zu ihren Wurzeln zurück: Vor Corona wurde schon an solchen Krebsimpfstoffen geforscht. Bei Zelltherapien (etwa der Car-T-Zelltherapie) werden eigene Abwehrzellen außerhalb des Körpers so modifiziert, dass sie die Krebszellen besser erkennen und bekämpfen.
- Zielgerichtete Wirkstoffe: Das sind Substanzen, die ganz spezielle Merkmale eines Tumors erkennen. Sie blockieren ganz gezielt Signalwege in den Krebszellen, die für ihr Wachstum wichtig sind.
„Die Überlebenszeit hat sich bereits bei vielen Krebsarten deutlich verlängert“, sagt Hilbe.
Viele neue Therapien, die zunächst in einer späten Krankheitsphase untersucht wurden, rutschen jetzt in frühere Phasen, sagt der Lungenkrebsspezialist Maximilian Hochmair. Das bedeutet: Patienten können früher von mittlerweile bewährten Verfahren profitieren. „Es ist spannend und beeindruckend, was sich in der Krebstherapie tut.“
Doch mit einem Präparat, das einen Antikörper und ein Chemotherapeutikum in einem kombinierte, gab es einen überraschenden Erfolg: Die Überlebensdauer der Patientinnen konnte deutlich verlängert werden im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie. Der Antikörper spürt gezielt die Krebszellen auf, das zellschädigende Chemotherapeutikum sickert in diese ein – und killt sie.
„Diese Studie wird unsere Behandlungsroutine verändern“, sagt der Onkologe Armin Gerger von der MedUni Graz. Erste Patientinnen könnten also bald von den Erkenntnissen profitieren.
100 Prozent Wirksamkeit
Für Staunen und Aufsehen sorgte auch eine Studie zu einer speziellen Form von Mastdarmkrebs: Normalerweise benötigen diese Patientinnen und Patienten eine Kombination aus Strahlen- und Chemotherapie, danach eine Operation und dann wieder eine Chemotherapie – eine enorme Belastung.
375-tausend
Menschen (Stand 2020) leben laut Statistik Austria in Österreich mit einer Krebsdiagnose – fast die Hälfte davon bereits mehr als zehn Jahre. 2009 waren es 290.000 Menschen. Durch die steigende Lebenserwartung steigt die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Verstärkte Vorsorgeuntersuchungen, verbesserte Dia-gnosen und Therapien tragen aber deutlich zu längerem Überleben bei.
Neuerkrankungen
42.000 Menschen erkranken in Österreich jährlich neu an Krebs. Bei etwa der Hälfte aller diagnostizierten Fälle waren Brust, Prostata, Darm oder Lunge betroffen.
In dieser Studie erhielten 18 Patienten einen Antikörper, der eine vom Tumor ausgelöste Blockade des Immunsystems löste. Bei allen 18 verschwanden daraufhin die Tumoren komplett und blieben das bisher auch (Beobachtungszeitraum 6 bis 25 Monate). Weitere Chemo-, Strahlen- oder operative Therapien waren bisher nicht notwendig. Studienautor Luis Diaz zeigte sich in der New York Times selbst verblüfft: „Ich glaube, das ist das erste Mal, dass das in der Geschichte von Krebs passiert ist.“
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